Hilfe, freilaufende Kinder!
Dürfen Kinder auch mal ohne Begleitung ihrer Eltern unterwegs sein? Die Frage mutet seltsam an, doch in den USA haben Eltern ganz schnell eine Klage wegen Vernachlässigung am Hals. Die halten dagegen: Sie wollten, dass ihre Kids unabhängig und mutig zu werden.
An einem Sonntagnachmittag gegen fünf Uhr stromerten Danielle und Alexander in der Nachbarschaft herum. Sie schlenderten durch die Straßen von Silver Spring, einem belebten Vorort von Washington D.C.
Die Geschwister sind sechs und zehn Jahre alt. Sie liefen zum Spielplatz, gingen durch einen Park, alles ohne ihre Eltern. Als die Kinder nicht wie vereinbart um halb sieben Zuhause waren, machten sich die Eltern auf die Suche.
Nachbarn hatten die beiden Kinder gesehen und inzwischen die Polizei gerufen. Die kam und brachte den Jungen und das Mädchen zum Jugendamt. Der zehnjährige Alexander erzählt im amerikanischen Fernsehen über seine Fahrt im Polizeiauto:
"Wir saßen zweieinhalb Stunden im Auto. Dann sagten sie, sie bringen uns nach Hause und stattdessen landeten wir hier."
Die Polizei sagt, sie hätte nach Vorschrift gehandelt und sie hätte einen Mann beobachtet, der "ein Auge auf die Kinder geworfen hätte."
Klage wegen Vernachlässigung
Es war nicht das erste Mal, dass die Eltern mit dem Behörden Streit wegen ihrer Kindererziehung hatten. Auch im Winter liefen die Kinder unbewacht draußen herum. Die Familie bekam deswegen eine Klage wegen Vernachlässigung an den Hals. Sie zog dagegen vor Gericht und gewann.
Doch damit ist die Diskussion um die sogenannten "free-range-kids" nicht beendet. Der Begriff erinnert an freilaufende Hühner. Doch dahinter steckt eine Debatte, wieviel Freiraum kann man Kindern zubilligen und ab wann wird es unverantwortlich?
Grundsätzlich sind die Amerikaner viel ängstlicher als deutsche Eltern. Sie bringen ihre Kinder zum Schulbus und holen sie wieder ab, auch wenn dazwischen nur ein paar Häuser liegen. Im Bundesstaat Maryland muss sein Kind mindestens acht Jahre alt sein, wenn man es alleine lassen will um schnell einkaufen zu gehen. Ältere Geschwister müssen 13 sein, um auf die Jüngeren aufzupassen.
Kinder brauchen mehr Freiraum
Der Mutter von Alexander und Danielle sind diese Regeln zu eng. Sie findet, Kinder brauchen mehr Freiraum:
"Elternschaft bedeutet in jeder Generation, dass man Kindern hilft unabhängig, verantwortungsvoll und mutig zu werden und das geht nicht, wenn man sie die ganze Zeit beobachtet."
Sie unterstützt deshalb mit ihrem Mann die "free-range-Bewegung". Diese wurde vor einigen Jahren in New York ins Leben gerufen, von einer Mutter, die ihr neunjähriges Kind allein mit der U-Bahn fahren lassen wollte. Diese Eltern sagen, sie könnten am besten selbst beurteilen, wie weit ihr Kind gehen kann.
Das Gegenteil sind die sogenannten Helikopter-Eltern, die ständig über ihren Kindern kreisen, wie ein Hubscharuber über einer viel befahrenen Autobahn.
"Ja, vielleicht sind wir weicher geworden, aber die Frage ist, wo ist die richtige Balance", klagt der Rechtsexperte des Fernsehsenders Fox News.
Die Autorin in der "Washington Post" fasst die Diskussion wie folgt zusammen:
"In den USA haben die Eltern zwei Sorgen: Dass ihr Kind gekidnappt wird und dass es nicht auf die Elite-Uni Harvard kommt."