Freiheit versus Vorbestimmtheit der Gedanken
Ist der Mensch nichts anders als das Produkt seiner neuronalen Verschaltungen im Gehirn - oder verfügt er über einen freien Willen? Diesen Fragen widmen sich in ihrem Buch "Freiheit, Schuld, Verantwortung" der Berliner Philosoph Michael Pauen und der Bremer Neurobiologe Gerhard Roth. Es zeigt den Stand der Diskussion und ist für Nicht-Fachleute geschrieben.
Die modernen Wissenschaften haben sich selten für die Freiheit des Menschen interessiert. Eher neigen sie dazu, den Menschen als Maschine zu beschreiben. In den letzten Jahren haben vermehrt auch Neurobiologen zum Verfertigen dieses Menschenbilds beigetragen. Der Mensch sei nichts anders als das Produkt seiner neuronalen Verschaltungen im Gehirn. Zur Formulierung dieser Behauptung haben vor allem die sogenannten bildgebenden Verfahren beigetragen, d. h. die Hirnforscher können heute ziemlich gut darstellen, in welchen Hirnarealen welche Aktivitäten stattfinden, wenn wir eine bescheidene Bewegung ausführen, aber auch bei komplizierten moralischen oder intellektuellen Prozessen.
Das Buch, von dem hier die Rede ist, versucht allerdings die Theorie von der neuronalen Determinierung des Menschen wenigstens zu relativieren. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsproduktion des Berliner Philosophen Michael Pauen und des Bremer Neurobiologen Gerhard Roth, der als Koryphäe seines Faches gilt. Es geht sowohl in dem philosophischen als auch in dem neurobiologischen Teil des Buches darum, einen Ausgleich zwischen Determinismus und Freiheit zu finden. Der Philosoph argumentiert dabei sogar so: Eine gewisse Determinierung macht die Freiheit zur Freiheit. Wenn ich bei Rot vor der Ampel halte, ist das kein ausdrücklich Akt von Willensfreiheit, aber wenn ich die rote Ampel genau sehe und trotzdem fahre, dann kann man von einem Akt der Freiheit sprechen.
Dieses Argumentationsmuster übertragen die beiden dann auf neurobiologisches Gebiet. Anfang der 80er Jahre machte ein Experiment Furore, das seitdem unaufhörlich diskutiert wird. Der amerikanische Neurobiologe Benjamin Libet hatte damals folgende Versuchsanordnung eingerichtet: Probanden sollten eine bestimmte Bewegung ausführen und dabei genau den Zeitpunkt festhalten, an dem ihnen ihr Wille bewusst wird. Gleichzeitig wurden die Hirnströme des Probanden gemessen. Dabei glaubte Libet festzustellen, dass durchschnittlich 500 Millisekunden, bevor der Proband sich seines Willens bewusst wurde, bestimmte handlungsvorbereitende Areale des Hirns bereits aktiv waren. Und das sollte belegen, dass neuronale Aktivitäten dem bewussten Willen vorausgehen. Aber was heißt das für eine Theorie der Freiheit? Pauen und Roth versuchen dagegen zu zeigen, dass neuronale Prozesse die Bedingung sind für bestimmte geistige Prozesse oder für Entscheidungen, aber diese Entscheidungen gehen nicht in neuronalen Prozessen auf. Das wäre so, als sagte man, die Texte oder Bilder auf einem Computer seien in Wirklichkeit nichts als magnetisierte Eisenpartikel.
Jetzt stellt sich nur die Frage, ob man auf dieser Grundlage einen neuen auch juristischen Schuldbegriff neurobiologisch begründen kann, wie Pauen und Roth das versuchen. Doch in Wahrheit kommt da ziemlich genau das heraus, was Juristen mit ihrer Argumentation auch schon wussten.
Insofern, könnte man sagen, bringt das Buch nicht viel Neues. Das stimmt. Aber ich halte es trotzdem für unbedingt lesenswert, denn es zeigt den Stand der Dinge in dieser Frage und es ist für Nicht-Fachleute geschrieben. Man wird so leicht nichts Besseres finden. Aber das Bessere ist eben noch lange nicht befriedigend.
Rezensiert von Walter van Rossum
Michael Pauen/Gerhard Roth:
Freiheit, Schuld, Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit.
Suhrkamp. Edition Unseld. Frankfurt a. M. 2008, 190 Seiten, 10,00 Euro
Das Buch, von dem hier die Rede ist, versucht allerdings die Theorie von der neuronalen Determinierung des Menschen wenigstens zu relativieren. Es handelt sich um eine Gemeinschaftsproduktion des Berliner Philosophen Michael Pauen und des Bremer Neurobiologen Gerhard Roth, der als Koryphäe seines Faches gilt. Es geht sowohl in dem philosophischen als auch in dem neurobiologischen Teil des Buches darum, einen Ausgleich zwischen Determinismus und Freiheit zu finden. Der Philosoph argumentiert dabei sogar so: Eine gewisse Determinierung macht die Freiheit zur Freiheit. Wenn ich bei Rot vor der Ampel halte, ist das kein ausdrücklich Akt von Willensfreiheit, aber wenn ich die rote Ampel genau sehe und trotzdem fahre, dann kann man von einem Akt der Freiheit sprechen.
Dieses Argumentationsmuster übertragen die beiden dann auf neurobiologisches Gebiet. Anfang der 80er Jahre machte ein Experiment Furore, das seitdem unaufhörlich diskutiert wird. Der amerikanische Neurobiologe Benjamin Libet hatte damals folgende Versuchsanordnung eingerichtet: Probanden sollten eine bestimmte Bewegung ausführen und dabei genau den Zeitpunkt festhalten, an dem ihnen ihr Wille bewusst wird. Gleichzeitig wurden die Hirnströme des Probanden gemessen. Dabei glaubte Libet festzustellen, dass durchschnittlich 500 Millisekunden, bevor der Proband sich seines Willens bewusst wurde, bestimmte handlungsvorbereitende Areale des Hirns bereits aktiv waren. Und das sollte belegen, dass neuronale Aktivitäten dem bewussten Willen vorausgehen. Aber was heißt das für eine Theorie der Freiheit? Pauen und Roth versuchen dagegen zu zeigen, dass neuronale Prozesse die Bedingung sind für bestimmte geistige Prozesse oder für Entscheidungen, aber diese Entscheidungen gehen nicht in neuronalen Prozessen auf. Das wäre so, als sagte man, die Texte oder Bilder auf einem Computer seien in Wirklichkeit nichts als magnetisierte Eisenpartikel.
Jetzt stellt sich nur die Frage, ob man auf dieser Grundlage einen neuen auch juristischen Schuldbegriff neurobiologisch begründen kann, wie Pauen und Roth das versuchen. Doch in Wahrheit kommt da ziemlich genau das heraus, was Juristen mit ihrer Argumentation auch schon wussten.
Insofern, könnte man sagen, bringt das Buch nicht viel Neues. Das stimmt. Aber ich halte es trotzdem für unbedingt lesenswert, denn es zeigt den Stand der Dinge in dieser Frage und es ist für Nicht-Fachleute geschrieben. Man wird so leicht nichts Besseres finden. Aber das Bessere ist eben noch lange nicht befriedigend.
Rezensiert von Walter van Rossum
Michael Pauen/Gerhard Roth:
Freiheit, Schuld, Verantwortung. Grundzüge einer naturalistischen Theorie der Willensfreiheit.
Suhrkamp. Edition Unseld. Frankfurt a. M. 2008, 190 Seiten, 10,00 Euro