"Frenzy"

Die Türkei als Albtraum

epa04920994 Turkish director Emin Alper arrives for the premiere of 'Abluka (Frenzy)' at the 72nd annual Venice International Film Festival, in Venice, Italy, 08 September 2015. The movie is presented in the official competition 'Venezia 72' at the festival running from 02 September to 12 September. EPA/ANDREA MEROLA
Der türkische Regisseur Emin Alper vor der Premiere seines Films "Frenzy" bei den Filmfestspielen von Venedig © picture alliance / dpa / Andrea Merola
Emin Alper im Gespräch mit Patrick Wellinski |
In Istanbul ermordet eine geheime Polizeitruppe im Auftrag der Regierung Menschen. Die Stadt droht in Gewalt zu versinken. Diese Geschichte erzählt Emin Alpers Film "Frenzy" in klaustrophobischen Bildern. "Wir leben mit dieser Paranoia Tag für Tag", sagt der Regisseur.
Patrick Wellinski: Herr Alper, was war der Anlass für den Film "Frenzy"? Warum haben Sie diesen Film gedreht?
Emin Alper: Die Geschichte ist das Resultat meiner Studentenzeit vor 15 Jahren. Ich habe in Istanbul Geschichte studiert und währenddessen in einem Elendsviertel der Stadt in der Nähe der Universität gewohnt. Politisch war das Viertel sehr links orientiert und die Stimmung war ständig aufgeheizt. Das war auch das Ergebnis der harten Auseinandersetzung der Regierung mit den Kurden ein paar Jahre zuvor. Und das fließt alles direkt in meinen Film ein. Aber es gab auch andere Inspirationen. Die Figur des Ahmed zum Beispiel basiert auf Thomas Manns Novelle "Tobias Mindernickel".
"Helden öden mich an"
Wellinski: Im Fokus des Films steht Kadir, der nach vielen Jahren im Gefängnis freigelassen wird, und die Welt ist nicht mehr die gleiche. Istanbul ist aufgeteilt in zwei Teile, es gibt eine sichere Zone, und es gibt eine unsichere Zone. Kadir wird dann gebeten, zu spionieren in einer Nachbarschaft. Warum haben Sie sich für diese Figur entschieden als Hauptfigur?
Alper: Kadir ist ein Antiheld, und ich liebe Antihelden. Helden selbst öden mich an. Und ich wollte keine klassische Geschichte von einem guten Menschen erzählen, der am Ende kathartisch erlöst wird. Antihelden wie Kadir sind komplexer und vielschichtiger. Außerdem wollte ich die Geschichte eines Informanten erzählen, der an seiner Arbeit zerbricht.
Wellinski: Aber ist Kadir denn selber schuldig? Weil er rebelliert ja gar nicht gegen die Verhältnisse. Er fügt sich. Er macht einfach mit.
Alper: Sie haben recht, Kadir ist keine böse Figur. Er will ja nur früher aus dem Gefängnis und seine Familie und seine Brüder finden. Seine Absichten und seine Motivation, sich als Spion engagieren zu lassen, sind also rein und unverfälscht. Aber trotzdem macht er sich schuldig. Er ist ignorant, vielleicht auch einfach nur dumm.
"Die Türken lieben ihre Straßenhunde"
Wellinski: Ahmed, sein jüngerer Bruder, hat einen sehr interessanten Job. Er geht herrenlose Hunde erschießen, bis er eines Tages einen findet und zu sich holt. Diese Figur des herrenlosen Hundes in Istanbul, es gibt viele – wofür stehen diese Hunde für Sie? Warum dieser Fokus auf die Hunde?
Alper: Die Straßenhunde sind in der Türkei alltäglich. Und dann habe ich mir gedacht, dass sie eine sehr gute Metapher hergeben. Sie stehen ja für die ganze türkische Geschichte mit all ihren Konflikten und Auseinandersetzungen. Es gibt Filme, die die Hunde als Metapher für den Genozid an den Armeniern genutzt haben. Als vor ein paar Jahren die Stadtverwaltung Istanbuls angefangen hat, die Hunde zu erschießen. Es gab massive Proteste dagegen, in den Medien und im Internet. Demonstrationen auf den Straßen. Auch ich habe in meinem Debütfilm eine kleine Hundegeschichte erzählt. Die Türken lieben ihre Straßenhunde. Sie sind ein Teil unseres Bewusstseins, und ich liebe sie wohl auch.
Wellinski: Aber es stimmt, die Liebe zum Hund ist wichtig, weil für Ahmed ist ja die Liebe zu dem Hund eine Möglichkeit, aus dieser Welt zu flüchten. Er mauert sich ja auch ein in seinem Haus.
Alper: Ja, er wurde von seiner Frau verlassen. Er ist ein einsamer Mensch. Er lebt am Rande der Gesellschaft. Und ja, seine Liebe zu diesem Hund, den er töten soll, ist seine Flucht aus der Gegenwart.
Paranoia vergiftet die Gesellschaft von innen heraus
Wellinski: Ich habe mich wirklich auch an Ihren Debütfilm erinnert gefühlt, "Beyond the Hill", der vor ein paar Jahren im Forum der Berlinale lief. Auch dort ging es um eine Bedrohung von außen. Die Gefahr kam von außen zu den Menschen, die unten wohnten. Was fasziniert Sie an Paranoia, an der Bedrohung? Was ist das, dass Sie immer wieder zurückkehren?
Alper: Die Paranoia ist ja sehr erfolgreich, wenn es darum geht, eine Gesellschaft von innen heraus zu vergiften, sowohl ästhetisch als auch politisch. Und diese Bedrohung reflektiert perfekt die Begrenztheit und Unfähigkeit der aktuellen türkischen Politik. Die Regierung nutzt gerne die Paranoia, um Verschwörungstheorien zu streuen. Erinnern Sie sich an die Gezi-Proteste? Damals hieß es auch, hinter den Protesten stecke eine deutsche Verschwörung, die einen dritten Istanbuler Flughafen verhindern wolle. So ein Unsinn halt. Und es gab schlimmere. Was ich damit sagen will, ist Folgendes: Wir leben mit dieser Paranoia Tag für Tag, selbst auf der privaten Ebene. Ich finde das sehr ungesund, und deshalb beschäftigt es mich. Aber ich finde die Paranoia auch aus ästhetischen Gründen reizvoll.
Wellinski: Aber ich verstehe Sie richtig, Sie sehen Ihre beiden Filme, den jetzt auch, als politische Filme? Und sind Sie ein politischer Filmemacher?
Alper: Ja. Das soll allerdings nicht heißen, dass ich das immer sein werden. Ich glaube, mein dritter Spielfilm wird nicht mehr so explizit politisch sein. Ich denke, dass ich immer konkrete Themen brauche, mit denen ich arbeite. Das können politische, moralische oder soziale Themen sein. Vielleicht bin ich eher ein Themen- und weniger ein politischer Regisseur.
Die beste Art zu lernen ist die Imitation
Wellinski: Sie sind ja auch ein unglaublicher Formalist. Dieser Film "Frenzy" ist ein sehr dichter Film, sehr klaustrophobisch gedreht. Wo haben Sie das gelernt? Haben Sie Inspirationen, oder haben Sie sich das selbst erarbeitet, dass Sie diese Welt so sehr genau erschaffen haben?
Alper: Das ist reine Intuition. Ich habe das Filmemachen ja nicht studiert. Ich bin Historiker. Und die beste Art, etwas zu lernen, ist die Imitation. Nur so kann man etwas lernen und erreichen. Es gab viele Momente, in denen ich nicht mehr weiterwusste. Dabei habe ich für "Frenzy" alles sehr genau ausgearbeitet. Jede Szene stand vorher schon fest. Und na ja, wissen Sie, ich habe mich auch am Gesehenen orientiert. Ich habe einmal in einem Hotelzimmer vor mich hin gezappt. Und da war so ein B-Horrorfilm, ganz schrecklich. Aber diese eine Szene, die war gut aufgelöst. Und die wollte ich benutzen. So mache ich eben Filme.
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