Wer ist die Frau, die nach Aleppo will?
"Ich habe genug. Ich gehe nach Aleppo. Wer kommt mit?“ Das postete die Berlinerin Anna Alboth vor einigen Wochen auf Facebook. Nun soll am Zweiten Weihnachtsfeiertag der von ihr organisierte Friedensmarsch starten. Das Ziel: humanitäre Hilfe für alle Zivilisten im kriegszerstörten Syrien.
Im Minutentakt landen neue E-Mails im Postfach von Anna Alboth. Die Küche der in Berlin lebenden Polin ist derzeit das Auge eines Hurrikans. Hier laufen virtuell die Planungen von rund 130 weiteren spontanen Organisatoren zusammen.
"Ich habe eine Videonachricht von jemanden aus Aleppo bekommen. Er brach ab und sagte: Ich nehme es noch mal auf, im Hintergrund sind Bomben zu hören, man versteht mich schlecht. Und dann habe ich nie wieder etwas von ihm gehört."
"Ich habe eine Videonachricht von jemanden aus Aleppo bekommen. Er brach ab und sagte: Ich nehme es noch mal auf, im Hintergrund sind Bomben zu hören, man versteht mich schlecht. Und dann habe ich nie wieder etwas von ihm gehört."
Am Zweiten Weihnachtsfeiertag startet der internationale Friedensmarsch auf dem Tempelhofer Feld, unweit einer riesigen Flüchtlingsunterkunft im Hangar des ehemaligen Flughafens. Rund 20 Kilometer am Tag sind geplant, geschlafen wird in Zelten oder - wenn es sich ergibt - in Turnhallen. Bei Minustemperaturen durch Deutschland, Tschechien, Österreich, Slowenien, Kroatien, Serbien, Mazedonien, Griechenland, Türkei laufen – den umgekehrten Flüchtlingstrack.
Angefangen hat alles in dieser Küche. Als der Syrer Akil aus Aleppo vor mehr als einem Jahr einzog, ein Flüchtling. Wie selbstverständlich nahmen ihn die 32-jährige Anna und ihr Mann Tom auf, wie selbstverständlich gehört er heute zur Familie, spielt mit den zwei Kindern, kocht für die ganze Familie. Er selbst ist größtenteils zu Fuß nach Berlin gekommen. Akil wird jetzt wieder mitlaufen – auch viele weitere Flüchtlinge in Berlin wollen mit. Aber ist es nicht längst zu spät, jetzt noch nach Aleppo zu marschieren?
"Meiner Meinung nach ist es nie zu spät zu handeln. Es gibt weiterhin keinen Frieden, keine Ärzte, kein Krankenhaus. Und es gibt noch 15 weitere solcher Orte in Syrien, die noch nicht mal Satellitenempfang haben. Das heißt, wir wissen überhaupt nicht, was da los ist."
"Meiner Meinung nach ist es nie zu spät zu handeln. Es gibt weiterhin keinen Frieden, keine Ärzte, kein Krankenhaus. Und es gibt noch 15 weitere solcher Orte in Syrien, die noch nicht mal Satellitenempfang haben. Das heißt, wir wissen überhaupt nicht, was da los ist."
Diese Tochter ist nicht aufzuhalten
Der Koffer von Annas Mutter ist vollgepackt mit Humus – von Akil. Urszula war für eine Woche aus Warschau nach Berlin gekommen, um ihre Tochter zu unterstützten, die auf Vernetzungstreffen in Brüssel war. Jetzt sitzen beide im Auto Richtung Busbahnhof.
"Was mich aufregt, ist dass mir vorgeworfen wird: Du bist für die oder die Seite. Ich weiß noch nicht mal, welche Seiten es gibt! Akil hat uns das mal in der Küche anhand von 20 verschiedenen Bechern erklärt - und vier Stunden gebraucht."
Ruhig und stolz hört Annas Mutter ihrer Tochter zu. Mit ihr hat sie schon einiges durch. Denn ihre Tochter macht grundsätzlich immer dann weiter, wenn andere sagen: Das geht nicht!
Reisen mit zwei Kleinkindern, im Auto schlafen, in Zentralamerika? Geht! Aus ihrem preisgekrönten Blog "The Family without borders" ist mittlerweile eine Geschäftsidee geworden, und für die Familie eine Lebenseinstellung.
Unterstützung aus Polen für Flüchtlinge? Geht! Zuletzt hat Anna in ganz Polen 3000 Schlafsäcke für Flüchtlinge gesammelt, die vor der Meldestelle in Berlin campierten.
Frieden in Syrien? Geht das auch?
Mutter: "Die Idee ist großartig. Sie zeigt Menschen, was Humanität ist. Das finde ich mutig. Eigentlich etwas Alltägliches im Leben, etwas, was wir unterwegs verloren haben."
Anna: "Mutig bin ich doch nicht, ich habe noch gar nichts gemacht."
Mutter: "Doch! Du sprichst darüber, du appellierst ans Gewissen der Menschen, rüttelst sie wach. Das ist mutig."
Anna: "Ich habe aber auch Angst. Nicht davor, dass die Idee nicht aufgeht. Aber dass unterwegs etwas passiert. Und ich dann die Verantwortung trage."
Mutter: "Die Idee ist großartig. Sie zeigt Menschen, was Humanität ist. Das finde ich mutig. Eigentlich etwas Alltägliches im Leben, etwas, was wir unterwegs verloren haben."
Anna: "Mutig bin ich doch nicht, ich habe noch gar nichts gemacht."
Mutter: "Doch! Du sprichst darüber, du appellierst ans Gewissen der Menschen, rüttelst sie wach. Das ist mutig."
Anna: "Ich habe aber auch Angst. Nicht davor, dass die Idee nicht aufgeht. Aber dass unterwegs etwas passiert. Und ich dann die Verantwortung trage."
Kinder laufen mit
Am Kommando-Küchentisch sitzt mittlerweile Ehemann Tom. Tom leitet seit mehreren Jahren eine Internet Agentur, an diesem Sonntag programmiert er die Seite für den Friedensmarsch und kümmert sich um die ersten Stationen:
Tom Alboth: "Ich bin jetzt am Mittwoch rumgefahren und habe geguckt: Was passiert, wenn jetzt 1000 Leute loslaufen, wie weit kommen die und wo schlafen die dann?"
Tom Alboth: "Ich bin jetzt am Mittwoch rumgefahren und habe geguckt: Was passiert, wenn jetzt 1000 Leute loslaufen, wie weit kommen die und wo schlafen die dann?"
Im Wohn- und Schlafzimmer haben die Töchter Hanna und Mila ihre Mutter in eine Kuschelattacke verwickelt. Auch sie werden den ersten Teil des Marsches mitlaufen. Als die siebenjährige Hanna in der Schule gefragt wird, warum ihre Mutter so was organisiert, hat sie geantwortet: Weil sie es will. Und weil sie es kann.
Anna Alboth: "Als es plötzlich so laut um Aleppo wurde, hatte ich befürchtet, dass die Aufmerksamkeit abfallen könnte. Aber stattdessen höre ich viele sagen: Genau jetzt macht es noch mehr Sinn dahin zu gehen."