Mit Wut, Scham und Mitleid durch den Schnee
Von Berlin nach Aleppo - 3.000 Kilometer zu Fuß. Das hat sich eine bunt gemischte Truppe von Friedensaktivisten vorgenommen. Der "Civil March for Aleppo" ist seit Ende Dezember unterwegs, die erste Etappe ist geschafft.
Draußen vor der Turnhalle liegen zehn Zentimeter Schnee. Bei Einbruch der Dämmerung sind es minus sechs Grad in dem kleinen, idyllisch gelegenen Ort zwischen Ost-Erzgebirge und sächsischer Schweiz.
Drinnen ist es wohlig warm, dicke blaue Judo-Matten liegen an den Wänden, mit ausgerollten Schlafsäcken darauf.
"So, food is prepared today, and … like every day I have got a super super kitchen team…”
Iris, eine agile Aussteigerin mit grauen, gelockten Haaren hat gerade den "Küchen-Hut" auf.
Improvisieren gehört immer dazu
Beim Bürgermarsch für Aleppo gibt es einen "Küchen-Hut", einen "Logistik-Hut" und ein Team für die Organisation von Übernachtung und Route. Egal, welchen Hut man auf hat: Improvisieren gehört überall dazu. Deswegen ist Iris auch keiner böse, dass in der Wirsing-Suppe das Salz fehlt.
Die Truppe ist bunt gemischt: Studenten, Berufstätige zwischen zwanzig und fünfzig, auch einige Rentner. Deutsche, Polen, Franzosen, Italiener. 400 sind in Berlin losmarschiert, jetzt sind es noch gut 40. Viele sind bei diesem Staffellauf nur am Wochenende dabei, ein harter Kern von ungefähr zehn Personen läuft seit dem Start mit.
Alle wissen, dass dieser Marsch die Welt nicht verändern wird. Aber nur zusehen und der eigenen Scham, der Wut, dem Mitleid nichts entgegensetzen, ist auch keine Lösung. So formuliert es der 52-jährige Reiseführer Antoine aus Südfrankreich:
"Like probably all the people that around here, we were looking individually for a way to do something - but had no clue how to express shame, anger, pity for the people. Until I read this article, I said ‘Wow, this is the sign – somebody organizes something serious. I have no excuse not to join them.‘ ”
Die Strapazen kümmern die Aktivisten wenig
Die Strapazen sind ihnen egal. Sie wollen endlich ein Zeichen setzen. Und dieser gemeinsame Nenner schweißt zusammen. Nach der Suppe sitzt ein Großteil der Gruppe zusammen und singt.
22 Uhr, Nachtruhe. Wobei Ruhe relativ ist. Das Hallenparkett knarkst, Türen quietschen, Männer wie Frauen schnarchen.
Morgens um 6 Uhr 30 geht das Licht in der Turnhalle an. Knapp zwei Stunden später läuft die Truppe auf der Landstraße Richtung tschechische Grenze. Begleitet von zwei Polizeiautos und äußerst freundlichen Beamten.
Hin und wieder kommen Autos auf der linken Straßenseite vorbei, manchmal winken die Insassen den Aktivisten. Rechts liegen schneebedeckte Nadelwälder und Wiesen.
Nach knapp zwei Stunden ist die deutsch-tschechische Grenze erreicht.
Eine Gruppe tschechischer Aktivisten und Reporter wartet schon mit Tee und Kuchen. Der Grenzübertritt ist ein erster kleiner Erfolg für die Gruppe. Der Abschnitt Deutschland, die ersten 240 Kilometer sind geschafft - bleiben noch 2.900 bis Aleppo.
Der 28-Jährige Alex hat den "Logistik-Hut" auf und fährt "Habibi". So wird der orange-farbene VW-Transporter genannt, der Gasflaschen, Bierbänke und im Anhänger das Gepäck transportiert.
"Wir werden in einer Kirche unterkommen, in `nem Gemeindehaus. Libouchec, heißt die Stadt. Genau, das sind jetzt noch mal knapp sieben, acht Kilometer, die sie dann laufen müssen."
Kommunikation mit Händen und Füßen
Beim Gemeindehaus angekommen, wartet schon der Hausmeister. Der spricht allerdings kein Wort Englisch – dafür Russisch. Eine polnische Aktivistin, die mit Alex im Auto saß, übersetzt mit Händen und Füßen und ihrem Schulrussich. Der Hausmeister führt beide durch drei kleine, kalte, staubige Zimmer im Obergeschoss.
Kurz danach kommt die restliche Truppe an. Antoine setzt sich in eine Ecke des Hausflurs, er hat seinen großen gelben Rucksack selbst getragen. Seine Füße würden sich wie Sardinen in der Dose anfühlen, sagt er.
"My feet feel do feel like sardinas in a box. Otherwise I’m happy we stop for today. I’m pretty tired.”
Die vom Schnee durchnässten Schuhe und Socken der anderen liegen abends am kleinen Holzofen in der Ecke, es riecht nach heißem Kunststoff und nach nassem Hund. Das ist der Moment, in dem sich die meisten der 40 Marschierenden zurück sehnen nach der geräumigen und überheizten Turnhalle auf der andren Seite der Grenze.