Freie Theaterszene

Unabhängig, kreativ, prekär

Künstleraktivisten des Schwabinggrad Ballett und Mitglieder der Gruppe Lampedusa performen im Juni 2015 in Hamburg vor der Flüchtlingsunterkunft in der Schnackenburgallee.
Künstleraktivisten des Schwabinggrad Ballett und Mitglieder der Gruppe Lampedusa performen im Juni 2015 in Hamburg vor einer Flüchtlingsunterkunft. © dpa / picture alliance / Daniel Bockwoldt
Von Axel Schröder |
Innovative, kritische, experimentelle Stücke – dafür steht die freie Theaterszene. Vielerorts gibt es Partnerschaften mit den etablierten Häusern. Doch Geldmangel beherrscht die Szene überall. In Hamburg traf man sich nun zu einem Kongress.
Selbstbewusst tritt die freie Theaterszene mittlerweile auf. Darin sind sich die Redner und Diskutanten auf dem Fachkongress "Vielfalt gestalten. Frei und fair arbeiten" einig. Aber bei allem Selbstvertrauen hat sich an der prekären Arbeitssituation der Akteure dieser Szene bislang wenig geändert. Und immer noch, so das Fazit von Wolfgang Engler, dem Rektor der Berliner Hochschule für Schauspielkunst "Ernst Busch", würden die Kulturpolitiker staatliche Häuser gegen freie Projekte ausspielen. Vor allem im Osten Deutschlands:
"Ich glaube, die kritischen Länder, was das angeht, sind ostdeutsche Länder. Das sind Mecklenburg-Vorpommern oder Thüringen, wo eine Theaterdebatte geführt wird. Es ist Sachsen-Anhalt mit Dessau und anderen Orten. Und in aller Regel – deshalb sage ich: das ist symptomatisch – kommen dann Kultur- und Finanzpolitiker und ködern den einen Teil mit Versprechen, die auf Kosten des anderen Teils gewonnen werden. Und bedauerlicherweise funktioniert das immer wieder.
"Freie Theater sind Teil der Kulturlandschaft"
Aber diese Gefahr, sich gegeneinander ausspielen lassen, nehme andererseits auch ab, glaubt die frisch ins Amt gewählte Vorsitzende des Bundesverbands der freien Theater Janina Benduski:
"Insgesamt würde ich sagen, dass die Akteure sich stärker als Teil einer Kulturlandschaft begreifen. Weil auch die einzelnen Menschen zum Teil zwischen den Systemen wechseln. Es ist keine Seltenheit, dass man ein halbes Jahr für Stadt- und Staatstheater arbeitet. Oder auch mal zwei Jahre. Und dann wieder eine freie Phase einlegt, wo man freie Projekte macht. Auch innerhalb der freien Tätigkeit mal als Gast irgendwo ist. Das ist gar nicht mehr so strikt getrennt. Insofern fühlt man sich auch als Teil einer gemeinsamen Kunst- und Kulturlandschaft. Und wird diese klassische Gegen-Situation so nicht mehr wollen oder nicht mehr vertreten wollen. Die Kooperation – ob die wirklich stattfindet oder das kollaborative Arbeiten – das ist extrem heterogen. Es gibt Häuser, da finden diese Zusammenarbeiten täglich statt. Das passiert einfach. Und es gibt sicherlich Stellen, wo das noch sehr voneinander getrennt ist dieses Thema."
Und für diese Kooperationen von freien und staatlichen Theatern gebe es eine Menge Beispiele, erklärt auch Amelie Deuflhard, die Intendantin der Kulturfabrik Kampnagel und Gastgeberin des Kongresses:
"Wenn wir nach München gucken, ins ferne Bayern, wo jetzt mein Freund und Kollege Andreas Lilienthal die Kammerspiele leitet und eigentlich fast nur mit Produktionen angefangen hat von Künstlern, die aus der freien Szene kommen; wenn wir in andere Stadttheater in der Republik gucken – nach Köln zum Beispiel, wo Angela Richter, die auch so ein Hamburger Urgewächs immer war eine der Hauskünstlerinnen ist oder nach Hamburg ans Schauspielhaus – überall werden freischaffende Künstler angedockt, auch in Freiburg am Stadttheater."
"Szene ist finanziell marginalisiert"
Und diese Kooperationen seien für die freien Szene ein Schritt nach vorn. Trotzdem sei, gerade auch, um den Kern freier Projekte, ihre Unabhängigkeit zu erhalten, eindeutig mehr Geld nötig:
Deuflhard: "Finanziell, muss man sagen, ist die freie Szene weiterhin marginalisiert. Man kann es wirklich nicht anders sagen: die Fördertöpfe sind fatal klein. Nehmen wir mal Hamburg als Beispiel: 600.000 Euro für die gesamte freie Szene – das sind sehr, sehr viele Künstler für Theater, Musiktheater und Tanz – während, sagen wir mal, das Thalia-Theater circa 23 Millionen hat, das Schauspielhaus noch mehr. Und an diesen Summen merkt man natürlich, dass es nicht wichtig genommen wird! Nicht so richtig."
Nach Angaben der Künstlersozialkasse verdienen Schauspielerinnen oder Autorinnen in freien Projekten gerade mal 1200 Euro pro Monat, ihre männlichen Kollegen magere 1500 Euro. Die Delegiertenversammlung des Bundesverbands Freie Darstellende Künste beschloss deshalb in Hamburg: Zukünftig solle die staatliche Förderung eine Honoraruntergrenze von 2150 Euro möglich machen.
Daneben will der Verband die Kulturverwaltungen von Bund, Ländern und Kommunen an einen Tisch holen, um die Fristen für die Abgabe von Förderanträgen zu harmonisieren. Dann könnten länder- und städteübergreifende Projekte viel leichter gemanagt werden. Und das Beste daran – die Politik wird es freuen: Diese Maßnahme kostet nicht einmal Geld.
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