Fred Dewilde: Mon Bataclan
Lemieux Éditeur, Paris 2016
Der Verlag hofft, dass es bald auch eine deutsche Ausgabe von "Mon Bataclan" gibt. Der Comic wurde bereits auf der Frankfurter Buchmesse vorgestellt.
Der Pariser Anschlag als eindringlicher Comic
Schüsse, Schreie, klingelnde Handys: In seinem Comic "Mon Bataclan" verarbeitet Fred Dewilde den Pariser Terroranschlag von vor einem Jahr. 90 Menschen starben beim Überfall in dem Konzertsaal, der französische Zeichner hat das Attentat dort überlebt.
"Wir stellen uns tot, um zu leben. Um da rauszukommen. Um zu versuchen, da rauszukommen! Jeder Herzschlag ist ein Sieg über die Zeit, jede Sekunde ist ein Nachschlag vom Leben, eine Prise Hoffnung."
Fred Dewilde – so sein Pseudonym - sitzt in einem Pariser Bistro und liest seinen Comic "Mon Bataclan (Mein Bataclan)". Jedes Wort ruft Bilder hervor – von einem Abend, an dem er mit Freunden auf das Leben anstieß - und der ihn fast das Leben gekostet hätte.
Es ist der 13. November 2015. In der Pariser Konzerthalle Bataclan sind 1500 Menschen. Es spielt die Band Eagles of Death Metal.
Die Terroristen werden zu Skeletten
Drei Männer in Schwarz stürmen den Saal, schießen mit Kalaschnikows in die Menge. Viele Konzertbesucher stürzen zu Boden. Auch Fred Dewilde. Seinen Abend im Bataclan hat er in eindringlichen schwarz-weißen Bildern nachgezeichnet:
"Jede Seite, jedes Bild war schwierig. Ich habe einen Weg gesucht, das Geschehene noch einmal zu durchleben, ohne ins Blutrünstige zu verfallen."
Fred Dewilde ist Illustrator. Er zeichnet Organe oder Körperteile für Pharmafirmen - und erklärt, wie Medikamente wirken. Für ihn ist klar: Er will den Anschlag in einem Comic verarbeiten. Aber die Darstellung der Terroristen fällt ihm schwer. Da erinnern ihn deutsche Freunde an einen Holzschnitt von Albrecht Dürer:
"Die apokalyptischen Reiter ... "
Dürer zeigt die Vernichtung der Menschheit durch vier Boten Gottes. Ihre finsteren Mienen verleiht Dewilde den Terroristen. Aus ihren Waffen – Schwerter, Pfeil und Bogen - macht er Kalaschnikows. Ihre Körper werden zu Skeletten:
"Ich wollte die Terroristen nicht als Menschen zeigen, deshalb habe ich sie als Skelette gezeichnet. Für mich waren sie schon tot, als sie ins Bataclan kamen. Sie hatten jede Menschlichkeit verloren."
Mehr Ohren- als Augenzeuge des Anschlags
Viele Bilder sind der Fantasie des 49-Jährigen geschuldet. Denn er lag während des gesamten Überfalls auf dem Fußboden des Konzertsaals, war mehr Ohren- als Augenzeuge:
"Die Geräusche, der Lärm, waren für uns überlebenswichtig. Wir hatten nur noch unser Gehör. Es war wie in einem U-Boot. Wir sind abgetaucht in ein Universum, in dem nur noch Geräusche unsere Verbindung zur äußeren Welt waren."
Schüsse, Schreie, klingelnde Handys, gefolgt von neuen Schüssen. Der Terror findet im Kopf des Comic-Helden - oder besser Anti-Helden - statt. Wechselweise zoomt Dewilde an sein Gesicht heran - oder zeigt ihn in der Totalen - aus Sicht der Terroristen. Er durchbricht die Panels, bis hin zu Puzzleteilen, je weiter die Hoffnung auf Überleben zerbricht.
Grauen und Gewalt haben viele Zeichner verarbeitet: Art Spiegelman den Holocaust in "Maus", Joe Sacco den Nahost-Konflikt in "Palästina".
Dewilde ist kein Spiegelman oder Sacco. Es ist sein erster Comic, und der Illustrator hat ihn kaum am Computer nachbearbeitet – weil die Bilder im Kopf zu brutal waren:
"C'était tellement violent, je n'étais pas capable de le refaire sur l'ordinateur."
Liebeserklärung an das Leben
Aber gerade weil der Comic nicht perfekt ist, packt er einen. Nicht zuletzt wegen der dichten, emotionalen Texte. Auch im zweiten Teil, in dem Dewilde sein Leben nach dem Anschlag beschreibt. "Mon Bataclan" ist eine Liebeserklärung: An das Leben – und an Élisa, eine junge Frau, neben der der Held zwei Stunden lang ausharrt, bevor die Polizei sie befreit. Mit das stärkste Bild des Comics: ihre ineinander verschlungenen Hände:
"Es war klar: Wenn wir jetzt sterben, dann sterben wir als Menschen. Für mich steht dieses Bild für die Menschlichkeit. Es symbolisiert all das, was um uns herum fehlte."
Dewildes Schlusswort kann man ergreifend finden - oder auch pathetisch. In jedem Fall ist "Mon Bataclan" ein wichtiges Dokument:
"Ich habe viele Leichen am Abend des 13. November gesehen, ich habe viel Blut gesehen, verstümmelte, gebrochene, zerrissene Körper, genug Tränen und Angst für gleich mehrere Leben. Ich habe gesehen, zu was der Hass führt. Also seien wir doch wenigstens einmal nicht so dumm und entscheiden uns für das Leben."