Strippenzieher hinter TTIP
Während der zehnten Verhandlungsrunde zum Freihandelsabkommen TTIP versuchen wieder etliche Lobbyisten, auf die Gespräche in Brüssel Einfluss zu nehmen. Wer sind die Hintermänner und wie arbeiten sie? Eine Spurensuche.
Meine Suche beginnt im Internet. Schnell finde ich eine Liste mit Lobbygruppen, die sich mit der EU-Kommission getroffen haben sollen. Angeblich alles ganz offiziell. Ich suche mir einige heraus, schreibe Mails. Große Hoffnungen mache ich mir nicht. Aber schon nach fünf Minuten klingelt das Telefon. Ein paar Tage später, ein Arbeitszimmer in einem gläsernen Bürokomplex.
"Mein Name ist Holger Kunze. Ich bin Leiter des VDMA-Büros in Brüssel."
Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau. Mit sieben Mitarbeitern vertritt der hier die Interessen von 3.000 deutschen Mittelständlern gegenüber der Kommission.
"Wenn sie anfangen, Verhandlungen vorzubereiten, dann sprechen sie uns an und fragen uns natürlich auch, wo sind die Probleme, was können sie aufnehmen, was sollten sie nicht aufnehmen, wo gibt es Lösungsvorschläge. Und da treten wir dann in einen ganz normalen Arbeitsdialog, der findet in der Regel im Kommissionsgebäude statt in Meetings mit den unterschiedlichsten Teilnehmern in den unterschiedlichsten Konfigurationen."
Es gehe zum Beispiel um Farben von Kabeln oder Standards für Ventile. Wenn die gegenseitig anerkannt oder angeglichen würden, würden die kleinen mittelständischen Unternehmen viel Geld sparen. Das wolle man der Kommission klar machen, damit die in ihren Verhandlungen darauf eingehen könne.
"Es ist jetzt nicht so, dass wir im Detail berichtet bekommen, was am Verhandlungstisch beraten worden ist."
Warum diese Geheimniskrämerei?
Klingt eigentlich alles ganz legitim. Die deutschen Maschinenbauer sagen der EU-Kommission, welche gemeinsamen Regeln durch das Freihandelsabkommen für sie sinnvoll wären. Aber warum dafür diese Geheimniskrämerei? Ich brauche Hilfe, von einem Profi, der die Szene kennt: Ulrich Müller von der lobbykritischen NGO Lobbycontrol.
"Ich glaube, dass die Methoden an sich zum Teil relativ banal sind. Das ist tatsächlich so, dass dann ein Lobbyist in einer E-Mail anfragt: Ich bin heute Nachmittag bei der Generaldirektion Trade. Hast du Zeit, dich mit mir zu treffen? Und da sind es tatsächlich einfach erstmal an sich unspektakuläre Treffen, der Austausch über E-Mail, über Briefe."
Unspektakuläre Treffen, man tauscht sich aus über seine Anliegen. Wo ist da das Problem?
"Das Problem ist das große Ungleichgewicht zwischen den Kontakten und dem Informationsfluss zwischen EU-Kommission und Wirtschaftslobby und den, den es hin zur Zivilgesellschaft und zur Öffentlichkeit gibt."
Und daran sei auch die Kommission Schuld, die Wirtschaftslobbyisten gegenüber NGOs bevorzuge, so Lobbycontrol-Mitarbeiter Müller. Denn da gäbe es nicht so viele kritische Fragen. Zeitweise soll die Zahl der Wirtschaftskontakte die der Treffen mit der Zivilgesellschaft um ein Vielfaches überstiegen haben.
"Natürlich ist es zum Teil auch für NGOs schwieriger – auch von den Ressourcen – so nah dran zu sein."
Ich will näher ran. Also suche ich Jemanden, der die Kommission ganz offiziell berät:
"Mein Name ist Reinhard Quick. Ich leite das Europabüro des Verbandes der Chemischen Industrie hier in Brüssel."
Quicks Kontakte zur Kommission sind ausgezeichnet.
"Ich habe es selten erlebt, dass ich keinen Termin in der Kommission bekommen habe."
Er ist Mitglied in einem erlesenen Kreis: der sogenannten TTIP Advisory Group. 16 Vertreter von Umwelt-, Verbraucherschutz-, und Wirtschaftsgruppen beraten die Kommission bei ihren Verhandlungen mit den USA.
"Wir sollen ja letztendlich der Kommission Rat geben, um die Verhandlung mitbeeinflussen – in Anführungsstrichen – zu können. Wir haben Zugang zu einem Reading-Room. Wir dürfen also bestimmte Dokumente der Kommission lesen, die den Amerikanern vorgelegt werden."
Diese Dokumente sind so geheim, dass sie nur in diesem einen Raum gelesen, aber keinesfalls mitgenommen werden dürfen.
"Was wir wissen, sind natürlich die Positionen der EU. Wie denn eine endgültige Strategie der Kommission zum öffentlichen Auftragswesen aussehen wird, was am Ende rauskommt und wo man Zugeständnisse für die eine oder andere Seite macht, das können wir noch nicht erkennen."
Mehr Transparenz gibt es nur zögerlich
Die Positionen der EU seien aber für Fachleute kein Geheimnis. Bereits geschlossene Abkommen mit anderen Staaten würden eindeutig zeigen, worauf es der EU in den Verhandlungen ankomme. Also könnten auch bei TTIP die EU-Positionen offengelegt werden, so der Industrie-Vertreter.
"Also meines Erachtens sollte es kein Problem sein, auch solche Papiere zu veröffentlichen, weil sie letztendlich noch keine Verhandlungsstrategie beinhalten, aber zeigen, woran es den Europäern gelegen ist in den Verhandlungen."
Mehr Transparenz, dieser Forderung ist die Kommission nachgekommen, allerdings nur zögerlich. Es gibt regelmäßig öffentliche Anhörungen, wo auch NGOs ihre Bedenken äußern können. Außerdem stellt sie zahlreiche Dokumente zu den Verhandlungen online. Die konkreten Ergebnisse der bisherigen Verhandlungen bleiben aber geheim. Warum, will ich wissen.
"Solche Verhandlungen haben natürlich immer ein gewisses Maß an Vertraulichkeit, das notwendig ist. Und das muss man so auch akzeptieren. Das ist wie in privaten Verhandlungen, wenn ich ein Auto verkaufen will und ich weiß, ich würde es verkaufen zwischen 15.000 und 20.000 und ich sag das vorher allen, dann kann ich mir sicher sein, dass ich nicht mehr als 15.000 dafür kriege."
Markus Beyrer ist einer der wichtigsten Lobbyisten in Brüssel.
"Ich bin der Generaldirektor von Businesseurope und wir vertreten die Interessen der europäischen Wirtschaft gegenüber den europäischen Institutionen."
Kaum ein Wirtschaftsthema, zu dem Businesseurope nicht Stellung bezieht. Mit 50 Mitarbeitern und der europäischen Wirtschaft im Rücken ein mächtiger Verband. Und damit auch bei den TTIP-Verhandlungen ein einflussreicher Player – nicht nur auf europäischer Seite.
"Dann arbeiten wir natürlich auch mit unseren Partnern auf amerikanischer Ebene, der US Chamber of Commerce, zusammen und versuchen, in verschiedenen Fragen gemeinsame Positionspapiere zu erarbeiten, wie wir das zum Beispiel im Bereich der regulatorischen Zusammenarbeit gemacht haben."
Würden Lobbyisten die Strategien beider Seiten kennen, würde das die Verhandlungen ad absurdum führen. Dann hätte die Politik ihr Primat verloren.
Ob das so ist, kann ich nicht herausfinden. Fest steht, dass die Wirtschaft beiderseits des Atlantiks viel Geld in die Hand nimmt, um ihre Interessen bei TTIP durchzusetzen. Das ist auch verständlich, schließlich geht es darum, welche Regeln und Standards ihr in Zukunft auferlegt werden. Die Zivilgesellschaft hat es dabei schwer, ihre Interessen zu vertreten. Auch, weil viele NGOs weitaus weniger Geld und Mitarbeiter zur Verfügung haben.
Vor allem aber sorgt die Kommission selbst für viel Unsicherheit. Denn solange niemand sicher weiß, was genau in den Verhandlungen besprochen wird, können auch Befürchtungen vor einem Abbau von Umwelt- und Verbraucherstandards nicht entkräftet werden.