Freiheiten für Corona-Geimpfte – Zwischen Vorfreude und Vorsicht
Darüber diskutiert Vladimir Balzer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr mit der Journalistin Anna Mayr und dem Immunologen Carsten Watzl. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 0800 2254 2254 sowie per E-Mail unter gespraech@deutschlandfunkkultur.de.
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Zwischen Freude und Vorsicht
87:19 Minuten
Endlich wieder mit Freunden treffen, ohne Test einkaufen oder zum Friseur gehen, keine Quarantäne mehr nach dem Urlaub. Ab diesem Wochenende gelten für Corona-Geimpfte und Genesene mehr Freiheiten. Was überwiegt bei ihnen – Freude oder Vorsicht?
Immer mehr Menschen können sich hierzulande über einen Corona-Impftermin freuen: Nahezu jeder Dritte hat eine erste Spritze erhalten, etwa neun Prozent der Bevölkerung haben mit der zweiten Dosis den vollen Impfschutz. Die Ansteckungsrate sinkt.
Mit dem Impftempo war auch der Druck auf die Bundesregierung gestiegen, die Einschränkung der Grundrechte für vollständig Geimpfte und Genesene zurückzunehmen. Ab diesem Wochenende treten erste Lockerungen in Kraft – ein Schritt zu mehr Normalität.
Doch des einen Freud ist des anderen Nachteil. Noch immer kann die Mehrheit hierzulande von Freiheiten nur träumen – das betrifft vor allem Jüngere, die zu keiner priorisierten Gruppe gehören.
Die Debatte kommt zu früh
"Mit der Spritze endet offenbar die Solidarität", konstatiert die Journalistin und "Zeit"-Redakteurin Anna Mayr in einem Kommentar. Während vornehmlich Ältere die erhofften Freiheiten genießen könnten, seien Teenager, junge Erwachsene und andere Ungeimpfte weiterhin von Einschränkungen betroffen.
Sie frage sich: "Wird eine Oma im Freibad sein können, aber ihre Enkel nicht?"
Sie gönne Älteren die Lockerungen, besonders Bewohnerinnen und Bewohnern in Pflegeheimen, so Anna Mayr. Aber die Debatte käme zu früh. Noch gebe es nicht genug Impfstoff für alle, die ihn wollten. Gerade Jüngere hätten in dem vergangenen Corona-Jahr Rücksicht und Solidarität geübt.
"Natürlich ist es ungerecht, dass Kinder ein Jahr nicht in die Schule gehen können." Dagegen seien die Lockerungen, um die es jetzt gehe, eher "Luxusgüter". Die allenthalben beschworene Solidarität sehe anders aus.
"Aus der dritten Welle können wir uns nicht rausimpfen"
"Wir haben im Moment die glückliche Situation, dass wir hoffentlich die Inzidenzen durch die Notbremse und das Impfen herunterbekommen", sagt Prof. Dr. Carsten Watzl, Immunologe am Leibniz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund und Generalsekretär der Deutschen Gesellschaft für Immunologie. "Aber aus der dritten Welle können wir uns nicht rausimpfen."
Angesichts von derzeit noch nicht einmal zehn Prozent zweifach Geimpfter müsse man bei aller Freude immer noch vorsichtig sein. "Lockerungen schon, ähnlich wie bei negativ Getesteten." Zum Beispiel beim Friseurbesuch oder dem Shoppen.
Zurückhaltender ist Carsten Watzl, wenn es um Aktivitäten in Innenräumen geht. "Wir haben immer noch einen Mix aus wenigen Geimpften und vielen Ungeimpften. Gerade im Fall von hohen Infektionszahlen ist das problematisch."
Zwei-Klassengesellschaft der Immunität
Der Wissenschaftler verweist zudem auf eine "Zwei-Klassengesellschaft der Immunität": "Das bedeutet, dass die Immunität nach einer durchgemachten Infektion zwar gegeben ist, aber nicht so stark ist wie nach der Impfung." Genesene zeigten einen unterschiedlich hohen Spiegel an Antikörpern.
Sein Rat: "Eine Immunität, die durch eine Infektion gekommen ist, sollte auf jeden Fall durch eine Impfung aufgefrischt werden."
Carsten Watzl setzt auf den saisonalen Effekt des Sommers, dann könne man auch über Lockerungen für Nichtgeimpfte und Jüngere nachdenken. "Dann wird sich das Ganze entspannen. Aber es darf nicht passieren, dass sich die Leute nicht impfen lassen." Ziel müsse weiterhin die Herdenimmunität sein.
(sus)