Mehr Waldbrände - und Brandbekämpfer in Nöten
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Wegen des Klimawandels steigt die Zahl der Waldbrände, besonders im trockenen Brandenburg. Noch gibt es dort rund 40.000 Freiwillige Feuerwehrleute. Aber viele Bürger können sich für dieses Ehrenamt nicht mehr begeistern – aus vielerlei Gründen.
Ein Dienstagabend Ende Oktober, es wird allmählich dunkel. Vor der Fahrzeughalle der Freiwilligen Feuerwehr von Phöben bauen zwölf Jungen und Mädchen die Technik auf: Heute wollen sie einen "Schaumangriff" üben, das Löschen eines Feuers mit Schaum. Die Kinder im Alter von sechs bis zwölf Jahren sind mit Feuereifer bei der Sache.
"Es macht Spaß", sagt eines der Kinder. "Und außerdem möchte ich später auch mal den Beruf Feuerwehr machen. Also ist es cool, wenn ich jetzt schon zur Feuerwehr gehe."
Die Jugendfeuerwehr in diesem Ortsteil der Kleinstadt Werder, westlich von Potsdam, hat keine Nachwuchsprobleme, erzählt Stephan Gramlich, einer der beiden Betreuer, 39 Jahre alt, im Hauptberuf Bundespolizist. Das liege auch daran, dass die Feuerwehr Phöben im Leben der Dorfgemeinschaft sehr präsent sei. Auf vielen Festen ist sie dabei und hält Übungen im Dorf ab, auch mit ihrer Jugendabteilung.
Ganz anders sehe es bei den erwachsenen Feuerwehrleuten aus, denjenigen, die im Ernstfall raus fahren und löschen oder Unfallopfer retten müssen. "Ich kann's ganz konkret festmachen an der Jubiläumsfeier der Feuerwehr Phöben im letzten Jahr", erklärt Gramlich. Dabei sei der Einsatz der Feuerwehr in der Zukunft dargestellt worden - aus dem Löschfahrzeug sei aber nur der Maschinist ausgestiegen und kein weiterer Feuerwehrmann anwesend gewesen. "Da habe ich gedacht, so kann die Zukunft ja nicht aussehen, sondern es müssen ja genügend Leute dabei sein und mitarbeiten."
Dramatischer Facebook-Appell zeigte Wirkung
Stephan Gramlich ist damals eingetreten. Damit besteht die Ortswehr Phöben derzeit aus acht Männern und Frauen. Eigentlich werden aber pro Einsatz neun Kräfte gebraucht. So ausgedünnt kann der Brandschutz kaum aufrechterhalten werden. So geht das seit vielen Jahren. Anfang September reichte es Andreas Schütt: Der hagere 43-Jährige ist der Ortswehrführer der Freiwilligen Feuerwehr Phöben. Er startete einen dramatischen Appell auf Facebook.
"Es ist eigentlich schon eine Weile bekannt - aber wir wollten jetzt mal die Bombe platzen lassen", erklärt Schütt. "Man muss da auch mal seinen Standpunkt deutlich machen - und mal so, dass die Leute es kapieren und dass ein Ruck durch die Gemeinde geht. Und die Leute vielleicht auch mal auf die Idee kommen nachzufragen."
Der Aufruf der Phöbener Feuerwehr, ihre Wehr müsse schließen, wenn sich nicht mehr Leute engagieren, zeigte Wirkung. Heute ist der erste gemeinsame Dienst mit den neuen Kameraden. Ein Freitagabend, andere sind jetzt beim Sport oder mit der Freundin im Kino. Zwei frisch gebackene Ehrenamtler streben stattdessen in der Fahrzeughalle zum riesigen, rot glänzenden Löschgruppenfahrzeug vom Typ LF 8/6. Der ganze Stolz der Phöbener Feuerwehr nimmt fast die komplette Halle ein. Der erfahrene Feuerwehrmann Ramon Beciri übernimmt die Einweisung: "Sooo. Mal ins Fahrzeug. Auch nochmal: Erste-Hilfe-Zeug, Wagenheber. Kann man immer gebrauchen, für hydraulische Einsätze."
Ein weiterer neuer Kamerad ist Chris Wagenknecht, 19 Jahre alt, er macht gerade eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Der junge Mann sitzt mit dem Anmeldeformular im Besprechungsraum und erklärt: "Ich möchte in die Feuerwehr, weil ich Menschen helfen möchte. Es macht mir einfach Spaß, kameradschaftlich zu arbeiten."
Chris Wagenknecht hat den Schritt gemacht, ist zum Feuerwehrgerätehaus in Phöben gegangen und hat die Truppe angesprochen. Viele tun das nicht. Und das aus den unterschiedlichsten Gründen, erläutert Stephan Gramlich mit einem Seufzen: "Die finden irgendeine Ausrede. 'Die Familie kommt zu kurz' oder 'Ich kann es mit dem Job nicht vereinbaren.' Die finden mehr Punkte, die dagegen sprechen als die, die dafür sprechen."
Neue Regierung will Fördermittel erhöhen
Bürgerdialog mit SPD-Ministerpräsident Dietmar Woidke in Beelitz, wenige Wochen vor der Landtagswahl am 1. September. Der Saal in der Spargelstadt ist voll. Das Lob der Freiwilligen Feuerwehr nimmt viel Raum ein im Wahlkampf des Regierungschefs. In der Realität aber lasse die Landesregierung die Kommunen bei der Ausstattung der ehrenamtlichen Retter im Stich: Diesen Vorwurf erhebt Anja Schmollack, CDU-Vorsitzende in Treuenbrietzen - und sagt, sie sei selbst Feuerwehrfrau. "Sie schieben den Verantwortungsbereich von Kommunen, die sich das eben nicht finanziell gut leisten können, ab", sagt sie in Richtung Landesregierung. "Sie reden sich darauf raus, dass die Kommunen die Brandschutzträger sind und lassen die Kommunen mit diesen Aufgaben alleine."
Ministerpräsident Woidke widerspricht: Das Land habe in den vergangenen Jahren 35 Millionen Euro in die Feuerwehrgerätehäuser der Kommunen investiert. Außerdem zahle Brandenburg den ehrenamtlichen Feuerwehrleuten eine Prämie. Woidke betont: "Wir sind das erste und einzige Bundesland, das das macht, und ich bin stolz drauf."
Die Wahl hat die SPD am 1. September trotz großer Verluste knapp gewonnen, demnächst wird sie aller Voraussicht nach mit CDU und Grünen zusammen regieren. Im Koalitionsvertrag steht, dass gesellschaftlich engagierte Menschen wie die Freiwilligen Feuerwehrleute das Fundament des Landes seien. Die neue Regierung werde sie personell und materiell unterstützen. Schon die bisherige rot-rote Landesregierung habe die Feuerwehrausbildung als Wahlpflichtfach an Sekundarschulen eingeführt, bundesweit einmalig, betont der noch amtierende SPD-Innenminister Karl-Heinz Schröter. Auch seien schon reichlich Landesmittel investiert worden.
Für die Zeit zwischen 2012 und 2018 kämen noch einmal rund 14,5 Millionen Euro für den Katastrophenschutz und die Fahrzeugtechnik hinzu. "Das ist schon richtig viel Geld", so Schröter.
Und weil viele veraltete Löschfahrzeuge demnächst ausgetauscht werden müssten, werde die neue Regierung die Fördermittel für die Technikausstattung um rund drei auf zukünftig zehn Millionen Euro erhöhen.
"Es kommt letztlich bei uns garantiert wieder nichts an"
Der CDU-Politikerin Anja Schmollack in Treuenbrietzen reicht das nicht. Sie wurde nach einem Verkehrsunfall vor ein paar Jahren von der Freiwilligen Feuerwehr aus ihrem Auto befreit und ist danach Mitglied geworden. Als im August vergangenen Jahres ein Großbrand im Wald um ihren Heimatort Treuenbrietzen ausbrach, Ortschaften evakuiert werden mussten, da war sie mit hunderten Kameraden tagelang im Dauereinsatz, statt wie geplant mit ihrem Mann an der Ostsee. Weil in dem Gebiet alte Munition liegt, konnten sie die Flammen nur vom Löschwagen aus auf den Waldwegen bekämpfen.
"Das hat das Ganze auch so lange verzögert, weil dann immer wieder Brandherde aufkamen", erklärt Schmollack. Immer wieder habe es Detonationen gegeben. "Wenn da 100 Meter weiter was detoniert, dann rutscht einem schon mal das Herz in die Hose, ja."
Wegen des Klimawandels wird die Zahl der Waldbrände steigen. Und die Feuerwehr in Treuenbrietzen benötigt dringend ein modernes Tanklöschfahrzeug, kurz TLF, das große Mengen Wasser und Schaum bunkern und von dessen Dach man weit in den munitionsbelasteten Wald hinein spritzen könne.
"Wenn Sie allein bedenken, dass wir ein TLF 4000 brauchen und dieses TLF 4000 in der Grundausstattung schon mal 500.000 kostet, dann relativieren sich die zehn Millionen sehr, sehr rasch", so die Lokalpolitikerin. Auch sei noch nicht geklärt, wie die Kommunen ihre Feuerwehrleute mit persönlicher Schutzausrüstung ausrüsten können, wenn die Gelder fehlten. "Atemschutzgeräte - da sind Sie mal schnell bei anderthalbtausend", so Schmollack. "Es hört sich immer alles super an: Wir stecken zehn Million zusätzlich in die Feuerwehr. Aber es kommt letztlich bei uns garantiert wieder nichts an.
Dafür habe man dann aber den Ärger im Job, wenn während der Arbeitszeit der Alarm zum Löschen ruft. Obwohl es gesetzlich verankert ist, dass Freiwillige Feuerwehrleute dann zum Einsatz fahren dürfen, hätten immer weniger Chefs dafür Verständnis, sagt die Lokalpolitikerin.
"Die sagen dann halt: 'Ja, wenn du das zweimal machst, dann kannst du dir einen neuen Job suchen.' Leider ist es oft so der Fall, ja."
Mit Bierbechern beworfen und bespuckt
In der hellen Backstein-Feuerwache im Cottbuser Stadtteil Sandow freitags von 19 bis 21 Uhr - eine Begrüßung wie unter Brüdern. Der Termin ist bei ihnen allen fest geblockt. Die Männer zwischen Mitte 20 und Mitte 60 knuddeln sich, scherzen, frozzeln, als hätten sie sich Ewigkeiten nicht gesehen. Wie ein lästiger Pflichttermin wirkt das nicht: Die Freiwillige Feuerwehr ist in Zeiten der Vereinzelung auch einer der letzten sozialen Treffpunkte. Kameradschaft - dieser Begriff fällt hier sehr oft. Kay Kruppa, 43, hat als Jugendlicher bei der Feuerwehr angefangen, seit 20 Jahren ist er Berufsfeuerwehrmann. Die Freiwillige Feuerwehr sei eine fest eingeschworene Gemeinschaft, sagt er. "Wenn der eine Feuerwehrmann Mist baut, dann hat das schon andere Konsequenzen." Das schweiße so fest zusammen, dass das auch ins Privatleben übertragen werde und verbinde.
Zumal es jede Sekunde so weit sein kann. Jeder trägt ständig einen sogenannten Pieper bei sich, auf der Arbeit, beim Einkaufen, in der Badewanne, im Bett. Und man weiß nie, was ansteht. Ob Fehlalarm eines Rauchmelders, ob schwerer Unfall oder tragischer Suizid. In härteren Fällen gibt es professionelle Betreuung. Max Udewenz sagt, er werde oftmals auch für verrückt erklärt, dass er das freiwillig auf sich nehme; auch von seinen Arbeitskollegen. "Meine Eltern, Großeltern finden es total klasse, sind sehr stolz, dass ich das hier mache."
Wertschätzung, die aber beileibe nicht mehr alle Menschen an den Einsatzorten teilen. Jeder der Männer kann inzwischen Geschichten erzählen, wie Rettungskräfte bei der Arbeit behindert oder bedroht werden. Einer wurde bei einem Verkehrsunfall per Faustschlag niedergestreckt. Der schlimmste Einsatz des 26-jährigen Mark Wiebrecht war der bei einem Fußballspiel von Energie Cottbus. Im gegnerischen Fanblock waren Schals angezündet worden. So ein Hass sei ihm noch nie entgegengekommen, sagt er. "Wir wurden mit Bierbechern beworfen, wir wurden aufs Gröbste beschimpft und auch bespuckt. Mir wurde sogar in den Mund gespuckt."
Auch diese Angst umeinander schweiße zusammen, so beschreiben es die Männer. Benjamin Böhm und Max Udewenz haben große Teile ihres Lebens in die Welt der Feuerwehr verlegt. Sie engagieren sich auch noch in der Jugendarbeit der Feuerwehr - neben dem Hauptberuf, ohne jede Entlohnung. In Brandenburgs zweitgrößter Stadt Cottbus kommen immer mehr junge Leute mit Migrationshintergrund dazu. Die Faszination für Technik, Tempo, große Autos - die sei offenbar überall auf der Welt die gleiche. Und doch sei man überrascht gewesen, wie gut sich die Jugendlichen hier integrieren, so Benjamin Böhm. Sie seien wissbegierig und sprächen fließend Deutsch. "Und für den späteren Einsatz haben wir im Ernstfall jemanden, der dolmetschen könnte."
AfD-Werbung als Feuerwehrmann
Integrationsarbeit auf der einen Seite, auf der anderen Seite ein Vorkommnis, das die Cottbuser Feuerwehr in die Schlagzeilen brachte: Bei einer rechtsextremen Demonstration sendet ein Feuerwehrmann durch den Lautsprecher eines Einsatzfahrzeugs einen Gruß an "die Patrioten in Cottbus". Die Nachfrage, inwiefern diese Vermischung von rechter Gesinnung und altruistischem Einsatz in ihren Reihen für Diskussion gesorgt habe, dämpft die ausgelassene Stimmung dann doch spürbar. Dass einer ihrer Kameraden seine politische Heimat in rechten Kreisen gefunden hat, sei für die anderen kein Problem, sagt Kay Kruppa, der Mann vom Stadtfeuerwehrverband. Der Einsatz als Feuerwehrmann und das Engagement in einer rechten Partei hätten nichts miteinander zu tun: "So wie die Kameraden der Freiwilligen Feuerwehr das als Hobby machen neben ihrem Beruf, machen eben auch Berufsfeuerwehrleute ein Hobby neben ihrem Beruf. Und das ist bei Lars Schieske die Politik, die er nebenbei macht." Er trennt das aber ganz klar, meint Kruppa.
Aber: Eben nicht ganz. Der AfD-Mann Lars Schieske, der die rechten "Patrioten" aus dem Feuerwehrauto grüßte, setzte auch im Wahlkampf für den Brandenburger Landtag auf das Freund-und-Helfer-Image des Feuerwehrmanns. Mit Erfolg: Schieske gewann das Direktmandat in seinem Wahlkreis in Cottbus.
Zwei Feuerwehrmänner suchen nach dem offiziellen Termin noch einmal das Gespräch: Den meisten Kameraden sei es ganz und gar nicht gleichgültig, dass der Feuerwehrmann Schieske zur AfD abgewandert sei. Es kotze ihn an, dass einer aus ihren Reihen alle ihre Werte verrate. Der Mann findet deutliche Worte, seinen Namen will er hier lieber nicht genannt wissen. Dass es so aussehen könnte, als sei die Feuerwehr von rechts unterwandert. Und als sei Cottbus ein braunes Nest, das sei ein großes Thema seitdem. Alles, wofür Feuerwehr steht, sei praktisch das Gegenteil von Schieske und AfD. Zum Beispiel die gelebte Toleranz und Gleichberechtigung in der Jugendfeuerwehr von Sandow.
Integration durch die Jugendfeuerwehr
Die trifft sich zwei Wochen später, an einem späten Freitagnachmittag, und paukt erst einmal Theorie. Der Umgang mit Funkgeräten soll aufgefrischt werden. Die Jugendlichen sind zwischen zwölf und 17 Jahren, unter ihnen zwei mit dunklerer Hautfarbe, die 17-jährige Golin und ihr 14-jähriger Bruder Nafti, beide geboren im hessischen Gießen. Ihre Eltern sind Inder.
Golin kam über Freunde zur Feuerwehr - wollte zunächst nur mal schnuppern. Und blieb. Weil alles, was sonst in der Stadt manchmal schwierig sei, hier keine Rolle spiele. Weil es auf der anderen Seite eine tolle Möglichkeit sei, sich für etwas Gutes zu engagieren. Es sei ein Geben und Nehmen. Was sie bekomme, sei ein bisschen mehr Respekt. "Ich bemerke, wenn ich in der Uniform dastehe, werde ich anders angesehen als wenn ich normal in Straßenklamotten dastehe. Da fühle ich mich integriert, auch wenn das an der Stelle vielleicht nicht das richtige Wort ist."
Schließlich sei sie ja hier in mehrfacher Hinsicht eine Ausnahme. Als Mädchen. Und mit dunkler Hautfarbe. Und beides sei hier eben einfach belanglos. Denn bei der Freiwilligen Feuerwehr sind alle gleich.
(abr)