"Was wollen wir mit der Krim?"
Auf ihren Plakaten steht "Verzeih, Ukraine" oder "Wir sind Russland, nicht Putin". 50.000 Demonstranten haben in Moskau deutlich gemacht, dass längst nicht alle Russen mit der Annexion der Krim einverstanden sind.
Es war der größte Protestmarsch in Moskau seit Monaten. Rund 50.000 Menschen aller Altersgruppen und aus allen sozialen Schichten folgten dem Aufruf einiger nicht im Parlament vertretener Oppositionsparteien und Bürgerrechtsaktivisten. In der Menge viele ukrainische und russische Fahnen. Auf Plakaten war zu lesen "Verzeih, Ukraine", "Wir sind Russland, nicht Putin" oder einfach "Frieden". Einige Teilnehmer hielten Fotos von Kriegsopfern hoch.
Eine ältere Demonstrantin, Russischlehrerin: "Was wollen wir mit der Krim? Wer dort Urlaub machen möchte, kann doch auch so dort hinfahren."
Valerij, ein Unternehmer: "Ich habe das Gefühl, dass viele Leute in unserem Land verrückt geworden sind und überhaupt nichts verstehen, nichts sehen und nichts hören wollen, außer, dass die Krim irgendwann mal zu Russland gehörte. Putin will einen Anschluss der Krim, vielleicht sogar der Ukraine organisieren. Der Preis dafür ist zu hoch. Solche Fragen klärt man diplomatisch, nicht militärisch."
Die heutige Demonstration war von den Behörden genehmigt worden und verlief friedlich. Bei nicht genehmigten Protestaktionen gegen den Militäreinsatz auf der Krim waren in den vergangenen zwei Wochen in Moskau und anderen russischen Städten dutzende Menschen festgenommen worden. Die Stimmung heute war gedrückt, ernst:
"Unsere Demonstration wird Putin wohl nicht aufhalten. Ich weiß nicht, wann unser Volk endlich aufwacht. Ich bin hier, um mir selbst zu zeigen, dass ich dagegen bin. Würde ich zu Hause bleiben, hätte ich hinterher ein schlechtes Gewissen."
Im Gleichschritt mit roten Fahnen
Wenige Kilometer entfernt marschierten zur selben Zeit Anhänger der russischen Krimpolitik Richtung Kreml, im Gleichschritt mit roten Fahnen. Das Motto der Veranstaltung: Marsch der Brüderlichkeit, Kampf gegen Faschismus. Die Organisatoren, eine kremlnahe Bewegung mit dem Namen "Wesen der Zeit", will eine Neuauflage der Sowjetunion. Nach Behördenangaben kamen rund 15.000 Teilnehmer. Der staatliche Fernsehsender Rossija 24 berichtete ausführlich und interviewte eine Demonstrantin:
"In der Ukraine herrscht Faschismus, das darf man nicht zulassen. Ich habe Verwandte in der Ukraine, in Dnjepropetrowsk. Alle sitzen zuhause, sie lassen die Kinder nicht auf die Straße. Sie trauen sich nicht, im Bus etwas zu sagen. Alle haben furchtbare Angst."
Der mindestens drei mal größere Friedensmarsch der Gegner der russischen Krimpolitik war dem Staatssender lediglich eine kurze Meldung wert. Der Nachrichtensprecher spielte die Bedeutung herunter, nach Polizeiangaben hätten 3000 Menschen an der Kundgebung teilgenommen.
Unterdessen teilte das russische Außenministerium mit, Russland erhalte eine Vielzahl von Eingaben mit der Bitte, so wörtlich, "friedliche Bürger in der Ukraine zu schützen". Genau dies könnte einen Anlass dafür bieten, dass Präsident Putin weiteres Militär in die Ukraine in Bewegung setzt. Bisher hat die russische Führung betont, ein Militäreinsatz in der Ostukraine sei nicht geplant, es sei denn, man müsse russische Bürger schützen. Aus dem Außenministerium hieß es heute Nachmittag, man werde die Eingaben prüfen.