Freie Liebe und Bewusstseinserweiterung

Von Volkhard App |
Bizarre Formen, üppiger Farbenreichtum, grelle Muster, lärmendes Feedback - Bewusstseinserweiterung war das Zauberwort der Stunde in den 60er Jahren. Einen Überblick über die Kunst der Hippie-Bewegung bietet jetzt die Ausstellung "Summer of Love" in der Frankfurter Schirn.
Eine neue bizarre Welt tat sich auf, jenseits der Alltagswahrnehmung und der Konventionen. "Bewusstseinserweiterung" hieß das Zauberwort für Maler, Graphiker, Rockmusiker, Filmemacher und all die namenlosen Hippies in San Francisco, New York, London und auf dem flachen Land. Sie rebellierten gegen eine innerlich verarmte Welt. So fügte sich dieser Aufbruchselan ein in die explosiven 60erJahre - Landschaft aus Experimentierlust und Protest, aus Pop und Politik. Alles war nahe beieinander.

Überbordende Formen, üppiger Farbenreichtum bis hin zu grellen Mustern waren markante Zeichen dieser Kunst - sie war auffällig und spirituell zugleich und wurde so einflussreich, dass sich die Stilmerkmale bald überall fanden, vor allem auf Plakaten und Plattencovern - man hole nur einmal die Scheiben von Iron Butterfly, Cream, Jimi Hendrix und Frank Zappa aus dem Plattenschrank.

Und die enervierenden Reize drangen aus der zweiten Dimension vor in den Raum, wurden zum Gesamterlebnis aus Musik, Lightshow und Filmprojektion. Keine Rockband wurde ernst genommen, wenn sie nicht in einem bunten Lichtermeer die Sinne verstörte. Andy Warhol konzipierte für die von ihm protegierte Gruppe "Velvet Underground" eine Multimedia-Show mit großflächigen Filmbildern: Nicos Kopf wurde auf das tanzende Publikum projiziert, darüber legte sich das von einer Discokugel reflektierte Licht.

Filme spielen in dieser Schau eine große Rolle, graphische Muster im schnellen Wechsel, es dröhnt und flimmert. "Wir wollen das Bewusstsein sprengen, indem wir die Sinne bombardieren", so eine psychedelische Absichtserklärung 1966 in der Illustrierten "Life". Da wurden alle Register gezogen, das Crossover der akustischen und optischen Reize kannte kein Erbarmen.

In einem Stroboskopraum z.B. sollte das schmerzhaft flackernde Licht direkt ins Gehirn dringen. Betreten auf eigene Gefahr, steht über dem nachgebildeten Raum in der Frankfurter Schirn. Selbst die bunten, rotierenden, von UV-Licht bestrahlten Scheiben von Peter Sedgley lassen einen leichten Schwindel aufkommen.

Dokumentarfotos aus San Francisco und Woodstock, Konzertplakate, Underground-Zeitschriften und knallige Installationen versuchen die damalige Atmosphäre in Erinnerung zu rufen. Der Minimal Art, der Konzeptkunst und klassischen Pop-Art mit Campbell-Suppendosen erweise man in den Kunsthallen immer wieder die Reverenz, Psychedelic werde dagegen verdrängt. Warum eigentlich? Christoph Grunenberg, Direktor der Tate Liverpool:

"Es hat mit der Ästhetik der psychedelischen Kunst zu tun, mit dieser Farbigkeit und Ornamentik. Und natürlich spielt die enge Verflechtung mit der Populärkultur jener Zeit, mit Musik und Mode, eine Rolle - die psychedelische Kunst wurde von der Massenkultur vereinnahmt und war damit für die "ernsthafte" Kunstgeschichte befleckt."

Wichtigste Stimulanz der Psychedelic-Protagonisten war LSD. Die damalige Kunst ließ sich von Trips inspirieren, suchte eine Annäherung an diese Rauscherfahrung, wollte ein "totales Erlebnis" vermitteln. Einer der Künstler hat einem "Esso"-Tankstellenschild in derselben Werbeästhetik eines mit den Buchstaben LSD zur Seite gehängt und damit schamlos offenbart, woraus sein Treibstoff bestand. Kunst und Drogen - keines existierte ohne das andere. Wie gehen wir in der Rückschau damit um? Max Hollein, Direktor der Schirn:

"Ich denke, wir haben allein mit dem daraus entstandenen künstlerischen Produkt zu tun. Sie überprüfen ja auch nicht, ob Toulouse-Lautrec absinth-abhängig war und wie sehr es seine Kunst beeinflusst hat. Das ist für unsere Rezeption nicht wichtig. Sie müssen auch kein LSD einnehmen, um die Werke zu verstehen. Der heutige Drogenkonsum unterscheidet sich von dem damaligen, es sind andere Substanzen mit anderen Wirkungen."

Aber Skeptiker meldeten sich damals schon zu Wort. "Letzte Nacht habe ich das Geheimnis des Universums enträtselt, aber heute morgen wusste ich nicht mehr, was es war", gestand Arthur Koestler dem "Drogenpapst" Timothy Leary. Der wiederum amüsierte das Publikum mit der Feststellung, der LSD-Konsum habe drei Begleiterscheinungen: ein verbessertes Langzeitgedächtnis, ein abnehmendes Kurzzeitgedächtnis, die dritte habe er vergessen.

Faszination und Distanz halten sich in dieser reich bestückten Ausstellung die Waage, z.B. bei Abdul Mati Klarwein, der einst in New York mit Leary, Warhol und Jimi Hendrix zusammenlebte, bevor er seinen Hippie-Träumen auf Mallorca frönte. Von ihm stammt das Covermotiv zu Santanas LP "Abraxas", Klarweins monumentales Environment mit den dichten Motiven aus Mikro- und Makrokosmos, mit exotischen Frauenakten und religiöser Symbolik aber ist schlichtweg Kitsch. Überhaupt darf man den künstlerischen Wert mancher dieser Zeitzeugnisse bezweifeln.

Christoph Grunenberg: "Das stimmt natürlich. Es gibt auch viel schlechte psychedelische Kunst - ebenso wie es schlechte kubistische Kunst gibt. Man muss wie bei allen Kunstbewegungen vorsichtig sein und genau auswählen. Ich hoffe, wir demonstrieren mit dieser Ausstellung, dass damals etwas ganz Wichtiges passiert ist und dass es zweifelsohne noch Bestand hat."

Der psychedelische Aufbruch wurde vom Kommerz vereinnahmt. Und der Ideenfundus dieses "Surrealismus im technischen Zeitalter" von der Werbung geplündert. Drogenopfer, auch unter Rockstars, und Gewaltakte vor Festivalbühnen machten zudem die Schattenseiten des ungestümen Lebens deutlich, die Zeit der Unschuld war bald vorbei. Der Protest verzweigte sich in viele Richtungen.

Es führt kein Weg zurück in die sechziger Jahre, Nostalgie ist in der Schirn nicht gefragt - aber das sagt sich so leicht: im Inneren rührt sich doch etwas, wenn man in fortgeschrittenem Alter vor diesen unglaublichen Plattencovern steht und auf den Fotos die sanft lächelnden Blumenkinder in Woodstock sieht.

Service:
Die Ausstellung "Summer of Love - Psychedelische Kunst der 60er Jahre" ist bis zum 12. Februar 2006 in der Schirn Kunsthalle Frankfurt zu sehen.