Ein Freund, ein guter Freund
Freundschaften spielen nicht nur für unser Lebensglück, sondern auch die Gesundheit eine wichtige Rolle. Dabei ist Freundschaft ein weites Feld - neben Herzensfreunden zählen auch Alltagsfreunde und Kontakte aus dem unmittelbaren Umfeld.
"Besser ist es tot zu sein als ohne Freunde", sagt ein schwedisches Sprichwort. Bei einer Allensbach-Umfrage nannten vor zwei Jahren 85 Prozent der Teilnehmenden "gute Freunde" als besonders wichtigen Wert im Leben - eine glückliche Partnerschaft nannten nur 75 Prozent.
Für den Soziologen Janosch Schobin von der Universität Kassel ist Freundschaft neben Familie und Partnerschaft eine Urform menschlichen Zusammenseins. Freundschaften kennt man in allen Kulturen, auch in archaischen und vermutlich gab es sie schon in prähistorischen Zeiten.
In der Antike galt, dass Freunde füreinander da sein sollten, wenn es eng wird. Freundschaft als soziales Netz also. Diese Idee steckte auch hinter der Verantwortungsgemeinschaft, die sich die Ampel-Regierung in den Koalitionsvertrag geschrieben hatte. Auch wenn daraus bislang nichts geworden ist - in Zeiten zunehmender Einsamkeit gewinnt Freundschaft als Fürsorgeversprechen wieder an Bedeutung.
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Was macht Freundschaft aus?
Freundschaften beginnen meist damit, dass mir jemand gefällt. Weil er Eigenschaften hat, die mir zusagen, wie die Art Lachens oder wie jemand spricht, sagt der Berliner Psychologe Wolfgang Krüger, Autor des Buches "Freundschaft: beginnen – verbessern – gestalten". Dann brauche es Interesse und interessante Fragen, denn davon lebten Freundschaften.
Bis die erste Begegnung zur Freundschaft wird, braucht es aber vor allem eines: Zeit. Die Sozialpsychologen Irwin Altman und William Haythorn kamen 1965 zu der Schätzung, dass es etwa 60 Stunden gemeinsam verbrachter Zeit braucht, um aus einer Bekanntschaft eine Freundschaft werden zu lassen. Selbst dann sprachen die Forscher nur von "Gelegenheitsfreunden".
2018 ergab eine Studie des Kommunikationswissenschaftlers Jeffrey A. Hall von der Universität Kansas, dass man nach 120 Stunden ein Freund ist, und nach 224 Stunden ein guter Freund. Von besten Freunden spricht man nach 737 gemeinsam verbrachten Stunden.
Wen suchen wir uns zum Freund?
Ähnlichkeiten zwischen zwei Menschen machen eine Freundschaft wahrscheinlicher, ob es sich um soziale Merkmale, Geschlecht, Alter oder Werte und Vorlieben handelt. Der sogenannte Ähnlichkeitseffekt geht aber noch weiter.
„Phänotypische Gesichts-Ähnlichkeit macht Freundschaft wahrscheinlicher, sagt der Soziologe Janosch Schobin. Und selbst vor den Genen macht der Ähnlichkeitseffekt nicht halt, stellten James Fowler und Nicholas 2014 fest. Die Genetiker analysierten die DNA von fast 2.000 Teilnehmern der Framingham-Herz-Studie und konnten zeigen, dass wir unseren Freunden in etwa ein Prozent der Gene ähnlich sind. Eine hohe Übereinstimmung liegt dabei in den Genen, die mit dem Geruchssinn zusammenhängen .
Freundschaft lässt sich aber auch steuern, etwa durch die Wahl der Schule, die Eltern für ihre Kinder treffen oder indem sie über jemand Neues, den die Kinder mit nach Hause bringen, Gutes oder Schlechtes sagen, meint der Soziologe Janosch Schobin. Experimente, bei denen die Sitzordnung von Studierenden manipuliert wurde, zeigten ebenfalls: Diejenigen Studierenden, die in den ersten Sitzungen nebeneinandersaßen, waren hinterher häufiger befreundet.
Welche Arten von Freundschaft gibt es?
Zurückgehend auf den antiken griechischen Philosophen Aristoteles unterscheidet der Psychologe Wolfang Krüger zwischen drei Arten von Freundschaften: „Herzensfreundschaften“, „Alltagsfreundschaften“ und „Freunden in sozialen Netzwerken“.
Herzensfreundschaften habe man allgemein höchstens drei. Es seien Beziehungen, wo man sich alles erzählen könne - wie es in der Ehe läuft, wie es im Elternhaus war oder dass man in einer Krise ist. Herzensfreundschaften seien absolut verlässlich.
„Alltagsfreunde“ lädt man zum Geburtstag ein, man freut sich, sie zu treffen, unternimmt etwas zusammen, aber vertraut ihnen nicht unbedingt alles an, so der Therapeut. Trotzdem spielten auch sie für unser Wohlbefinden eine große Rolle.
„Darüber hinaus gibt es die sozialen Netzwerke.“ Damit meint Wolfgang Krüger nicht Facebook, Instagram und Co., sondern: „Das sind die Nachbarn, die Kollegen, die Sportvereine.“ Alle drei Freundschaftstypen zusammen ergäben "ein soziales Dorf“.
Wie hat sich Freundschaft gewandelt?
Schon die alten Griechen dachten über die Freundschaft nach. Anders als heute, wo Freunde auch als „Wahlfamilie“ bezeichnet werden, kamen Freunde historisch gesehen in der Regel aus der Verwandtschaft oder angeheirateten Verwandtschaft. Das liegt an den Familienkonstellationen und Lebenssituationen der Menschen. Heute, wo immer mehr Menschen in Singlehaushalten leben, 2022 etwa knapp 41 Prozent, und es auch in Familien immer weniger Geschwisterkinder gebe, würden nichtverwandte Freunde zwangsläufig wichtiger, beobachtet Psychologe Wolfgang Krüger.
Studien über die Freundschaftsbeziehung von Händlern aus der frühen Neuzeit in Deutschland zeigen, wie wichtig das Liefern von Informationen über Märkte gewesen ist, ebenso wie das Gewähren und Bürgen für Kredite. Während die soziale Absicherung in westlich geprägten Ländern heute überwiegend vom Staat übernommen wird, zählte sie damals zu den Freundespflichten.
Historische Freundespflicht: Schutz gewähren
Zu den historischen Freundespflichten gehörte auch, Waffen bereitzustellen, wenn der Freund angegriffen wurde oder ihm in einer Blutfehde Versteck zu gewähren, weiß der Soziologe Janosch Schobin. Wer seinen Freundschaftsschwur und damit mit geltenden moralischen und sozialen Verpflichtungen brach, dem drohte der soziale Tod.
Zwar sind auch in unseren Zeiten Verlässlichkeit und „Schutz gewähren“ noch eine wichtige Basis für Freundschaft, sogar wichtiger als „über alles reden zu können“ oder „sich Geheimnisse anzuvertrauen“, so Schobin. In Befragungen würden in dem Zusammenhang oft starke Hilfserwartungen in Notfällen artikuliert.
Allerdings sind heutige Freundschaften eher "Zweck-entlastet", sagt der Soziologe. „Es ist eine Beziehung geworden, von der man sagen würde, die ist stark in der Freizeit lokalisiert und hat häufig keine harten Pflichten mehr.“
Wie pflegt man Freundschaften am besten?
Wo wir Freunde finden, verändert sich im Lebensverlauf. In der Kindheit und Jugend ist man von potenziellen Freunden umgeben: in der Schule, in den Pausen, beim Spielen. Als Erwachsener sind es Bars, Discos, Cafés, Büchereien, Sportclubs, der Chor. Auch am Arbeitsplatz entstehen Freundschaften und nicht zuletzt im Internet, in Chatforen oder bei Online Games. Studien zeigen aber, dass letztere nur dann glücklich machen, wenn es gelingt, die Online Bekanntschaften ins echte Leben zu holen.
Das Alter zwischen 35 und 45 stellt Freundschaften vor eine besondere Herausforderung, sagt der Psychologe Wolfang Krüger. Wer berufstätig sei oder Karriere machen wolle, eine Familie gründe oder ein Haus baue, dem bleibe für Freundschaften wenig Zeit. Der Therapeut Wolfang Krüger empfiehlt als Grundregel:
„Einen Abend in der Woche sollten wir für Freundschaften reservieren, zumindest einmal E-Mails schreiben, über Freundschaften nachdenken.“
Warum leben Menschen länger, die Freunde haben?
Für eine Studie der Michigan State University wurden über 320.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus 99 Ländern zum Thema Freundschaft befragt. Die Forscherinnen und Forscher konnten zeigen:
„Wer gute Freundschaften hat, lebt 20 Prozent länger. Es gibt viele Studien, die zeigen, wer gute Freundschaften hat, ist selbstbewusster, ist erheblich glücklicher. […] Umgekehrt sagten etwa zehn Prozent, dass sie keine Freundschaften haben. Sie leiden erheblich mehr unter seelischen Problemen und sind auch kränker.“
Aus Sicht des Soziologen Janosch Schobin sicherten uns Freunde zudem emotional ab, wenn es gerade nicht so gut in der Beziehung, der Familie oder im Job laufe. Rat und Orientierung zu geben sei eine weitere, wichtige Aufgabe, die Freunde innehätten, sagt der Soziologe Janosch Schobin.
Kann Freundschaft gesetzlich geschützt werden?
Freunde machen also unser soziales Netz mit aus. Gleichzeitig ist Einsamkeit in unserer Gesellschaft ein immer größer werdendes Problem. In einer Befragung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) im Jahr 2017 waren circa 9,5 Prozent der Befragten einsam. In einer Wiederholung der Befragung 2020 zeigte sich, dass die Corona-Pandemie einen erheblichen Anstieg der Einsamkeit zur Folge hatte.
Sebastian Schoepp, Autor des Buches „Rettet die Freundschaft!“, hat selbst keine eigene Familie gegründet und umgibt sich stattdessen mit einer „Wahlfamilie“. Das Vorhaben der Ampel-Koalition, die Verantwortungsgemeinschaft unter Freundinnen und Freunden gesetzlich zu verankern, fand er „großartig“.
Damit wollte die Bundesregierung rechtlich verbindliche Fürsorgemöglichkeiten außerhalb von Ehe und Familie schaffen, etwa für die Mitglieder einer Senioren-WG oder sich unterstützende Alleinerziehende.
Maximal sechs volljährige Menschen sollten sich zu einer Verantwortungsgemeinschaft zusammenschließen können. Das dafür verantwortliche Bundesjustizministerium legte aber lediglich Eckpunkte vor. Umgesetzt wurde das Vorhaben bislang nicht.
tha