Freiheit für die Geschichte
Die Leugnung des Holocaust gilt hierzulande als strafwürdiges Verbrechen. Es herrscht eine große Übereinstimmung, dass es niemandem gestattet sein soll, in dem Lande, in dem der Massenmord an den europäischen Juden ins Werk gesetzt wurde, ungestraft die Taten der Nazis und ihrer Helfer zu bestreiten. Sorge vor einer Wiederkehr des in einem blutigen Weltkrieg Überwundenen und der Wille zum Schutz der überlebenden Opfer haben zu diesen Regelungen einer "wehrhaften Demokratie" geführt.
In der deutschen Öffentlichkeit wird darüber kaum mehr gestritten. Das ist auf den ersten Blick erstaunlich, betrifft doch der einschlägige Paragraph 130 des Strafgesetzbuches Grundrechte: Er schränkt die grundgesetzlich garantierte Meinungs- und Redefreiheit und in weiterer Folge auch das Versammlungsrecht erheblich ein. Man sollte denken, dass insbesondere Journalisten sehr empfindlich auf solche Einschränkungen reagieren.
Wer auf diesem Felde debattieren will, begibt sich allerdings auf vermintes Gelände. Unter den Bedingungen des politischen Kampfes und der medialen Zuspitzung gerät hierzulande jeder, der zum Beispiel auch die Meinungsfreiheit eines Holocaust-Leugners verteidigt, sofort in den Geruch, mit dem Bösen zu sympathisieren. Er erscheint nicht als Demokrat, der sich für eine offene Gesellschaft einsetzt, sondern als Anwalt von Neofaschisten, der solchen Verfassungsgegnern Vorteile verschaffen will. An die Stelle des Arguments tritt rasch der Verdacht, und manchmal ersetzt die Denunziation die sachliche Begründung.
Da ist es nur folgerichtig, dass sich in Deutschland auch wenig öffentlicher Widerspruch regte, als die Justizminister der EU im letzten Jahr eine Rahmenvereinbarung unterzeichneten, die für die Billigung, Leugnung oder Trivialisierung von Holocaust und Völkermord europaweit gültige Kriterien der Strafverfolgung festlegen will. Um den "Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" mit schärferen Waffen führen zu können, möchte eine Mehrheit der Minister Meinungstäter bis zu drei Jahre ins Gefängnis stecken.
Man staunt über die Unverhältnismäßigkeit des angedrohten Strafmaßes: Gerade in der jüngsten Zeit kam mancher Schläger und Totschläger, der seine Opfer körperlich und seelisch beschädigte, mit deutlich kürzerem Freiheitsentzug davon, als er jetzt europaweit Meinungstätern winkt.
Man wundert sich auch über die Naivität der Minister, die sich offenbar die Folgen ihres Beschlusses nicht vorstellen können: So ist zu erwarten, dass in den verschiedenen europäischen Ländern aus jeweils unterschiedlichen historischen Gründen und in unerfreulicher Konkurrenz unter den verschiedenen Opfergruppen Kataloge von Völkermorden und Kriegsverbrechen erstellt werden, über die mit äußerster Vorsicht und am besten nur noch in ritualisierten Hohlformeln sprechen und schreiben wird, wer nicht vor Gericht geraten will.
Und man versteht die europäischen Historiker, Wissenschaftler und Publizisten, die sich in einem Appell an die Öffentlichkeit wenden, um vor diesem EU-Rahmenwerk zu warnen. Sie fürchten, bei ihrer Arbeit in einen Verhau von strafbewehrten Denkgeboten zu geraten, der freie und unabhängige Forschung behindert, wenn nicht unmöglich macht. "Der Historiker anerkennt kein Dogma, respektiert kein Verbot, kennt kein Tabu", so heißt es in ihrer Botschaft ans europäische Publikum, die mit Nachdruck daran erinnert, dass staatlich sanktionierte Wahrheiten keinen Platz in einem freiheitlichen Europa haben.
Wer solche Sanktionen dennoch durchsetzen will, nimmt in Kauf, dass das Bild der Vergangenheit höchst gegenwärtigen politischen und moralischen Zwecken unterworfen wird. Er muss, so der liberale britische Historiker Tomothy Garton Ash, dann auch eine "Erinnerungspolizei" installieren, die den freien Austausch der Gedanken überwacht.
Zensur bleibt eben auch dann noch ein Übel, wenn sie aus honorigen Motiven erfolgt. Sie ist darüber hinaus Ausdruck eines fragwürdigen Verhältnisses der Regierenden zu ihren eigenen Bürgern. In den EU-Plänen artikuliert sich ein vormundschaftlicher Anspruch diesen Bürgern gegenüber, denen man offensichtlich grundsätzlich misstraut.
Eine freie Gesellschaft aber braucht Optimismus und Vertrauen. Sie verlangt die Zuversicht, dass in einem offenen und pluralistischen Gemeinwesen die unbehinderte Debatte das einzige Medium ist, in dem festgestellt wird, was als Wahrheit gelten soll. Wie ernst wir es mit dieser Freiheit meinen, bewährt sich nicht im Umgang mit Meinungen und Gedanken, die wir ohnehin teilen und schätzen. Die Probe aufs Exempel findet statt beim Umgang mit Ansichten, die wir hassen und die wir dennoch zulassen, weil wir sicher sind, sie widerlegen und im offenen Streit erledigen zu können. Haben wir hierzulande wirklich keinen Grund zu solchem Optimismus?
Heribert Seifert, geboren 1948 in Dorsten/Westfalen, ist Lehrer und freier Publizist.
Wer auf diesem Felde debattieren will, begibt sich allerdings auf vermintes Gelände. Unter den Bedingungen des politischen Kampfes und der medialen Zuspitzung gerät hierzulande jeder, der zum Beispiel auch die Meinungsfreiheit eines Holocaust-Leugners verteidigt, sofort in den Geruch, mit dem Bösen zu sympathisieren. Er erscheint nicht als Demokrat, der sich für eine offene Gesellschaft einsetzt, sondern als Anwalt von Neofaschisten, der solchen Verfassungsgegnern Vorteile verschaffen will. An die Stelle des Arguments tritt rasch der Verdacht, und manchmal ersetzt die Denunziation die sachliche Begründung.
Da ist es nur folgerichtig, dass sich in Deutschland auch wenig öffentlicher Widerspruch regte, als die Justizminister der EU im letzten Jahr eine Rahmenvereinbarung unterzeichneten, die für die Billigung, Leugnung oder Trivialisierung von Holocaust und Völkermord europaweit gültige Kriterien der Strafverfolgung festlegen will. Um den "Kampf gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit" mit schärferen Waffen führen zu können, möchte eine Mehrheit der Minister Meinungstäter bis zu drei Jahre ins Gefängnis stecken.
Man staunt über die Unverhältnismäßigkeit des angedrohten Strafmaßes: Gerade in der jüngsten Zeit kam mancher Schläger und Totschläger, der seine Opfer körperlich und seelisch beschädigte, mit deutlich kürzerem Freiheitsentzug davon, als er jetzt europaweit Meinungstätern winkt.
Man wundert sich auch über die Naivität der Minister, die sich offenbar die Folgen ihres Beschlusses nicht vorstellen können: So ist zu erwarten, dass in den verschiedenen europäischen Ländern aus jeweils unterschiedlichen historischen Gründen und in unerfreulicher Konkurrenz unter den verschiedenen Opfergruppen Kataloge von Völkermorden und Kriegsverbrechen erstellt werden, über die mit äußerster Vorsicht und am besten nur noch in ritualisierten Hohlformeln sprechen und schreiben wird, wer nicht vor Gericht geraten will.
Und man versteht die europäischen Historiker, Wissenschaftler und Publizisten, die sich in einem Appell an die Öffentlichkeit wenden, um vor diesem EU-Rahmenwerk zu warnen. Sie fürchten, bei ihrer Arbeit in einen Verhau von strafbewehrten Denkgeboten zu geraten, der freie und unabhängige Forschung behindert, wenn nicht unmöglich macht. "Der Historiker anerkennt kein Dogma, respektiert kein Verbot, kennt kein Tabu", so heißt es in ihrer Botschaft ans europäische Publikum, die mit Nachdruck daran erinnert, dass staatlich sanktionierte Wahrheiten keinen Platz in einem freiheitlichen Europa haben.
Wer solche Sanktionen dennoch durchsetzen will, nimmt in Kauf, dass das Bild der Vergangenheit höchst gegenwärtigen politischen und moralischen Zwecken unterworfen wird. Er muss, so der liberale britische Historiker Tomothy Garton Ash, dann auch eine "Erinnerungspolizei" installieren, die den freien Austausch der Gedanken überwacht.
Zensur bleibt eben auch dann noch ein Übel, wenn sie aus honorigen Motiven erfolgt. Sie ist darüber hinaus Ausdruck eines fragwürdigen Verhältnisses der Regierenden zu ihren eigenen Bürgern. In den EU-Plänen artikuliert sich ein vormundschaftlicher Anspruch diesen Bürgern gegenüber, denen man offensichtlich grundsätzlich misstraut.
Eine freie Gesellschaft aber braucht Optimismus und Vertrauen. Sie verlangt die Zuversicht, dass in einem offenen und pluralistischen Gemeinwesen die unbehinderte Debatte das einzige Medium ist, in dem festgestellt wird, was als Wahrheit gelten soll. Wie ernst wir es mit dieser Freiheit meinen, bewährt sich nicht im Umgang mit Meinungen und Gedanken, die wir ohnehin teilen und schätzen. Die Probe aufs Exempel findet statt beim Umgang mit Ansichten, die wir hassen und die wir dennoch zulassen, weil wir sicher sind, sie widerlegen und im offenen Streit erledigen zu können. Haben wir hierzulande wirklich keinen Grund zu solchem Optimismus?
Heribert Seifert, geboren 1948 in Dorsten/Westfalen, ist Lehrer und freier Publizist.