Freunde, Fremde, Feinde
Es gibt Freunde und Fremde, und es gibt Feinde. Freunden vertrauen wir, sie sprechen dieselbe Sprache, teilen dieselben Ideen und halten im Notfall zusammen. Mit Freunden arbeiten und feiern wir, man kann sich verständigen, auch wenn man anderer Meinung ist.
Gegenüber Fremden sind Menschen reserviert, sie schwanken zwischen Argwohn, Vertrauensseligkeit und gebotener Gastfreundlichkeit. Denn Fremde verhalten sich eigenartig, sie sprechen anders und pflegen Gebräuche, die uns unverständlich vorkommen, zuweilen auch abstoßen. Einige wirken geradezu bedrohlich, aber die Mehrzahl ist harmlos und lebt in der Parallelgesellschaft ihr eigenes Leben in fremder Umgebung.
Vorsicht geboten ist gegenüber Feinden. Sie haben es auf unsere Ideen, unser Eigentum, unsere Freiheit, unser Leben abgesehen. Manche Feinde sprechen unsere Sprache und gehörten einst zu unseren Freunden. Andere kommen aus der Fremde und waren niemals unsere Freunde. Häufig verbergen sie sich unter den Fremden oder maskieren sich als gute Freunde. Der Feind sinnt auf Angriff. Wegen seiner Hinterlist ist er oft nicht zu erkennen, so dass wohlmeinende Zeitgenossen dem Irrtum erliegen, es gebe ihn gar nicht.
Lange Zeit war die deutsche Politik davon beseelt, sich nur noch Freunde zu machen. Der Bürgerkrieg wurde entschärft, indem man den inneren Feind zum Gegner erklärte, dann zum Konkurrenten, schließlich zum Partner in kleinen und großen Koalitionen. Die Nivellierung der Gegensätze brachte die Allerweltsparteien hervor, die allen gerecht werden, indem sie nichts tun. Seitdem kennt man außer einer Handvoll Extremisten nur noch Demokraten und Staatsfreunde.
Die zugewanderten Fremden will man sich nun ebenfalls zu Freunden machen, durch Gelöbnisse, Bildung, Sittenpolizei, Arbeit und sanften Assimilationszwang. Integration ist nichts anderes als die Verwandlung aller Fremden in Freunde. Das Programm ist ebenso anspruchvoll wie riskant. Alle sollen so werden wie wir, ob sie wollen oder nicht. Manche geraten so zwischen die Fronten der Zugehörigkeit. Sie fühlen sich weder als Freunde noch als Fremde - und erklären sich daher zu Feinden. Arglose Beobachter halten diese feindseligen Einwanderer der zweiten oder dritten Generation für verhinderte Freunde, obwohl sie der Gesellschaft längst den Krieg erklärt haben.
Außenpolitisch taufte die politische Klasse die alten Erzfeinde in der Nachbarschaft zu neuen Erzfreunden um, ungeachtet des Grolls, der bis heute in den Gesellschaften überlebt hat. So groß ist die Sehnsucht nach Versöhnung, dass man den nationalen Geltungsdrang der neuen Freunde nachsichtig mitfinanziert und eigene Interessen verleugnet. Entgegen aller Erfahrung möchten viele an ein Zeitalter der Freundschaft glauben. Wer diese Illusion allerdings stört, zieht sofort alten Hass auf sich. Man pflegt das alte antiamerikanische Feindbild und verkündet im selben Atemzug, wie übel Vorurteile sonst seien.
Nicht alle Feindbilder entsprechen den Tatsachen. Aber aus der Tatsache, dass manche Feindbilder falsch sind, folgt keineswegs, dass es keine Feinde gebe. Die deutsche Ideologie der Freundschaft speist sich aus der Erfahrung vergangener Schuld und Niederlage. Aber sie taugt nicht für die Zukunft. Wer vielen Feinden unterlegen war, bleibt deshalb nicht vor neuen Feinden verschont.
Noch hinkt das Weltbild der Wirklichkeit hinterher. Die Gesellschaft pflegt den globalen Terrorkriegszustand zu verdrängen. Aber mittlerweile sind deutsche Truppen weltweit unterwegs, zur Abriegelung feindlicher Nachschubwege und zur Befriedung fremder Gebiete. Im Inneren rüstet sich der Sicherheitsstaat zu präventiven Gegenschlägen. Von den Fremden im Lande fordert er Loyalitätserklärungen und die rechtzeitige Demaskierung verdächtiger Feinde.
Mit Abschreckung, Bekehrung oder wirtschaftlicher Bestechung ist dem neuen Feind kaum beizukommen. Er ist nicht auf Beute, sondern auf Ruhm, Heil und Vernichtung aus. Sein soziales Reservoir reicht weit in die Gesellschaft der Fremden hinein. Er erzielt hohe Sympathiewerte, seine Anhänger lassen sich im Orient zu Hunderttausenden mobilisieren. Wie jeder Feind stellt er die Machtfrage: Wer bestimmt die gesellschaftliche Ordnung, das Recht, die Politik? Wer entscheidet über den wahren Glauben, die wahre Religion und Kultur? Der Feind stellt den Freund vor die Frage, wer er selbst sein will. Freunde, die ihre Feinde nicht zu nennen vermögen, können auch nicht sagen, wer sie selbst sind.
Wolfgang Sofsky, Jahrgang 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 1993 wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Er publizierte u.a.: "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager" (1993), "Figurationen sozialer Macht. Autorität - Stellvertretung – Koalition" (mit Rainer Paris, 1994) und "Traktat über die Gewalt" (1996). 2002 erschien "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg" und zuletzt der Band "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak".
Vorsicht geboten ist gegenüber Feinden. Sie haben es auf unsere Ideen, unser Eigentum, unsere Freiheit, unser Leben abgesehen. Manche Feinde sprechen unsere Sprache und gehörten einst zu unseren Freunden. Andere kommen aus der Fremde und waren niemals unsere Freunde. Häufig verbergen sie sich unter den Fremden oder maskieren sich als gute Freunde. Der Feind sinnt auf Angriff. Wegen seiner Hinterlist ist er oft nicht zu erkennen, so dass wohlmeinende Zeitgenossen dem Irrtum erliegen, es gebe ihn gar nicht.
Lange Zeit war die deutsche Politik davon beseelt, sich nur noch Freunde zu machen. Der Bürgerkrieg wurde entschärft, indem man den inneren Feind zum Gegner erklärte, dann zum Konkurrenten, schließlich zum Partner in kleinen und großen Koalitionen. Die Nivellierung der Gegensätze brachte die Allerweltsparteien hervor, die allen gerecht werden, indem sie nichts tun. Seitdem kennt man außer einer Handvoll Extremisten nur noch Demokraten und Staatsfreunde.
Die zugewanderten Fremden will man sich nun ebenfalls zu Freunden machen, durch Gelöbnisse, Bildung, Sittenpolizei, Arbeit und sanften Assimilationszwang. Integration ist nichts anderes als die Verwandlung aller Fremden in Freunde. Das Programm ist ebenso anspruchvoll wie riskant. Alle sollen so werden wie wir, ob sie wollen oder nicht. Manche geraten so zwischen die Fronten der Zugehörigkeit. Sie fühlen sich weder als Freunde noch als Fremde - und erklären sich daher zu Feinden. Arglose Beobachter halten diese feindseligen Einwanderer der zweiten oder dritten Generation für verhinderte Freunde, obwohl sie der Gesellschaft längst den Krieg erklärt haben.
Außenpolitisch taufte die politische Klasse die alten Erzfeinde in der Nachbarschaft zu neuen Erzfreunden um, ungeachtet des Grolls, der bis heute in den Gesellschaften überlebt hat. So groß ist die Sehnsucht nach Versöhnung, dass man den nationalen Geltungsdrang der neuen Freunde nachsichtig mitfinanziert und eigene Interessen verleugnet. Entgegen aller Erfahrung möchten viele an ein Zeitalter der Freundschaft glauben. Wer diese Illusion allerdings stört, zieht sofort alten Hass auf sich. Man pflegt das alte antiamerikanische Feindbild und verkündet im selben Atemzug, wie übel Vorurteile sonst seien.
Nicht alle Feindbilder entsprechen den Tatsachen. Aber aus der Tatsache, dass manche Feindbilder falsch sind, folgt keineswegs, dass es keine Feinde gebe. Die deutsche Ideologie der Freundschaft speist sich aus der Erfahrung vergangener Schuld und Niederlage. Aber sie taugt nicht für die Zukunft. Wer vielen Feinden unterlegen war, bleibt deshalb nicht vor neuen Feinden verschont.
Noch hinkt das Weltbild der Wirklichkeit hinterher. Die Gesellschaft pflegt den globalen Terrorkriegszustand zu verdrängen. Aber mittlerweile sind deutsche Truppen weltweit unterwegs, zur Abriegelung feindlicher Nachschubwege und zur Befriedung fremder Gebiete. Im Inneren rüstet sich der Sicherheitsstaat zu präventiven Gegenschlägen. Von den Fremden im Lande fordert er Loyalitätserklärungen und die rechtzeitige Demaskierung verdächtiger Feinde.
Mit Abschreckung, Bekehrung oder wirtschaftlicher Bestechung ist dem neuen Feind kaum beizukommen. Er ist nicht auf Beute, sondern auf Ruhm, Heil und Vernichtung aus. Sein soziales Reservoir reicht weit in die Gesellschaft der Fremden hinein. Er erzielt hohe Sympathiewerte, seine Anhänger lassen sich im Orient zu Hunderttausenden mobilisieren. Wie jeder Feind stellt er die Machtfrage: Wer bestimmt die gesellschaftliche Ordnung, das Recht, die Politik? Wer entscheidet über den wahren Glauben, die wahre Religion und Kultur? Der Feind stellt den Freund vor die Frage, wer er selbst sein will. Freunde, die ihre Feinde nicht zu nennen vermögen, können auch nicht sagen, wer sie selbst sind.
Wolfgang Sofsky, Jahrgang 1952, ist freier Autor und Professor für Soziologie. Er lehrte an den Universitäten Göttingen und Erfurt. 1993 wurde er mit dem Geschwister-Scholl-Preis ausgezeichnet. Er publizierte u.a.: "Die Ordnung des Terrors. Das Konzentrationslager" (1993), "Figurationen sozialer Macht. Autorität - Stellvertretung – Koalition" (mit Rainer Paris, 1994) und "Traktat über die Gewalt" (1996). 2002 erschien "Zeiten des Schreckens. Amok, Terror, Krieg" und zuletzt der Band "Operation Freiheit. Der Krieg im Irak".