Radsport

Die Friedensfahrt - Tour de France des Ostens

04:12 Minuten
Der legendäre DDR-Radrennfahrer Gustav-Adolf Schur (Mitte) bei der Radweltmeisterschaft der Straßenamateure am 13. August 1960 auf dem Sachsenring bei Hohenstein-Ernstthal. Schur wurde Vize-Weltmeister.
Der legendäre DDR-Radrennfahrer Täve Schur gewann als erster Deutscher die Friedensfahrt (hier eine Aufnahme aus dem Jahr 1960). © dpa / picture alliance / DB ZB
Von Tom Mustroph |
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Täve Schur, Olaf Ludwig, Ryszard Szurkowski: Drei Radsportler, die einst zur Crème de la Crème beim größten Amateurradrennen der Welt gehörten. Die SED-Führung nutzte die Friedensfahrt auch für Propaganda. Auch Fahrer aus dem Westen waren dabei.
Sagt man Friedensfahrt oder gar course de la paix, wie es in der Sprache der Mutter aller Rundfahrten heißt, dann beginnen die Augen zu leuchten. Bei denen jedenfalls, die sie erlebt haben. Als Fahrer oder Trainer, als Organisatoren, als Zuschauer, als Fans. 

Wir wollten unsere Helden sehen

Ich stand in den 70er-Jahren als Kind an der Karl-Marx-Allee, wenn dort, direkt vor der Wohnung meiner Eltern, Etappenfinals ausgetragen wurden. Die Allee war dann gesäumt von Menschen.
Anders als zum 1. Mai, als „freiwilliger Zwang“, wie wir das nannten, die Leute auf die Straßen trieb, kamen wir hier freiwillig. Wir wollten unsere Helden sehen, und ihren Gegnern den Respekt erweisen.

Diese Radfahrer prägten unsere Generation

Hans-Joachim Hartnick fällt mir ein, jener ausgeglichene Fahrer aus Cottbus, der die Dominanz erst der polnischen Sportler und später der aus der Sowjetunion mit seinem Gesamtsieg 1976 durchbrach.
Ryszard Szurkowski aus Polen, der gleichermaßen sprinten und klettern konnte, der viermal die Friedensfahrt gewann, Weltmeister wurde und wegen seiner vielen Siege auch der Eddy Merckx des Ostens genannt wurde.
Sergej Suchorutschenkow, der wohl komplettestete Fahrer, den in jenen Jahren die damals so große, und natürlich groß gedopte, sowjetische Radsportschule herausbrachte.
Oder Dschamolidin Abduschaporow, der so unglaublich explosive Sprinter aus Usbekistan, den man wegen seiner sehr riskanten Fahrweise auch den „Terror aus Taschkent“ nannte. Diese Namen prägten meine Generation. Die Älteren wurden von Täve Schur oder dem Tschechen Jan Vesely in den Bann gezogen.

Fahrt durch Länder, die der Krieg verwüstet hatte

Für viele von uns war auch der Name Friedensfahrt wichtig. Ein Rennen für den Frieden, das durch Länder führte, die der Krieg verwüstet hatte: Polen, Tschechoslowakei, wie es damals hieß, und DDR.

Natürlich, da steckte auch viel Staatspropaganda drin. Sie ließ das Wort Frieden schal im Munde werden. Jede Friedensfahrt erneuerte aber auch den Wunsch nach Frieden, hier und überall auf dem Planeten.

Beim Blick in die Annalen fällt der Rundfahrtstart 1986 in Kiew auf. Wann wird wohl wieder ein internationales Radrennen in der ukrainischen Hauptstadt beginnen?
Damals freilich war es von der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl überschattet. Sportler hatten Zweifel, Funktionäre drückten das Rennen durch, trotz aller Strahlungsrisiken für Sportler, Betreuer, Zuschauer. Auch das gehört zum Rückblick.

Dann aber die Trikots: Gelb für den Sieger, wie bei der Tour de France. Blau für die beste Mannschaft, was den Teamcharakter dieses Sports hervorhebt. Schade, dass die große Tour de France dieses Element nicht längst übernommen hat.

Die Friedensfahrt ist etwas für Romantiker

Aber klar, für das Trikot für das beste Team müssten die Sponsorenfarben weichen. Sponsorensichtbarkeit aber ist die Währung, mit der der Profiradsport funktioniert.

Die Friedensfahrt ist also etwas für reine Romantiker. Nach Mauerfall verlor sie schnell an Bedeutung. In Tschechien immerhin lebt die Erinnerung an sie in gleich drei Rennen für den Nachwuchs fort.

Idee einer Middle East Peace Tour

Vor sechs Jahren tauchte die Idee einer Friedensfahrt erneut auf. Als Middle East Peace Tour wollte der österreichische Rennorganisator und frühere Tour-de-France-Teilnehmer Gerhard Schönbacher eine Etappenfahrt durch Jordanien, Ägypten, Israel und die palästinensischen Autonomiegebiete führen, als Zeichen von Annäherung, Austausch und Verständigung.
Schade, dass auch dies scheiterte. Nichts scheint im Sport jetzt nötiger als eine Friedensfahrt, wie zuvor viele Jahrzehnte lang über knapp zwei Wochen im Mai.  

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