Friedensaktivist Uri Avnery für Verhandlungen mit der Hamas
Der Mitbegründer der israelischen Friedensbewegung, Uri Avnery, sieht vor den Wahlen in Israel positive Zeichen für einen Frieden seines Landes mit den Palästinensern. Die Wahl der Hamas zur Regierungspartei sei ein Vorteil für eine Friedenslösung, da mit einer extremen Bewegung auf der Gegenseite besser verhandelt werden könne, sagte Avnery.
Nana Brink: Wir begrüßen nun Uri Avnery am Telefon, er ist der Begründer der israelischen Friedensbewegung, versucht seit nun mehr 30 Jahren als - wie er sich selbst bezeichnet - "Extremist des Friedens" sich den Fundamentalisten auf beiden Seiten, also auf der israelischen, wie der palästinensischen Seite, entgegen zu stellen. Und er hat die Gush Shalom - "Friedensblock" - gegründet, saß zehn Jahre als Abgeordneter in der Knesset, dem israelischen Parlament, schönen guten Morgen, Herr Avnery.
Uri Avnery: Guten Morgen.
Brink: Wenn wir über die Kultur des Wahlkampfes in Israel reden, können wir als erstes erzählen, was Ihnen gerade widerfahren ist, nämlich der Vorsitzende der Partei "Jüdisch-Nationale Front", Baruch Marzel, hat öffentlich im Fernsehen von der israelischen Armee gefordert, Sie zu töten. Was sind denn das für Zustände?
Avnery: Wir haben Rechtsradikale wie überall, nur sind sie bei uns rabiater und in diesen Wahlen ganz besonders extrem. Ich hoffe, dass sie nicht in den Wahlen Erfolg haben. Und gerade diese ganz extreme Partei - man würde sie anderswo neofaschistisch nennen - wird wahrscheinlich nicht genügend Stimmen bekommen, um in die Knesset rein zu kommen. Man braucht bei uns zwei Prozent der Stimmen, um überhaupt ins Parlament zu kommen.
Brink: Wenn so etwas passieren kann, wie vergift ist denn das Klima in Israel, dass Israelis so übereinander sprechen?
Avnery: Bei uns ist der Stil immer etwas extrem, aber ich glaube, diesmal ist es extremer, denn gerade auf der extrem rechten Seite merkt man, dass wir das Publikum verlieren. Die israelischen Wähler sind im Allgemeinen gemäßigter geworden.
Brink: Das Wort Frieden kam im aktuellen Wahlkampf bis zum Schluss …überhaupt nicht vor. Ist denn der Frieden nicht ein ganz wesentlicher Punkt in Israel?
Avnery: Leider nicht in der Wahlpropaganda. Ich glaube, die Wahlfachleute aus allen Parteien sind sich darüber einig, dass das Wort Frieden nicht die Stimmen anzieht und darum spricht man vom Ende des Konfliktes und solchen Sachen oder einseitigem Frieden und solchen Sachen. Aber über einen wirklichen Frieden, das heißt, Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Führung, darüber spricht man so gut wie überhaupt nicht.
Brink: Warum nicht?
Avnery: Weil es eben nicht populär ist. Ich würde sagen, die Stimmung ist: Man will zur Ruhe kommen, man will dem Konflikt ein Ende setzen, aber man glaubt nicht daran. Sehen Sie, wenn Sie bei uns einen Konflikt haben, der 120 Jahre andauert, dann ist es sehr schwer, daran zu glauben, dass eines Tages wir wirklich zu einem Frieden kommen können. Man muss die öffentliche Meinung beeinflussen und überhaupt neu erziehen, um Leute dazu zu bringen, an einen Frieden mit den Palästinensern zu glauben.
Brink: Sie versuchen das ja seit über 30 Jahren und Sie haben auch in einem Interview kürzlich wieder gesagt, sowohl die israelische, wie die palästinensische Seite hat ja Ihre Version von der Geschichte, wie sie sagten, der letzten 120 Jahre. Haben Sie denn überhaupt noch eine Hoffnung, dass es da eine Verständigung, oder Erziehung, wie Sie sagen, geben kann?
Avnery: Oh ja, ich bin sehr optimistisch, ich glaube, in der Tiefe verändern sich die Sachen langsam, aber in der richtigen Richtung, denn beide Seiten wissen jetzt, dass ohne einen Frieden wir nie zur Ruhe kommen können, und man will zur Ruhe kommen. Und darum muss man sich langsam und wirklich auch langsam an die Idee gewöhnen, dass die andere Seite auch menschlich ist, dass sie berechtigte Forderungen hat und dass, wenn man nicht die berechtigten Forderungen erfüllt, dass wir eben dazu verdammt sind, in ewiger Gewalt zu leben.
Brink: Hat das auch ein bisschen was mit dem Satz zu tun, den Sie kürzlich geäußert haben: Im Grunde genommen war es eine gute Sache, dass die Hamas gewählt worden ist?
Avnery: Ja, ich glaube daran, denn obwohl die Hamas eine in der Theorie sehr extreme Bewegung ist, will sie im Grunde auch an der Macht bleiben. Und an der Macht bleiben kann man doch nur, wenn man den Leuten am Ende das gibt, was sie wollen und was sie brauchen - und das ist Frieden. Und ich glaube, es ist im Grunde besser, mit den extremsten Elementen auf der anderen Seite Verhandlungen zu führen, denn wenn die extremsten Elemente zu einem Abkommen kommen, dann hat man die ganze Seite mit sich, wenn ich das klar ausdrücke. Es ist besser, mit einer extremeren Bewegung Frieden zu machen und dadurch den Frieden von der anderen Seite wirklich akzeptiert zu haben, als nur mit den gemäßigten Leuten. Das haben die Franzosen in Algerien gelernt und das haben, ich glaube, alle ehemaligen Kolonialmächte gelernt.
Brink: Nun lehnt ja die israelische Regierung es bislang ab, mit der Hamas, die in den palästinensischen Gebieten gewählt worden ist, überhaupt zu verhandeln. Sie waren einer der ersten Israelis, der mit Arafat gesprochen hat, das war 1982 in Beirut, als Arafat ja noch als Terrorist als persona non grata galt. Werden wir jetzt Ähnliches mit der Hamas erleben? Haben Sie da wirklich Hoffnung?
Avnery: Ich glaube, die Situation, wiederholt sich beinahe genau. Damals hat man gesagt: Arafat ist ein Terrorist! Arafat will Israel zerstören! Man kann, man darf mit solchen Leuten nicht verhandeln! Man wollte mich beinahe wegen Hochverrat vor Gericht stellen, als ich das gemacht habe. Und heute sagt man genau dasselbe über die Hamas-Bewegung: Es sind Terroristen, sie wollen Israel zerstören. Am Ende wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als mit den Leuten zu verhandeln. Und ich glaube, man kann mit ihnen verhandeln und man kann mit ihnen auch zu einem Frieden kommen. Die Idee, die jetzt bei uns herumspukt und die diese Wahl bestimmt, ist eine, meiner Ansicht nach, verrückte Idee: dass man einseitig Frieden machen kann, dass man einseitig die Grenze Israels festlegen kann und dass wir die andere Seite überhaupt ignorieren können. Das ist eine komische Idee, meiner Ansicht nach, aber sie ist in diesem Augenblick äußerst populär.
Brink: Was kann denn Ihrer Meinung nach die EU, die Europäische Union und vielleicht auch Deutschland tun in diesem Prozess?
Avnery: Sie können die Friedenselemente auf beiden Seiten unterstützen. Sie kann einen praktischen und gerechten Frieden unterstützen. Sie kann hauptsächlich, das würde ich für Europa sagen und auch für Deutschland, hauptsächlich selbständig politisch handeln, statt … bedingungslos die amerikanische Politik zu unterstützen. Die amerikanische Politik ist leider nicht geeignet heute, Frieden im Nahen Osten herzustellen.
Brink: Also auch einen Kontakt zu Hamas aufzunehmen?
Avnery: Absolut, ja.
Brink: Vielen Dank, Uri Avnery, der Begründer der Bewegung Gush Shalom, "Friedensblock", und wir sprachen mit ihm über die bevorstehenden Wahlen.
Uri Avnery: Guten Morgen.
Brink: Wenn wir über die Kultur des Wahlkampfes in Israel reden, können wir als erstes erzählen, was Ihnen gerade widerfahren ist, nämlich der Vorsitzende der Partei "Jüdisch-Nationale Front", Baruch Marzel, hat öffentlich im Fernsehen von der israelischen Armee gefordert, Sie zu töten. Was sind denn das für Zustände?
Avnery: Wir haben Rechtsradikale wie überall, nur sind sie bei uns rabiater und in diesen Wahlen ganz besonders extrem. Ich hoffe, dass sie nicht in den Wahlen Erfolg haben. Und gerade diese ganz extreme Partei - man würde sie anderswo neofaschistisch nennen - wird wahrscheinlich nicht genügend Stimmen bekommen, um in die Knesset rein zu kommen. Man braucht bei uns zwei Prozent der Stimmen, um überhaupt ins Parlament zu kommen.
Brink: Wenn so etwas passieren kann, wie vergift ist denn das Klima in Israel, dass Israelis so übereinander sprechen?
Avnery: Bei uns ist der Stil immer etwas extrem, aber ich glaube, diesmal ist es extremer, denn gerade auf der extrem rechten Seite merkt man, dass wir das Publikum verlieren. Die israelischen Wähler sind im Allgemeinen gemäßigter geworden.
Brink: Das Wort Frieden kam im aktuellen Wahlkampf bis zum Schluss …überhaupt nicht vor. Ist denn der Frieden nicht ein ganz wesentlicher Punkt in Israel?
Avnery: Leider nicht in der Wahlpropaganda. Ich glaube, die Wahlfachleute aus allen Parteien sind sich darüber einig, dass das Wort Frieden nicht die Stimmen anzieht und darum spricht man vom Ende des Konfliktes und solchen Sachen oder einseitigem Frieden und solchen Sachen. Aber über einen wirklichen Frieden, das heißt, Verhandlungen zwischen Israel und der palästinensischen Führung, darüber spricht man so gut wie überhaupt nicht.
Brink: Warum nicht?
Avnery: Weil es eben nicht populär ist. Ich würde sagen, die Stimmung ist: Man will zur Ruhe kommen, man will dem Konflikt ein Ende setzen, aber man glaubt nicht daran. Sehen Sie, wenn Sie bei uns einen Konflikt haben, der 120 Jahre andauert, dann ist es sehr schwer, daran zu glauben, dass eines Tages wir wirklich zu einem Frieden kommen können. Man muss die öffentliche Meinung beeinflussen und überhaupt neu erziehen, um Leute dazu zu bringen, an einen Frieden mit den Palästinensern zu glauben.
Brink: Sie versuchen das ja seit über 30 Jahren und Sie haben auch in einem Interview kürzlich wieder gesagt, sowohl die israelische, wie die palästinensische Seite hat ja Ihre Version von der Geschichte, wie sie sagten, der letzten 120 Jahre. Haben Sie denn überhaupt noch eine Hoffnung, dass es da eine Verständigung, oder Erziehung, wie Sie sagen, geben kann?
Avnery: Oh ja, ich bin sehr optimistisch, ich glaube, in der Tiefe verändern sich die Sachen langsam, aber in der richtigen Richtung, denn beide Seiten wissen jetzt, dass ohne einen Frieden wir nie zur Ruhe kommen können, und man will zur Ruhe kommen. Und darum muss man sich langsam und wirklich auch langsam an die Idee gewöhnen, dass die andere Seite auch menschlich ist, dass sie berechtigte Forderungen hat und dass, wenn man nicht die berechtigten Forderungen erfüllt, dass wir eben dazu verdammt sind, in ewiger Gewalt zu leben.
Brink: Hat das auch ein bisschen was mit dem Satz zu tun, den Sie kürzlich geäußert haben: Im Grunde genommen war es eine gute Sache, dass die Hamas gewählt worden ist?
Avnery: Ja, ich glaube daran, denn obwohl die Hamas eine in der Theorie sehr extreme Bewegung ist, will sie im Grunde auch an der Macht bleiben. Und an der Macht bleiben kann man doch nur, wenn man den Leuten am Ende das gibt, was sie wollen und was sie brauchen - und das ist Frieden. Und ich glaube, es ist im Grunde besser, mit den extremsten Elementen auf der anderen Seite Verhandlungen zu führen, denn wenn die extremsten Elemente zu einem Abkommen kommen, dann hat man die ganze Seite mit sich, wenn ich das klar ausdrücke. Es ist besser, mit einer extremeren Bewegung Frieden zu machen und dadurch den Frieden von der anderen Seite wirklich akzeptiert zu haben, als nur mit den gemäßigten Leuten. Das haben die Franzosen in Algerien gelernt und das haben, ich glaube, alle ehemaligen Kolonialmächte gelernt.
Brink: Nun lehnt ja die israelische Regierung es bislang ab, mit der Hamas, die in den palästinensischen Gebieten gewählt worden ist, überhaupt zu verhandeln. Sie waren einer der ersten Israelis, der mit Arafat gesprochen hat, das war 1982 in Beirut, als Arafat ja noch als Terrorist als persona non grata galt. Werden wir jetzt Ähnliches mit der Hamas erleben? Haben Sie da wirklich Hoffnung?
Avnery: Ich glaube, die Situation, wiederholt sich beinahe genau. Damals hat man gesagt: Arafat ist ein Terrorist! Arafat will Israel zerstören! Man kann, man darf mit solchen Leuten nicht verhandeln! Man wollte mich beinahe wegen Hochverrat vor Gericht stellen, als ich das gemacht habe. Und heute sagt man genau dasselbe über die Hamas-Bewegung: Es sind Terroristen, sie wollen Israel zerstören. Am Ende wird uns gar nichts anderes übrig bleiben, als mit den Leuten zu verhandeln. Und ich glaube, man kann mit ihnen verhandeln und man kann mit ihnen auch zu einem Frieden kommen. Die Idee, die jetzt bei uns herumspukt und die diese Wahl bestimmt, ist eine, meiner Ansicht nach, verrückte Idee: dass man einseitig Frieden machen kann, dass man einseitig die Grenze Israels festlegen kann und dass wir die andere Seite überhaupt ignorieren können. Das ist eine komische Idee, meiner Ansicht nach, aber sie ist in diesem Augenblick äußerst populär.
Brink: Was kann denn Ihrer Meinung nach die EU, die Europäische Union und vielleicht auch Deutschland tun in diesem Prozess?
Avnery: Sie können die Friedenselemente auf beiden Seiten unterstützen. Sie kann einen praktischen und gerechten Frieden unterstützen. Sie kann hauptsächlich, das würde ich für Europa sagen und auch für Deutschland, hauptsächlich selbständig politisch handeln, statt … bedingungslos die amerikanische Politik zu unterstützen. Die amerikanische Politik ist leider nicht geeignet heute, Frieden im Nahen Osten herzustellen.
Brink: Also auch einen Kontakt zu Hamas aufzunehmen?
Avnery: Absolut, ja.
Brink: Vielen Dank, Uri Avnery, der Begründer der Bewegung Gush Shalom, "Friedensblock", und wir sprachen mit ihm über die bevorstehenden Wahlen.