"Das passiert nicht aus dem Nichts heraus"
Erst Clausnitz, dann Bautzen: Die ausländerfeindlichen Vorfälle in Sachsen haben für eine Welle der Empörung gesorgt. Für die Publizistin Liane Bednarz haben die Ausschreitungen auch mit einer Schwäche der sächsischen Zivilgesellschaft zu tun.
Die fremdenfeindlichen Vorfälle in Sachsen haben parteiübergreifend für Empörung gesorgt. Der sächsische Ministerpräsident Tillich bezeichnete die Vorfälle in Clausnitz und Bautzen sogar als "widerlich" und "abscheulich" und schloss die Randalierer aus dem Kreis der Menschheit aus ("Das sind keine Menschen, die sowas tun. Das sind Verbrecher.").
In Bautzen war am Wochenende eine geplante Flüchtlingsunterkunft durch Brandstiftung zerstört worden – eine teils alkoholisierte Menge bejubelte die Tat. Ende vergangener Woche hatte in Clausnitz eine pöbelnde Menge einen Bus mit ankommenden Flüchtlingen blockiert – und die Polizei ging auch noch außerordentlich ruppig mit den Migranten um, anstatt die Randalierer auf Abstand zu halten.
Die Publizistin und Juristin Liane Bednarz sieht als Triebsatz für solche Vorfälle eine neue, gefährliche Stimmung: Die vermeintlich "besorgten Bürger" setzten jetzt in die Tat um, was sie bisher nur gedacht hätten. Ideologisch werde das Tun durch die "neue Rechte" gespeist, in deren Publikationen Bus-Blockaden bereits diskutiert worden seien.
Das Gespräch im Wortlaut:
Korbinian Frenzel: An klaren Worten fehlt es wirklich nicht nach dem wütenden Mob in Clausnitz, der Flüchtlingen den Weg in ihre Unterkunft versperren wollte, nach dem Brandanschlag auf eine glücklicherweise noch unbewohnte Asylbewerberunterkunft in Bautzen: "Völlig inakzeptabel" – Worte des Bundesinnenministers Thomas de Maizière.
"Widerwärtig und abscheulich" – so sprach ein erst erstaunlich lange sprachloser Ministerpräsident von Sachsen, Stanislaw Tillich. "Keine besorgten Bürger, sonst schlichtweg Verbrecher" – das Urteil des CDU-Generalsekretärs Peter Tauber.
Die Frage, warum so etwas passiert, passieren kann, die ist bei all den steilen Worten aber noch lange nicht geklärt. Wir wollen es versuchen im Gespräch mit der Publizistin Liane Bednarz. Im letzten Sommer hat sie gemeinsam mit Christoph Giesa das Buch "Gefährliche Bürger: Die neue Rechte greift nach der Mitte" veröffentlicht. Clausnitz ist kein Zufall, sagt sie. Guten Morgen, Frau Bednarz!
Liane Bednarz: Schönen guten Morgen!
Frenzel: Wenn es kein Zufall ist, was haben wir denn da in Clausnitz und auch in Bautzen erlebt?
Busblockaden werden seit geraumer Zeit von der Neuen Rechten diskutiert
Bednarz: Wir haben in Clausnitz und auch in Bautzen erlebt, dass jetzt eine Stimmung entstanden ist, wo – in Anführungsstrichen – "besorgte Bürger" sich trauen, das, was sie vorher vielleicht nur gedacht haben, in die Tat umzusetzen.
Ereignisse wie die in Clausnitz, sprich diese Busblockaden, werden seit geraumer Zeit in Medien der sogenannten Neuen Rechten diskutiert und auch angestoßen, und das sind Medien, die diese Leute lesen und sich dann jetzt offensichtlich auf den Weg auch machen, das Gedankengut in die Tag umzusetzen.
Frenzel: Wer steckt dahinter? Sie sagen Neue Rechte. Kann man das benennen, genauer benennen? Ist das die AfD, ist das Pegida?
Bednarz: Die Neue Rechte ist ein Kreis von Rechtsintellektuellen. Der "Kopf" – in Anführungsstrichen – des Ganzen heißt Götz Kubitschek, der gibt eine Zeitschrift heraus, die heißt "Sezession". Er ist wiederum ein sehr enger Weggefährte von Björn Höcke. In der "Sezession" werden eben exakt diese Busblockaden auch diskutiert.
Frenzel: Björn Höcke, da haben wir natürlich schon das Stichwort AfD. Haben Sie den Eindruck, dass das fast so etwas wie eine Parteilinie ist? Das ist bei Björn Höcke auch immer die Frage. Spricht der eigentlich für diese Partei oder steht er doch am Rande.
Bednarz: Er spricht zunehmend für die Partei, zumindest ist sein Einfluss sehr groß geworden, und zwar nicht nur im Osten, sondern auch im Westen. Er hat jetzt gerade erst wieder bei einer Wahlkampfveranstaltung in Baden-Württemberg gesprochen und wurde gefeiert. Frauke Petry kann sich immer weniger gegen ihn durchsetzen. Er vertritt natürlich diese Scharfmacherparolen auf den Demos in Erfurt, auch wenn er jetzt nicht zu Blockaden aufruft.
Dann gibt es eben die Pegida-Bewegung: Das Gedankengut ist weitestgehend deckungsgleich, wobei Pegida im Vokabular noch mal radikaler ist, beispielsweise in Gestalt von Frau Festerling, aber es ist diese Gesamtstimmung, diese Agitation gegen Medien, gegen Flüchtlinge und auch gegen die Regierung, die diese Gemengelage bildet und die Leute so aufheizt.
Frenzel: Nun ist rechte Propaganda das eine – die propagieren, aber das muss auch auf einen Nährboden treffen. Bundesinnenminister de Maizière hat sich verschiedentlich geäußert, aber er hat sich auch zu der Frage geäußert, ob das nun ein spezifisch sächsisches Phänomen ist:
Frenzel: ... sagt Bundesinnenminister de Maizière. Frau Bednarz, ist das verharmlosend?
Bednarz: In gewisser Weise ja. Es mag zwar sein, dass die Mehrheit in Sachsen anders denkt, aber Fakt ist, dass sich in Sachsen diese Vorfälle häufen, und das passiert nicht aus dem Nichts heraus. Pegida ist nun einmal in Dresden entstanden und hält sich dort seit inzwischen über einem Jahr. Das hat schon auch spezifisch mit Sachsen zu tun. Im "Spiegel" ist gerade ein sehr interessanter Text dazu erschienen: In Sachsen betont man ganz besonders die eigene Identität und sieht sie dann durch "Fremde" – in Anführungsstrichen – bedroht und hegt ganz besondere Ressentiments gegen den sogenannten 68er linken Zeitgeist.
Frenzel: Was sind denn dann Strategien, in Sachsen, aber auch anderswo, gegen solche Radikalisierung, Gegenstimmung, die ganz offenbar real existieren?
Gegenwehr kommt von der Zivilgesellschaft in Sachsen kaum
Bednarz: Die richtige Strategie wäre natürlich, dass die Zivilgesellschaft – in Anführungsstrichen – "aufsteht" und sich diesen Bewegungen stärker auch entgegenstellt. Das passiert aber in Sachsen erstaunlicherweise kaum.
Frenzel: Warum, weil es zu wenig Zivilgesellschaft gibt?
Bednarz: Ja, offensichtlich. Es ist so, dass auch die Künstler, Gewerkschaften, Kirchen und so eigentlich sich auch doch noch stärker einbringen könnten, aber, was man so liest, vielfach auch, wenn sie das tun, angefeindet werden, und dann hat man irgendwann eine Stimmung, wo sich dann auch der Einzelne schlichtweg vielleicht gar nicht mehr traut, sich diesen Entwicklungen entgegenzustellen.
Wir haben jetzt das erschreckende Beispiel in Leipzig, wo eine Online-Zeitung, die bisher über die Legida-Demonstration berichtet hat, ihre Berichterstattung aufgibt, weil sie sich schlichtweg auf diesen Demonstrationen nicht mehr geschützt und sicher fühlt und Angriffen ausgesetzt sieht.
Frenzel: Das ist ein Einknicken der einen Art. Wenn wir jetzt noch mal auf den konkreten Fall Clausnitz schauen: Was macht man in einer solchen Situation? Muss der Staat dann im Sinne der Flüchtlinge, im Sinne der Menschen sagen, wir schicken lieber niemanden in solche Gemeinden, wo eine solche Stimmung herrscht?
Bednarz: Das wäre vielleicht auf den ersten Blick die einfachste Lösung, aber es wäre natürlich eine absolute Kapitulation vor diesem Mob, der sich in diesen Gegenden ausbreitet. Wichtiger wäre, im Vorfeld darauf zu achten, dass solche Einrichtungen auch geschützt sind und vor allen Dingen, dass es keinen Leiter einer solchen Unterkunft gibt, der auf AfD-Demonstrationen entsprechendes Gedankengut verbreitet hat. Das ist nun im Fall von Thomas Hetze, so heißt der Herr, belegt. Hinzu kommt, dass sein Bruder dann sogar noch diese Busblockade mit organisiert hat. Da muss man einfach vorher mal genauer hinschauen, wer solche Einrichtungen leitet.
Frenzel: Wir haben jetzt über AfD und andere eher am Rande gesprochen. Wenn wir uns die etablierte Politik angucken, sehen Sie da eine Verantwortung, eine Verantwortung, der man nicht ausreichend nachgekommen ist in genau diesen Fragen?
Teile der Szene haben inzwischen ein geschlossenes Weltbild
Bednarz: Das ist schwierig zu sagen. Ich glaube, das hat sie in dieser Form, wie sie jetzt geschieht, die Politik schlichtweg nicht vorher gesehen, vielleicht auch nicht vorhersehen können. Es ist wichtig, mit diesen Leuten wieder stärker einen Diskurs zu führen, was schwierig ist, aber es muss in irgendeiner Form geschehen.
Die Medien versuchen es teilweise, indem sie auch jetzt Menschen mit diesem Gedankengut in ihre Redaktionen einladen, zeigen, wie der Ablauf ist, damit sie von dieser irren Vorstellung einer Lügenpresse abkommen, aber man muss sagen, dass Teile dieser Szene inzwischen derart ein geschlossenes Weltbild übernommen haben, dass es bisweilen schwierig ist, überhaupt noch zu diskutieren.
Frenzel: Nach den Ausschreitungen und Anschlägen von Clausnitz und Bautzen, die Juristin und Publizistin Liane Bednarz. Ich danke Ihnen für das Interview!
Bednarz: Gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.