Gefährdete Freiheit

Die Demokratie ist stärker als ihr Ruf

Illustration: Menschen stehen auf einem Wahlzettel und zeigen auf verschiedene Möglichkeiten, ein Kreuz zu setzen.
In den vergangenen zehn Jahren hat sowohl die Zahl an Demokratien und demokratisch regierten Menschen als auch der Grad an Demokratisierung merklich abgenommen. © Getty Images / fStop Images / Malte Müller
Ein Einwurf von Bijan Moini |
In vielen Demokratien knirscht es. Populisten wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro waren an der Macht. Doch global betrachtet strahlt das demokratische Gesellschaftsmodell so weit wie eh und je, meint der Jurist und Politologe Bijan Moini.
„Jetzt auch noch das“, wird sich mancher Demokrat gedacht haben, als vor wenigen Tagen das israelische Parlament Benjamin Netanyahus sechste Regierung bestätigte. Denn einiges, was Netanyahus teils rechtsextreme, teils ultrareligiöse Koalitionspartner von sich geben, klingt beängstigend: Die Justiz wollen sie schwächen, den Einfluss der Religion auf das Recht stärken und Diskriminierung von sexuellen Minderheiten erlauben.
Was auch immer davon tatsächlich geschehen wird – dass Israels Demokratie in Gefahr ist, scheint einen weltweiten Trend zu bestätigen: In den USA will sich eine der beiden großen Parteien nicht mehr an demokratische Grundregeln halten; bei uns erpressen die Regierungen von Ungarn und Polen die ganze Europäische Union; und in Indien baut eine Partei die einst größte Demokratie der Welt in einen hinduistisch-nationalistischen Staat um.

Beispiele gegen den weltweiten Trend

Laut verschiedenen wissenschaftlichen Indizes hat in den vergangenen zehn Jahren sowohl die Zahl an Demokratien und demokratisch regierten Menschen als auch der Grad an Demokratisierung merklich abgenommen. Und fast überall ist es der Rechtspopulismus, der demokratische Institutionen erst in Bedrängnis bringt und dann Schritt für Schritt zurückbaut.
Doch das vergangene Jahr hat gezeigt, dass die Abgesänge auf die Demokratie dennoch falsch sind. Der streitbare Boris Johnson musste nach zahlreichen Skandalen als Premierminister des Vereinigten Königreichs zurücktreten; der Rechtsextreme Jair Bolsonaro scheiterte an seiner Wiederwahl zum Präsidenten Brasiliens; und in den USA blieben die Republikaner in den Zwischenwahlen weit hinter den Erwartungen zurück.

Die wehrhafte Demokratie | Auf dieses Thema werden wir in diesem Jahr in unserem Programm einen besonders aufmerksamen Blick werfen. Alle Beiträge dazu finden Sie hier.

In allen Fällen haben die Ansprüche, die demokratische Gesellschaften an die Integrität ihrer politischen Führung richten, eine entscheidende Rolle gespielt. Ebenso wie freie Medien, die unermüdlich die dunkelsten Ecken des Politikbetriebs beleuchten.

Demokratie ist nicht out

Zur selben Zeit ist im autokratisch regierten China, das so mancher für sein hartes Durchgreifen in der Corona-Pandemie bewunderte, die rücksichtslose Null-Covid-Politik krachend gescheitert. Diese Politik hat sogar zu nicht mehr für möglich gehaltenen landesweiten Protesten geführt, mit Forderungen nach Freiheit und echten Wahlen.
In der Ukraine motiviert die Sorge um eben diese Freiheit und Wahlen ein ganzes Volk dazu, dem Angriff einer aggressiven Atommacht standzuhalten, sie sogar zurückzudrängen. Und in Iran setzen seit Monaten Abertausende von Menschen ihr Leben aufs Spiel, um ein mörderisches System zu überwinden.

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Demokratie ist ganz und gar nicht out. Sie wirkt so gut, verheißt so viel und strahlt so weit wie eh und je. In fast allen Disziplinen schlägt sie ihre Konkurrenz: Die laut dem World Happiness Report 20 Länder mit den glücklichsten Menschen weltweit sind Demokratien. 23 der 25 Länder mit der längsten Lebenserwartung ebenfalls. Die nach dem Times Higher Education Ranking 15 besten Universitäten der Welt befinden sich in Demokratien.
In der Rangliste der Pressefreiheit belegen sie gar die ersten 32 Plätze. Und neun der zehn wertvollsten Unternehmen haben ihren Sitz gar in einer einzigen – den USA. Dass demokratische Strukturen zu diesen Spitzenleistungen einen großen Beitrag leisten, scheint mehr als nur plausibel.

Zukunft der Menschheit ist demokratisch

Die Demokratie für ein Auslaufmodell zu halten, wäre daher kurzsichtig und falsch. Die Zukunft der Menschheit ist demokratisch.
Statt die Demokratie zu zerreden, müssen wir uns deshalb die Alternativen vor Augen führen; statt uns über „die Politiker“ zu ärgern, müssen wir selbst in die Politik gehen; und statt dem Aufstieg von Rechtspopulisten nur zuzusehen, müssen wir die freie Presse unterstützen, demonstrieren und wählen gehen.
Die Demokratie ist in Gefahr, ja, aber sie bietet uns alle Instrumente, um sie zu beschützen.

Bijan Moini ist Rechtsanwalt und Politologe und leitet das Legal Team der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Nach dem Rechtsreferendariat in Berlin und Hongkong arbeitete er drei Jahre für eine Wirtschaftskanzlei. Dann kündigte er, um seinen Roman „Der Würfel“ zu schreiben (2019, Atrium). Zuletzt erschien von ihm bei Hoffmann und Campe „Unser gutes Recht. Was hinter den Gesetzen steckt“ – ein anekdotischer Überblick über das, was unsere Gesellschaft zusammenhält.

Bijan Moini
© Thomas Friedrich Schäfer
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