Fremdbestimmung

Das Arbeitsrecht hat ausgedient

Geschäftsmann läuft in einem Hamsterrad beobachtet von einem anderen Geschäftsmann.
In der Fremdbestimmung heutiger Arbeitsverhältnisse regiere eine politisch längst überholte Feudalherrschaft ökonomisch weiter, so Philip Kovce. © imago/Ikon Images
Von Philip Kovce · 07.06.2018
Das Arbeitsrecht von heute muss reformiert werden, findet der Ökonom und Philosoph Philip Kovce. Es begründe ein Schuldverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, kein Vertrauensverhältnis. Das fördere nur den Dienst nach Vorschrift statt die Kreativität.
Wenn wir Arbeitsmarktstatistiken glauben dürfen, dann erklimmt die Anzahl der Erwerbstätigen deutschlandweit immer neue Höhen. Und wenn wir genauer darauf schauen, wie da eigentlich gearbeitet wird, dann ergibt sich folgendes Bild: Von den insgesamt rund 45 Millionen Erwerbstätigen dieser Tage sind rund 40 Millionen Arbeitnehmer – Pi mal Daumen 90 Prozent. Nur jeder zehnte Erwerbstätige ist selbstständig.

Arbeitnehmer verkaufen weisungsgebundene Arbeitskraft

So unterschiedlich die Arbeits- und Lebensbedingungen der Beamten, Angestellten, Arbeiter, Auszubildenden, Minijobber oder Soldaten auch sein mögen – eines eint sie doch: Für sie ist nicht die freiberufliche Tätigkeit, sondern die abhängige Beschäftigung teils bunter, teils grauer Arbeitsalltag. Was auch immer sie tun, sie verkaufen ihre weisungsgebundene Arbeitskraft.
Interessanterweise nehmen wir kaum daran Anstoß, dass in der Fremdbestimmung heutiger Arbeitsverhältnisse eine politisch längst überholte Feudalherrschaft ökonomisch weiterregiert. Bereits die Sprache weist uns darauf hin, dass der Arbeitnehmer ursprünglich ein Dienstnehmer war: ein Bote, dem sein Herr, der Dienstgeber, die Dienerschaft gewährte. Rechtshistorisch geht der Arbeitsvertrag weisungsgebundener Beschäftigter auf das Mietrecht für römische Sklaven zurück. Vertragsfreiheit sieht anders aus.

Mit politischer Freiheit kam ökonomische Abhängigkeit

Doch wie konnte es überhaupt dazu kommen, dass sich heutzutage unzählige freie Bürger in abhängigen Beschäftigungsverhältnissen befinden? Das hat, wenn man so will, mit der Ironie der Geschichte zu tun. Während infolge der Aufklärung gegen politische Unterdrückung aufbegehrt wurde und sich bürgerliche Freiheiten etablierten, bedeutete die Industrialisierung zugleich den Verlust vieler selbstständiger Tätigkeiten in Handwerk oder Landwirtschaft. Während politische Unterdrückung beendet wurde, wurde ökonomische Entfremdung begründet.
Natürlich ist mir nicht entgangen, dass die Sklaverei längst abgeschafft, Zwangsarbeit inzwischen verboten und die freie Berufswahl ein Grundrecht ist. Ich verkenne auch nicht all die gewerkschaftlichen Errungenschaften in Sachen Arbeitsschutz und betrieblicher Mitbestimmung. Doch das alles ändert nichts daran, dass die heutigen Arbeitsverträge einer Tradition entstammen, die zwar standesgemäß Vorgesetzte und Untergebene kannte, aber keine mündigen Bürger.

Auch der Sozialstaat muss sich wandeln

Wer sich die Herausforderungen der künftigen Arbeitswelt vergegenwärtigt, dem leuchtet ein, dass sich das Arbeitsrecht grundlegend ändern muss. Denn wenn unternehmerische Initiative, Eigenverantwortung, Selbstmanagement und intrinsische Motivation zunehmend auch von Arbeitnehmern gefordert ist, dann sind Arbeitsverträge, die all dies gerade verhindern sollten, dafür mehr als ungeeignet. Sie bedingen vielleicht Fleiß, Gehorsam und Dienst nach Vorschrift, aber sicher nicht Selbstbestimmung, Kreativität und Dienst am Kunden.
Das heißt nicht, dass Soldaten demnächst auf eigene Faust in den Krieg ziehen oder wir die globale Arbeitsteilung zugunsten lokaler Selbstversorgung aufgeben müssten. Im Gegenteil: Wenn wir ein Arbeitsrecht entwickeln, das Digitalisierung und Individualisierung Rechnung trägt und kein Schuld-, sondern ein Vertrauensverhältnis begründet, dann könnte dies selbstbestimmte partnerschaftliche Zusammenarbeit befördern und die anachronistische Unterscheidung zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern überwinden. Freilich müsste sich dafür auch der Sozialstaat wandeln, der für fremdbestimmte Lohnarbeiter geschaffen wurde und Freiwilligkeit in Sachen Arbeit nicht kennt. Doch genau darum geht es: zu berücksichtigen, dass gute Arbeit freier Menschen künftig nichts anderes als Freiwilligenarbeit ist.

Philip Kovce, geboren 1986, Ökonom und Philosoph, forscht am Basler Philosophicum sowie an der Seniorprofessur für Wirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke. Er gehört dem Think Tank 30 des Club of Rome sowie dem Forschungsnetzwerk Neopolis an und veröffentlichte gemeinsam mit Daniel Häni: "Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen" (2017).

Philip Kovce - 1986 in Göttingen geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Er ist Mitbegründer des Basler Philosophicums, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke sowie Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome. Veröffentlichungen (Auswahl): Der freie Fall des Menschen ist der Einzelfall. Aphorismen (Futurum Verlag); An die Freude. Friedrich Schiller in Briefen und Dichtungen (hrsg., AQUINarte Kunst- und Literaturpresse); Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität (hrsg. mit Birger P. Priddat, Metropolis Verlag).
© Ralph Boes
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