Friede und Gerechtigkeit für Kolumbien
Der Friedensprozess in Kolumbien scheint voranzukommen: Im November 2012 haben die Rebellen der FARC und die Regierung wieder Gespräche aufgenommen. Und Alberto Franco verfolgt diese sehr aufmerksam - seit Jahren kümmert sich der Priester um Menschen, die von ihrem Land vertrieben wurden.
"Schluss mit dem Krieg! Verteidigen wir unseren Boden!"
Wenn Heyler Santos und seine Freunde loslegen, weiß in Las Camelias jeder, wovon die Rede ist. Denn die Songs der jungen Rapper erzählen von den Bedrohungen und der Angst, mit der die Bewohner des kolumbianischen Dorfes ständig leben müssen. Außerhalb der Gemeinde sei Feindesland, erklärt der 21jährige Santos.
"Wenn ich von paramilitärischen Gruppen höre, die unsere Siedlung umzingeln, gehe ich nicht alleine raus." Angst habe er immer. "Man weiß ja nie, wer gerade unterwegs ist."
Seit über 16 Jahren kommen die Menschen am Ufer des Curvaradó nicht mehr zur Ruhe. Santos war noch ein Kind, als die Bewaffneten zum ersten Mal kamen. Doch seine Großmutter María Chaverra erinnert sich noch genau an diese Zeit. An jene Tage im Jahr 1997, als ihre Familie wegen der Gewalt der rechtsradikalen Paramilitärs flüchten musste.
"Sie behaupteten, dass sie gegen die Guerilla vorgehen würden. Doch in Wirklichkeit haben sie uns, die Kleinbauern, angegriffen und vertrieben","
sagt sie. 130 Freunde und Angehörige seien ermordet worden. Manche gingen in die Städte, María Chaverra verbrachte Jahre im Regenwald. Ihr Land machten sich indes andere zu Nutzen: Agrarindustrielle nahmen die Felder in Besitz und bauten großflächig Ölpalmen an. Die 72-jährige Afrokolumbianerin, die alle Doña María nennen, ist deshalb davon überzeugt, dass das Vorgehen der Paramilitärs nichts mit der Guerilla zu tun hatte:
""Sie haben uns vertrieben, weil sie das Land für den monokulturellen Anbau von Ölpalmen brauchten."
Damit wollten sich die Kleinbauern nicht abfinden. Jahre später kehrten sie in ihre Heimat zurück und forderten die Rückgabe ihres Landes. Unterstützt von der Ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden siedelten sie sich in international anerkannten "Humanitären Schutzzonen" an. Auch ein 2011 verabschiedetes Gesetz gibt ihnen Recht. Doch bislang haben die Campesinos kaum Land zurückerhalten, außerhalb des Dorfes werden sie weiterhin terrorisiert.
Letztes Jahr ermordeten Paramilitärs einen Aktivisten, im Januar bedrohten sie Doña María. Anfang Februar wurde Priester Alberto Franco angegriffen. Der 53jährige leitet die Ökumenische Kommission und hat die Siedler seit ihrer Rückkehr begleitet:
"Der Fahrer hatte sich gerade umgeschaut, und während ich aus meinen Zimmer zur Tür ging, schossen sie auf den Wagen. Danach hatte die Windschutzscheibe drei Einschusslöcher."
Immer wieder ist der Padre Angriffen ausgesetzt. Er und seine Mitstreiter werden verfolgt, bedroht, ihre Telefone werden abgehört. Zwei Jahre verbrachte der Priester im spanischen Exil. Dennoch kämpft er weiter für die Rechte der Kleinbauern. Dafür sei die Organisation schließlich gegründet worden.
"Die Kommission entstand im religiösen Spektrum der Achtzigerjahre, inspiriert von Menschen, die der Befreiungstheologie nahestanden","
erklärt er. Sie hätten sich um die Gemeinden gekümmert und seien besorgt gewesen.
""Wir wollten eine Sozialarbeit leisten, die das Evangelium im realen Leben umsetzt. Unsere Arbeit ist eine Bestätigung dafür, dass der Glaube für Menschen im Widerstand fundamental ist."
Seit 20 Jahren ist der Missionspriester in den abgelegensten Dörfern tätig: an der Grenze zu Panama, im Amazonas, in den Drogenanbaugebieten des Hochlandes. Seine Ökumenische Kommission begleitete Doña María vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof und sorgte dafür, dass führende Paramilitärs vor Gericht kamen. Deshalb ist sich der Priester sicher: Hinter den Angriffen stecken Agrarunternehmer, paramilitärische Gruppen und Politiker, die dem ehemaligen Staatschef Alvaro Uribe nahestehen. Für Pater Franco ist klar:
"Das Umfeld des Ex-Präsidenten will die Rückgabe des Landbesitzes behindern."
Doch die Zeiten wandeln sich. Seit Juan Manuel Santos 2010 die Präsidentschaft übernommen hat, sind die Kräfte um Uribe ins Hintertreffen geraten. Santos setzt auf eine friedliche Lösung des Konflikts mit der FARC, der größten Guerillagruppe Kolumbiens. Seit November führt seine Regierung mit der FARC einen Friedensdialog. Ganz oben auf der Agenda steht die Lage der ländlichen Bevölkerung: Welche Zukunft haben Kleinbauern angesichts der zunehmenden agrarindustriellen Produktion? Was passiert mit den vier Millionen Menschen, die nach UN-Angaben von Soldaten, Paramilitärs oder der Guerilla vertrieben wurden?
Zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen hat die Ökumenische Kommission einen Vorschlag in die Verhandlungen eingebracht. Wie in den Humanitären Zonen praktiziert, müsse der Schutz des Lebens und der Biodiversität im Vordergrund stehen.
"Wir müssen die Ernährungssouveränität garantieren und die Umwelt schützen. Das heißt, Alternativen zu einem von Kapitalinteressen geleiteten Konzept zu entwickeln. Wenn sich die Monokultur durchsetzt," warnt der Geistliche, "verschwinden die anderen Pflanzen und die Menschen in den Gemeinden enden als bloße Subjekte des Marktes."
In Bogotá demonstrierten mehrere hunderttausend Menschen, um den Friedensdialog zu unterstützen. Auch Doña María und ihr Enkel Heyler sind angereist. 30 Busstunden dauert die Fahrt in die Hauptstadt. Dennoch hat sich die 72-Jährige auf den Weg gemacht.
"Wir wollen Frieden, nicht Krieg"," fordert sie. ""Wir wollen Garantien dafür, dass sie uns unser Land zurückgeben, dass ein Plan zum Schutz der Gemeinden und zur Gewaltprävention umgesetzt wird und jene bestraft werden, die uns geschädigt und verletzt haben."
Einer aktuellen Umfrage zufolge unterstützen 63 Prozent der Bevölkerung den Friedensprozess. Auch Priester Franco ist vorsichtig optimistisch. Santos wolle sichere Investitionsbedingungen schaffen, in denen Unternehmer nicht fürchten müssten, von der Guerilla angegriffen zu werden.
"Zum ersten Mal braucht das Kapital Frieden"," analysiert der Padre. Das sei eine Chance. ""Aber es ist auch ein Risiko, weil die Armen möglicherweise nicht das bekommen, was ihnen historisch zusteht."
Zurück am Ufer des Curvaradó. Heyler ist froh, wieder zuhause zu sein. Trotzdem bereut er die lange Reise nach Bogotá nicht. Denn ohne Frieden hat auch er keine Zukunft. Und vom "kämpfen, kämpfen, kämpfen", wie er in seinem Rap singt, hat auch er längst genug.
Wenn Heyler Santos und seine Freunde loslegen, weiß in Las Camelias jeder, wovon die Rede ist. Denn die Songs der jungen Rapper erzählen von den Bedrohungen und der Angst, mit der die Bewohner des kolumbianischen Dorfes ständig leben müssen. Außerhalb der Gemeinde sei Feindesland, erklärt der 21jährige Santos.
"Wenn ich von paramilitärischen Gruppen höre, die unsere Siedlung umzingeln, gehe ich nicht alleine raus." Angst habe er immer. "Man weiß ja nie, wer gerade unterwegs ist."
Seit über 16 Jahren kommen die Menschen am Ufer des Curvaradó nicht mehr zur Ruhe. Santos war noch ein Kind, als die Bewaffneten zum ersten Mal kamen. Doch seine Großmutter María Chaverra erinnert sich noch genau an diese Zeit. An jene Tage im Jahr 1997, als ihre Familie wegen der Gewalt der rechtsradikalen Paramilitärs flüchten musste.
"Sie behaupteten, dass sie gegen die Guerilla vorgehen würden. Doch in Wirklichkeit haben sie uns, die Kleinbauern, angegriffen und vertrieben","
sagt sie. 130 Freunde und Angehörige seien ermordet worden. Manche gingen in die Städte, María Chaverra verbrachte Jahre im Regenwald. Ihr Land machten sich indes andere zu Nutzen: Agrarindustrielle nahmen die Felder in Besitz und bauten großflächig Ölpalmen an. Die 72-jährige Afrokolumbianerin, die alle Doña María nennen, ist deshalb davon überzeugt, dass das Vorgehen der Paramilitärs nichts mit der Guerilla zu tun hatte:
""Sie haben uns vertrieben, weil sie das Land für den monokulturellen Anbau von Ölpalmen brauchten."
Damit wollten sich die Kleinbauern nicht abfinden. Jahre später kehrten sie in ihre Heimat zurück und forderten die Rückgabe ihres Landes. Unterstützt von der Ökumenischen Kommission für Gerechtigkeit und Frieden siedelten sie sich in international anerkannten "Humanitären Schutzzonen" an. Auch ein 2011 verabschiedetes Gesetz gibt ihnen Recht. Doch bislang haben die Campesinos kaum Land zurückerhalten, außerhalb des Dorfes werden sie weiterhin terrorisiert.
Letztes Jahr ermordeten Paramilitärs einen Aktivisten, im Januar bedrohten sie Doña María. Anfang Februar wurde Priester Alberto Franco angegriffen. Der 53jährige leitet die Ökumenische Kommission und hat die Siedler seit ihrer Rückkehr begleitet:
"Der Fahrer hatte sich gerade umgeschaut, und während ich aus meinen Zimmer zur Tür ging, schossen sie auf den Wagen. Danach hatte die Windschutzscheibe drei Einschusslöcher."
Immer wieder ist der Padre Angriffen ausgesetzt. Er und seine Mitstreiter werden verfolgt, bedroht, ihre Telefone werden abgehört. Zwei Jahre verbrachte der Priester im spanischen Exil. Dennoch kämpft er weiter für die Rechte der Kleinbauern. Dafür sei die Organisation schließlich gegründet worden.
"Die Kommission entstand im religiösen Spektrum der Achtzigerjahre, inspiriert von Menschen, die der Befreiungstheologie nahestanden","
erklärt er. Sie hätten sich um die Gemeinden gekümmert und seien besorgt gewesen.
""Wir wollten eine Sozialarbeit leisten, die das Evangelium im realen Leben umsetzt. Unsere Arbeit ist eine Bestätigung dafür, dass der Glaube für Menschen im Widerstand fundamental ist."
Seit 20 Jahren ist der Missionspriester in den abgelegensten Dörfern tätig: an der Grenze zu Panama, im Amazonas, in den Drogenanbaugebieten des Hochlandes. Seine Ökumenische Kommission begleitete Doña María vor den Interamerikanischen Menschenrechtsgerichtshof und sorgte dafür, dass führende Paramilitärs vor Gericht kamen. Deshalb ist sich der Priester sicher: Hinter den Angriffen stecken Agrarunternehmer, paramilitärische Gruppen und Politiker, die dem ehemaligen Staatschef Alvaro Uribe nahestehen. Für Pater Franco ist klar:
"Das Umfeld des Ex-Präsidenten will die Rückgabe des Landbesitzes behindern."
Doch die Zeiten wandeln sich. Seit Juan Manuel Santos 2010 die Präsidentschaft übernommen hat, sind die Kräfte um Uribe ins Hintertreffen geraten. Santos setzt auf eine friedliche Lösung des Konflikts mit der FARC, der größten Guerillagruppe Kolumbiens. Seit November führt seine Regierung mit der FARC einen Friedensdialog. Ganz oben auf der Agenda steht die Lage der ländlichen Bevölkerung: Welche Zukunft haben Kleinbauern angesichts der zunehmenden agrarindustriellen Produktion? Was passiert mit den vier Millionen Menschen, die nach UN-Angaben von Soldaten, Paramilitärs oder der Guerilla vertrieben wurden?
Zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Organisationen hat die Ökumenische Kommission einen Vorschlag in die Verhandlungen eingebracht. Wie in den Humanitären Zonen praktiziert, müsse der Schutz des Lebens und der Biodiversität im Vordergrund stehen.
"Wir müssen die Ernährungssouveränität garantieren und die Umwelt schützen. Das heißt, Alternativen zu einem von Kapitalinteressen geleiteten Konzept zu entwickeln. Wenn sich die Monokultur durchsetzt," warnt der Geistliche, "verschwinden die anderen Pflanzen und die Menschen in den Gemeinden enden als bloße Subjekte des Marktes."
In Bogotá demonstrierten mehrere hunderttausend Menschen, um den Friedensdialog zu unterstützen. Auch Doña María und ihr Enkel Heyler sind angereist. 30 Busstunden dauert die Fahrt in die Hauptstadt. Dennoch hat sich die 72-Jährige auf den Weg gemacht.
"Wir wollen Frieden, nicht Krieg"," fordert sie. ""Wir wollen Garantien dafür, dass sie uns unser Land zurückgeben, dass ein Plan zum Schutz der Gemeinden und zur Gewaltprävention umgesetzt wird und jene bestraft werden, die uns geschädigt und verletzt haben."
Einer aktuellen Umfrage zufolge unterstützen 63 Prozent der Bevölkerung den Friedensprozess. Auch Priester Franco ist vorsichtig optimistisch. Santos wolle sichere Investitionsbedingungen schaffen, in denen Unternehmer nicht fürchten müssten, von der Guerilla angegriffen zu werden.
"Zum ersten Mal braucht das Kapital Frieden"," analysiert der Padre. Das sei eine Chance. ""Aber es ist auch ein Risiko, weil die Armen möglicherweise nicht das bekommen, was ihnen historisch zusteht."
Zurück am Ufer des Curvaradó. Heyler ist froh, wieder zuhause zu sein. Trotzdem bereut er die lange Reise nach Bogotá nicht. Denn ohne Frieden hat auch er keine Zukunft. Und vom "kämpfen, kämpfen, kämpfen", wie er in seinem Rap singt, hat auch er längst genug.