Der beharrlichste Atombomben-Gegner der Republik
Im Bundeswehr-Fliegerhorst Büchel in der Eifel sollen 20 Atomsprengköpfe modernisiert werden. Das ruft Hermann Theisen auf den Plan. Seit Jahrzehnten protestiert der Heidelberger gegen Atomwaffen – auch zig Strafverfahren gegen ihn können ihn nicht stoppen.
"Wi-ir wollen keine Waffen, wi-ir wollen keinen Krieg ... "
Singend blockieren Friedensaktivisten die Zufahrt des Bundeswehr-Stützpunkts samt US-Atomwaffenlager.
"Deshalb bleiben wir hier sitzen, bis ihr uns hier wegbringt."
Singend lassen sie sich wegtragen. Blockade-Szenen, die sich im Eifel-Ort Büchel so oder ähnlich jährlich mehrfach wiederholen. Einer der beharrlichsten Atombomben-Gegner der Republik aber nimmt an den Blockade-Aktionen nicht teil. Zur Bewegung zählt sich der Heidelberger Hermann Theisen dennoch.
Irgendwann im Jahr – mit niemandem abgesprochen - taucht der 52-Jährige plötzlich auf am einzigen deutschen Atomwaffenstandort.
Flugblatt-Aktion vor der Einfahrt zum Fliegerhorst
Mit einem Stapel Flugblätter am Wachhäuschen, wo die einfahrenden Soldaten des Jagdbombergeschwaders ohnehin anhalten müssen:
"Der Wachmann ruft dann schnell seine Vorgesetzten, die dann kommen und sagen, 'das ist verboten, was sie da machen', und dann ist mein Standardsatz, dass ich dann sage, 'nein, das ist in Deutschland nicht verboten', und dann wird relativ schnell die Polizei gerufen. Bis die Polizei dann kommt, vergeht dann meistens auch ne halbe Stunde, und in der Zeit ist es so, dass eine ganze Reihe von Soldaten das auch annehmen, das Flugblatt …"
…dessen Text die energische Seite des Sozialarbeiters Hermann Theisen offenbart:
"Verweigern Sie konsequent jegliche Befehle, die in Zusammenhang mit der Stationierung von Atomwaffen auf dem Fliegerhorst Büchel, der nuklearen Teilhabe sowie der geplanten Atomwaffenmodernisierung stehen!
Informieren Sie die Öffentlichkeit darüber! Verhindern und behindern sie das! Streuen Sie Sand in das militärische Getriebe! Ermutigen sie Ihre Kameraden, sich Ihrem Ungehorsam anzuschließen!"
So die Kurzfassung.
Treffen auf dem Heidelberger Philosophenweg. Theisen geht stramm bergauf. Keucht ein bisschen, wegen der Allergie. Direkt nach Feierabend im Krankenhaus-Sozialdienst ist er zu Hause aufgebrochen. Unter ihm breitet sich das Heidelberg-Panorama aus.
Prozess-Vorbereitung auf dem Heidelberger Philosophenweg
Der Neckar glitzert in der Abendsonne, das Schloss glüht in rotem Sandstein. Auch hier oben schieben sich Büchel und die Strafanzeigen, die er dort wiederholt kassiert, in seine Gedanken. Auf seinem Lieblingsweg aber hat das nichts Bedrohliches. Im Gehen entwickelt er Ideen:
"Zum Beispiel für die Frage, wie bereite ich mich auf einen Prozess vor, was ist da für mich ein wichtiger Aspekt."
Schließlich steht Theisen am 12. Juli schon wieder wegen des Büchel-Flugblatts vor Gericht, in Koblenz. Zuvor hatte ihn das Amtsgericht Cochem zu einer Geldstrafe verurteilt:
"Wogegen die Staatsanwaltschaft auch Berufung eingelegt hat, weil sie der Meinung ist, dass eben eine Geldstrafe zu gering sei, und sie fordert eben eine Haftstrafe auf Bewährung."
Denn der Staatsanwalt sieht den Beharrlich-Bedächtigen als hartnäckigen Wiederholungstäter an. Theisen dagegen findet, dass Aufrufe zum Whistleblowing gar nicht illegal sein können. Weil Soldaten und Rüstungsbeschäftigte ja nur öffentlich machen sollen, was selbst völkerrechts- und gesetzeswidrig sei.
Von einer Haftstrafe zur Diplom-Arbeit inspiriert
Bis zu 20 Strafverfahren durchlief der Mann mit dem Stoppelhaar. Teils wurden sie eingestellt, teils wurde er zu Geld- oder Gefängnisstrafen verdonnert. Die erste und längste Haft von einem Monat inspirierte den damaligen Studenten zur Diplom-Arbeit über "Sozialarbeit im Strafvollzug". Nachhaltig geprägt haben den anerkannten Kriegsdienstverweigerer die 80er-Jahre, die Anti-Atomwaffen-Bewegung:
"Und ich hab dann eine ganz wichtige Erfahrung gemacht für mich, dass gewaltfreie Aktionen eine Möglichkeit sein können, diesem Gefühl von Ohnmacht und Bedrohung etwas entgegenzusetzen."
Ein Sicherheitsrisiko für die Republik?
Er habe ein großes Bedürfnis nach Sicherheit, sagt derjenige, den manche als Sicherheitsrisiko für die Republik einstufen. Am weitestem ging Theisen mit dem Flachlegen eines Zauns um die Stuttgarter Kommandozentrale der US-Army. Manche Mitstreiter zerstörten später auch Rüstungsgüter. Theisen entschied sich für gewaltfreie Flugblatt-Aktionen.
Der Widerständler, der weder eifernd noch verbiestert wirkt, hängt am normalen Leben - mit Frau und Kindern in einem ruhigen Heidelberger Viertel, mit Spaziergängen und Theater:
"Ich arbeite seit 20 Jahren beim gleichen Arbeitgeber, das war mir immer sehr bedeutsam, da nicht rauszufliegen."
Der No-Name-Aktivist glaubt, kalkulieren zu können, wie weit er gehen kann, ohne dass es ihn aus der bürgerlichen Unauffälligkeit katapultiert. Als nächstes also Landgericht Koblenz, mit dem Risiko einer Bewährungsstrafe. Im September: Amtsgericht Oberndorf am Neckar, Sitz des Waffenproduzenten Heckler und Koch.
Der Aufklärer sieht sich als Nervensäge
Hermann Theisen - ein Aufklärer? Ein zu großes Wort, findet er. Vom grünen Hang oberhalb des Heidelberger Philosophenwegs kreischt leise eine Säge.
"Eine Nervensäge?"
- Lachen –
"Die Nervensäge, genau."
- Lachen –
"Die Nervensäge, genau."
Der Begriff gefällt dem Dauer-Angeklagten. Zu nerven ist nämlich legal.