Fremden Raum erkunden

Von Dina Netz |
Die Duisburger Akzente sind ein multimediales Festival, das zum 34. Mal stattfindet: dieses Jahr unter das Motto "500 Jahre Gerhard Mercator". Dort wurde auch "Das Leben in der Tasche" uraufgeführt. Ein Stück von den beiden Künstlern Anja Schöne und Thorsten Töpp.
Theaterleute sind per se Menschen, die einen fremden Raum erkunden und für eine gewisse Zeit besetzen. In Duisburg hat sich jetzt gleich ein ganzes Festival einen fremden Raum angeeignet: Die "Akzente" haben im ehemaligen Kaufmännischen Berufskolleg am Burgplatz ihr Festivalzentrum errichtet - an dem Ort, an dem vor 500 Jahren das Wohnhaus des Globenbauers und Kartografen Gerhard Mercator stand, den man mit diesem Festival ehren will. Und Fremdheit ist auch das Thema zweier Theaterproduktionen, die bei den Duisburger "Akzenten" gezeigt wurden.

Regisseurin Anja Schöne hat für "Das Leben in der Tasche" Geschichten von Menschen gesammelt, die aus der ganzen Welt kommen und heute in Duisburg leben. Die Produktion, zu der Thorsten Töpp die Musik und Karin Gerfen die Installation beigesteuert haben, hat einen Trakt des Berufskollegs bezogen. Die Zuschauer gehen mehrere Räume ab, die zum Beispiel mit "blau: Vogelstation und Versammlungsstätte", "rot: Pfeiffer und Trommler", "gelb: alles klingt" bezeichnet sind. In jedem Raum passiert etwas andere - Tanz, Musik, oder einer der Darsteller erklärt, dass er anhand des Geruchs nach dem "Normmenschen" sucht.

Zwischendurch und am Schluss kommen alle wieder zusammen, und dann erzählen alle sechs Darsteller Bruchstücke aus den Biografien der befragten Fremden. Doch das Wenige wird so stark poetisiert und so stark überlagert von den vielen Rollen- und Szenenwechseln, dass diese Geschichten der Neu-Duisburger, die vermutlich richtig spannend wären, völlig untergehen.

Die Companyia Kamchàtka bespielt an der für Theaterleute aus Barcelona doppelt fremden Schule die Hausmeisterloge, den Eingangsflur und den Keller. Das Publikum ist zuerst da, die Darsteller schleichen sich von draußen an: In zu langen Hosen, zu weiten Röcken, abgetragenen Wollmänteln, mit strengem Dutt, pomadisiertem Seitenscheitel und abgeschabten Lederkoffern erinnern sie sicher nicht zufällig an jüdische Flüchtlinge im Dritten Reich. Sie beziehen das Kellergeschoss des "MercatorQuartiers" und nehmen ihre Zuschauer dann dort in Empfang - Jacken und Taschen müssen allerdings am Eingang abgegeben werden.

Im Keller haben die Flüchtlinge ihr Lager aufgeschlagen, und für die Dauer der Vorstellung wollen sie es mit dem Publikum teilen. Allein - wie teilt man etwas, wenn man sich nicht verständigen kann? Das ist das Thema der Companyia Kamchàtka, und sie haben Wege gesucht, menschliche Kommunikation trotz Sprachbarriere möglich zu machen (denn die Darsteller bleiben stumm). Zum einen durch ritualisierte Handlungen, die alle kennen: Man spült gemeinsam die Tassen, aus denen man zuvor getrunken hat.

In einer efeubewachsenen Nische ist ein Trampolin aufgestellt, nebenan kann man auf einem Seil schaukeln. Außerdem kann man sinnliche Erfahrungen teilen: In einem Raum ist Sand angeschüttet, durch den man mit nackten Füßen watet. In einem anderen bläst eine Windmaschine Styroporkügelchen durch die Luft - den Schnee, den Publikum und Darsteller immer wieder gemeinsam schippen.

Ein sehr poetischer Einfall, um die Kälte in der Fremde zu symbolisieren. Ein Mann geleitet je zwei Zuschauer in einen abgedunkelten Raum, in dem er ein einfaches Puppenspiel vorführt: Aus zwei Kartoffeln (als Köpfe) und groben Säcken hat er zwei Handpuppen gebastelt, von denen eine offenbar abreist und die sich tränenreich verabschieden. Gerade ohne Sprache ist diese alltägliche Geschichte besonders rührend - wie überhaupt diese Produktion auf angenehm dezente Weise einmal nicht das Trennende, sondern das Verbindende zwischen uns Menschen betont.

Am Schluss wird das Publikum durch eine Kleiderkammer geleitet und findet sich selbst mit zu großer Jacke und abgewetztem Lederkoffer in der Duisburger Nacht wieder. So schnell können sich die Verhältnisse umkehren.
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