"Ein Schatten einstiger Bedeutung"
2011 begann die Freie Syrische Armee ihren Kampf gegen das Assad-Regime. Doch von ihr spricht fast niemand mehr. Sie sei zerrieben im Mehrfronten-Krieg gegen Assad und die IS-Dschihadisten, sagt der Nahost-Experte Günter Meyer.
Dieter Kassel: Ein Blick in den Nahen Osten, das ist seit Tagen, seit Wochen meist ein Blick nach Israel und auf den Gazastreifen, aber die Konflikte in anderen Teilen dieser Region, die sind ja nicht einfach weg, nur weil man von Europa aus nicht mehr richtig hinguckt. In Syrien geht das Fortschreiten der Terrorgruppe IS, Islamischer Staat, immer weiter. Zur Erklärung, IS: Das ist die Terrorgruppe, die vorher Isis hieß, aber seit sie selber in Teilen des Iraks und Syriens ein Kalifat ausgerufen hat, nennt sie sich nur noch Islamischer Staat, IS, und wird auch international so bezeichnet. Diese IS also hat in Syrien einen wichtigen Militärstützpunkt eingenommen, Rakka, hat dort bei Gefechten und vor allen Dingen bei Hinrichtungen mindestens 85 Regierungssoldaten getötet. Und über diese Entwicklungen und was sie für den Bürgerkrieg in Syrien bedeuten, wollen wir jetzt mit Professor Günter Meyer reden. Er leitet das Zentrum für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz. Schönen guten Morgen, Herr Meyer!
Günter Meyer: Guten Morgen, Herr Kassel!
Kassel: Hat denn der Gazakrieg, der immer so im Mittelpunkt steht bei uns, hat dieser Krieg überhaupt Einfluss auf die Konflikte in Syrien?
Meyer: Das nicht, allerdings der Islamische Staat hat durchaus Anhänger im Bereich der besetzten Gebiete des Westjordanlandes. Das heißt, während die israelische Regierung von Anfang an behauptet hat, die Hamas sei für den Mord an den drei israelischen Jugendlichen verantwortlich gewesen, hat die Verantwortung tatsächlich eine Splittergruppe der Dschihadisten im Westjordanland übernommen, die in enger Beziehung steht zu den Salafisten des Islamischen Staates in Syrien und Jordanien.
Kassel: Die israelische Regierung scheint das nicht richtig wahrzunehmen, das war doch bei der Assad-Regierung in Syrien eine ganze Weile ähnlich. Inzwischen bekämpfen die Regierungstruppen natürlich die IS, aber hat nicht Assad, hat sein Regime diese Gruppe, die frühere Isis, eine Weile lang unterschätzt?
Geschickte Strategie Assads
Meyer: Assad hat eine sehr geschickte Strategie gefahren. Er hat einerseits von Anfang an immer gesagt, wir sind die Kraft, die in der Lage ist, gegen die Terroristen zu kämpfen. Und die islamistischen Terroristen, die das Land unter Kontrolle bringen, da steht jetzt im Vordergrund der Islamische Staat. Er hat diesen Islamischen Staat oder die Isis früher zunächst gewähren lassen, ein relativ große Territorium im Norden des Landes, vor allem im mittleren und unteren Euphrattal von dem Islamischen Staat kontrollieren lassen, der gleichzeitig aber gegen die übrigen oppositionellen Gruppen vorgegangen ist.
Das heißt, Assad und der Islamische Staat verfolgten gemeinsame Interessen, nämlich die anderen oppositionellen Gruppen, die Freie Syrische Armee und auch die Nusra-Front zu zerschlagen. Gerade der Islamische Staat ist in den letzten Monaten massiv angegriffen worden von der Nusra-Front, von der Freien Syrischen Armee, mit dem Erfolg, dass der Islamische Staat aus dem Nordwesten weitgehend zurückgedrängt worden ist, aber diesen Kampf hat das syrische Regime dazu genutzt, jetzt seine Position weiter auszubauen.
Das heißt Freie Syrische Armee, Nusra-Front, die anderen dschihadistischen Gruppen sind deutlich geschwächt worden, das Regime in Damaskus hat es geschafft, die drei wichtigsten Städte des Landes – nämlich Damaskus, Hama und Homs vollständig unter Kontrolle zu bringen und Aleppo ist in der Zwischenzeit zur Hälfte, zumindest zur westlichen Seite, wieder in der Hand des Regimes, im Osten von Aleppo wird weitergekämpft.
Aber wenn das Regime die drei wichtigsten Städte unter Kontrolle hat, dann bedeutet das eine enorme Stärkung und Legitimierung von Baschar al-Assad, der ohnehin durch die Wahlen eine sehr breite Unterstützung innerhalb der Bevölkerung bekommen hat.
"Stärkere regionale Zersplitterung"
Kassel: Aber ist das nicht trotzdem ein Pakt mit dem Teufel, der sich für das Assad-Regime rächen kann? Sie haben von der Al-Nusra-Front gesprochen, da gibt es immer mehr Meldungen, dass Kämpfer der Al-Nusra-Front übergelaufen sein sollen zum Islamischen Staat, und der nun wiederum kämpft ja auch gegen Assad.
Meyer: Also es läuft jetzt auf eine stärkere regionale Zersplitterung hinaus. Die Kämpfer der Nusra-Front, die im unteren Euphrattal im Bereich von Deir ez-Zor gewesen sind, die sind der Übermacht des Islamischen Staates nicht gewachsen gewesen, und die haben sich tatsächlich dem Islamischen Staat angeschlossen. Aber im Nordwesten, insbesondere im Bereich um Idlib, dort baut die Nusra-Front – ein Ableger von Al Kaida – ihre Position aus. Gerade in den letzten Tagen haben wir eine Fülle von Selbstmordanschlägen gegen das Regime erlebt, sodass hier die Nusra-Front sich regional etabliert und durchaus relativ gestärkt ist.
Kassel: Das ist alles unübersichtlich. Sie haben ganz am Rande auch die Frage syrischer Armee erwähnt vorhin, das ist das, was ich mich frage: Wo bleiben eigentlich die Gegner von Assad, die Menschen, die gegen ihn kämpfen seit 2011, die keinen islamischen Staat wollen, schon gar kein Kalifat, sondern die ein freies demokratisches Syrien und Wahlen wollen?
Verzweifeltes Bemühen um Unterstützung
Meyer: Die sogenannte Freie Syrische Armee, die ursprünglich aus Deserteuren der syrischen Armee gebildet worden ist, stellt nur noch einen Schatten ihrer einstigen Bedeutung dar. Sie ist weitgehend aufgerieben worden im Kampf einerseits gegen das Regime und andererseits im Kampf gegen den Islamischen Staat.
Sie bemüht sich verzweifelt, Unterstützung von amerikanischer Seite insbesondere zu bekommen, aber die Amerikaner sind sich durchaus bewusst, wenn sie Waffen an die Freie Syrische Armee liefern, wie es auch in der Vergangenheit gewesen ist, führt das immer wieder dazu, dass diese Waffen dann von den radikalen Dschihadisten häufig übernommen worden sind. Das heißt, die Chancen für die Freie Syrische Armee, wirklich hier noch eine Rolle zu spielen in Zukunft, die sind extrem gering.
Kassel: Danke schön! Günter Meyer war das. Er ist der Leiter des Zentrums für Forschung zur Arabischen Welt an der Universität Mainz, und mit ihm haben wir einen Blick geworfen auf die Lage in Syrien.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.