Unterwegs mit dem Brötchen essenden Wolf
In Halle spielen die Freien Theater von Sachsen-Anhalt drei Tage lang zum "Neuland"-Festival auf. Ziel des Treffens ist es nicht nur, das Publikum zu unterhalten, sondern auch, die vitale Theaterszene des Landes weithin sichtbar machen.
Tom Wolter geht nicht durch Halle, Tom Wolter läuft über seine Bühne. Im Minutentakt hebt der Schauspieler die Hand, grüßt jemanden lachend, wechselt mit diesem ein paar Worte, verabredet sich mit einem anderen ohne anzuhalten zum Kaffeetrinken. Als Stadtrat kennt ihn fast jeder. Viele als Leiter des freien Theaters "Wolter und Kollegen". Nun hat er die künstlerische Leitung des Neuladfestivals übernommen und probt mit seinen Mitspielern die für den Sonnabend geplante Exkursion durch die Stadt, die morgen Nachmittag auf dem Marktplatz beginnt:
"Das ist hier der Startpunkt und die drei Tische sind hier, das ist hier alles gebaut und das Ankommen, Kartenverkauf läuft alles hier an dem Platz."
Gerade einmal 0,5 Prozent des Jahresetats von 60 Millionen für Theater in Sachsen-Anhalt gehen an freie Theater, dabei fallen 50 Prozent aller Theaterbesuche auf sie. Trotz kommunaler Zuschüsse ist das ein Ungleichgewicht, auf das Tom Wolter mit seinem Theaterfestival auch hinweisen möchte.
"Wir machen auch nur Theater, genau wie die städtischen Theater, nur in anderen Strukturen. Spannend ist natürlich, wenn man jetzt die letzten 10–15 Jahre anschaut in Deutschland, ein Großteil der neuen Ästhetiken, der neuen Materialien, der neuen Arbeitsweisen wie Dokumentartheater, wie Recherche, wie vor Ort: Interventionen im öffentlichen Raum. Die sind nicht in den Stadttheatern entstanden und erfunden worden, sondern natürlich in diesen freien, offenen, künstlerisch sehr flüssigen Strukturen."
Aufbruch statt Abbruch
Freie Theater haben Theaterpädagogik übernommen, leiten Theaterkurse – sie bringen also Theater dorthin, wo die Menschen leben. Dort, wo Theater keine mehr Rolle spielt, wo Theater wieder gelernt werden kann.
"Es ist ja gut und toll so, aber es ist nur für uns so, dass wir die öffentliche Förderung erfahren und überhaupt nicht über Standards verfügen. Das hoffe ich, dass wir das in den nächsten 10 oder 15 Jahren auch erleben können, dass es eben nicht diese Tragödie wie in Halle gibt, dass hier eine Spielstätte da ist von der öffentlichen Hand im Eigentum der Stadt – das ehemalige Thalia-Theater und eben nicht genutzt wird als Spielstätte. Da gibt es andere Bundesländer, wo sich das Bewusstsein entwickelt hat, dass es ganz entscheidend zu einer Lebensqualität dazugehört, dass eine aktive Szene da ist. Hamburg und Berlin haben da vorgearbeitet. Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen sind Länder, wo man sieht, aha, da ist trotzdem eine Stadttheaterstruktur da und dahinter ist aber eine Privattheaterszene und Freie Theaterszene oder ein Bereich von darstellender Kunst entstanden, wo Spielstätten entstanden sind, wo ein internationaler Austausch da ist, wo es wirklich um originäre, regionale Produktionen geht."
Die Rote Theaterlaterne für Sachsen-Anhalt? Tom Wolter möchte dem Bundesland auf amüsante und charmante Art und Weise klarmachen, was alles möglich wäre:
"Für die Expedition war es dann eigentlich die Entscheidung, eine Eigenproduktion machen zu wollen, eine Einbildung auch der Stadt und wir haben dann eine Geschichte entwickelt, dass die Stadt voller freier Theater ist. Daraus ist dann die Idee entstanden, dass wir an mehreren Orten diesen Wunsch erlebbar machen."
Ein Haus für die freie Szene
Noch proben die Neuländer um Tom Wolter die Stadtexpedition. Mit dabei sind ein roter Samtvorhang und ein Brötchen essender Pappwolf, der in der Straßenbahn belustigte Menschen anspricht...
"Ich freue mich auf Neuland! Ich freue mich auf Neuland! Wie geht es? Gut, es geht gut."
Beim Neulandfestival sind heute Abend zum Beispiel die Puppet Masters aus Berlin zu Gast, eine Puppenband. Morgen Abend wird mit "Ruanda Memory" eine gefeierte Inszenierung aus Dresden. Doch vorher gibt es die Expedition ins Freie. Die endet im schlammigen Boden mitten auf Halles größter Baustelle. Gleich neben Deutschlands ältestem Varieté, dem Steintor, soll in Zukunft ein freies Theaterhaus stehen. Das wäre doch schön:
"Genau. Hier entsteht der größte Theaterbau im 21. Jahrhundert im deutschsprachigen Raum. Die Straßenbahnschienen sind sogar schon fertig, im Erdgeschoss wird sozusagen in diesem Bau die Straßenbahn hindurchfahren. Unten gibt es dann eine richtige Theaterhaltestelle. Und hier wird ein vierstöckiges Gebäude errichtet mit vier Sälen, fünf Proberäumen und alle freien Theater finden endlich hier am Steintor, nahe der heiteren Muse, ihren tollen neuen Standort."
20 Freie Theater gibt es allein in Halle. Eine reiche Szene, eine unterfinanzierte Szene. Mittlerweile sind die freien Theater aber auch in Sachsen-Anhalt bestens organisiert. Eine Zukunft wird es also geben.