Friedensnobelpreis

Kontroverse Entscheidungen sind möglich

Eine Medaille mit dem Kopf von Alfred Nobel
Eine Medaille mit dem Kopf von Alfred Nobel (Bild: dpa) © Kay Nietfeld dpa
Moderation: Nana Brink |
In Schweden laufen mehrere Klagen gegen das Komitee für den Friedensnobelpreis, weil es nicht im Sinne Nobels entscheide. Der Friedensforscher Tilman Brück hält nichts davon: Kontroverse Entscheidungen schließe das Testament des Preisgründers nicht aus.
Nana Brink: Heute am späten Vormittag wird in Oslo bekanntgegeben, wer den Friedensnobelpreis bekommt. Vor 50 Jahren beispielsweise war es Martin Luther King, letztes Jahr war es die Organisation zum Verbot von Chemiewaffen, und das Jahr davor die EU, also die Europäische Union. Und diese Bandbreite zeigt schon, wie unterschiedlich man den Begriff definieren kann. Und bevor wir heute einen Namen haben, fragen wir hier jetzt im Deutschlandradio Kultur, was bedeutet Frieden? Das weiß der Berliner Friedensforscher Tilmann Brück, er war ehemals als Chef des Stockholmer Friedensforschungsinstitut SIPRI. Guten Morgen, Herr Brück!
Tilmann Brück: Guten Morgen!
Brink: Ist Frieden der Traum vom Paradies oder nur die Abwesenheit von Krieg?
Brück: Ich glaube, weder das eine noch das andere, oder vielleicht irgendwo dazwischen. Klar ist Frieden mehr als nur die Abwesenheit von Krieg. Krieg ist ja nur eine Form der gewalttätigen Auseinandersetzung, und Frieden ist eigentlich die Abwesenheit von struktureller Gewalt, die Abwesenheit von illegitimer Gewalt. Gewalt sollte eigentlich nur vom Staat unter ganz bestimmten Bedingungen angewandt werden, also um den Bankräuber festzunehmen, zum Beispiel. Und wenn Gewalt ausbricht und Menschen zu Schaden kommen, dann kann eigentlich kein Frieden sein. Aber selbst, wenn man Angst hat, dass das stattfinden kann, können Menschen nicht in Frieden leben. Aber Paradies – ich glaube, das ist ein bisschen überzogen. So weit muss es dann auch nicht gehen.
Brink: Aber manchmal hat man ja schon den Eindruck, dass dieser Begriff Frieden so aufgeladen ist.
Wunsch nach Frieden ist auch Wunsch nach Machtteilung
Brück: Ja, einerseits bedeutet der verschiedenen Leuten vielleicht durchaus andere Sachen, aber andererseits ist es auch ein sehr politischer Begriff. Es ist ein sehr machtbezogener Begriff. Regierungen haben Angst davor, dass Bürger oder andere Staaten Frieden durchsetzen wollen, vielleicht einen Frieden, der keine Rolle mehr für die Machthaber in der betroffenen Region vorsieht. Von daher ist der Wunsch nach Frieden auch der Wunsch nach einer Art der Machtteilung und der Gewaltenteilung, die nicht alle Regierungen dieser Welt unbedingt teilen.
Brink: Weil sie auch unterschiedliche Systeme haben? Also ist der Begriff Frieden dann auch abhängig von der Kultur eines Landes?
Brück: Ich würde sagen, dass man den Begriff durchaus universell diskutieren und definieren kann, also die Abwesenheit von Gewalt, das ist eigentlich jetzt nichts Kulturelles. Ich kann mir nicht vorstellen, wo Gewalt zwischen Menschen eingesetzt wird und wo das kulturell sanktioniert ist – außer vielleicht im Fußball –, aber ich glaube, dass ist sozusagen ein Begriff, der überall Gültigkeit hat. Aber die meisten Regierungen dieser Welt setzen Gewalt zum Beispiel auch gegen ihre Bürger oder gegen andere Länder ein, sind eben noch nicht voll demokratisch und voll legitimiert. Und diese Regierungen mögen das nicht, wenn diskutiert wird, wie Frieden erreicht werden kann, weil das auch Erwartungen an sie definiert, die sie im Moment nicht erfüllen können.
Brink: Weil, ich überlege mir immer, wenn also sozusagen Partner aufeinandertreffen und Frieden verhandeln, also Friedensverhandlungen ist ja auch ein stehender Begriff auch in der Politik, habe ich manchmal den Eindruck, sie gehen von ganz unterschiedlichen Dingen aus.
Brück: Ja, das hat, glaube ich, damit zu tun, dass Konflikte ganz unterschiedliche Ursachen haben können, und dass die Konfliktparteien ganz unterschiedliche, ich sag mal, Emotionen mitbringen und Erfahrungen und Gefühle, und die einen wollen vielleicht Anerkennung haben für das Problem, das sie haben. Sie fühlen sich vielleicht nicht wertgeschätzt, oder sie konnten sich nicht frei ausdrücken. Und die anderen haben Angst um ihre eigene Position, die Machthaber, sie denken vielleicht, sie verlieren Macht und Einfluss, werden vielleicht ins Gefängnis gesperrt, wenn sie die Macht verlieren.
Also, da gibt es ganz unterschiedliche Erwartungshaltungen an solch eine Friedensverhandlung. Wenn die Friedensverhandlung erfolgreich ist, dann führt das dazu, dass die Gewalt zurückgeht und dass zum Beispiel, wie in Nordirland – da ist jetzt ein Friedensprozess über viele Jahre gelaufen, und da ist die Gewalt deutlich zurückgegangen. Sie ist immer noch nicht auf Null, aber die Parteien haben sich weitgehend auf ein friedliches Miteinander geeinigt.
Brink: Sie definieren diesen Friedensbegriff ja sehr politisch. Aber wenn ich jetzt, um noch mal zurückzukommen auf den Friedensnobelpreis und mir angucke, wer ihn bekommen hat, dann merkt man aber schon, dass man schon sehr unterschiedlich auf diesen Begriff Frieden blicken kann. Also, was ich gesagt habe, Martin Luther King zum Beispiel, oder die Europäische Union – das sind ja ganz unterschiedliche Akteure.
Drei Gruppen von Preisträgern
Brück: Ja, ich glaube, wenn man zurückblickt, lassen sich drei unterschiedliche Gruppen von Preisträgern erkennen. Das eine sind Individuen, vorher oft weitgehend unbekannte Individuen, die selber sich für den Frieden eingesetzt haben. Dissidenten gehören zum Beispiel dazu, oder Menschenrechtskämpfer, Menschen, die erst durch den Friedensnobelpreis wirklich weltweit bekannt werden. Das Zweite sind Vermittler in Friedensprozessen, also oft hochrangige Personen oder Persönlichkeiten, die sich einsetzen für Frieden und Versöhnung zwischen den Völkern.
Brink: Also zum Beispiel bei Camp David könnte man das vielleicht sagen?
Brück: Ja, das könnte man da sagen. Da war es jetzt wirklich eine Friedensverhandlung, aber auch für Menschen, die sich für Friedensprozesse abstrakter einsetzen. Ich denke, darum hat Barack Obama damals den Preis bekommen. Das war ja sehr umstritten, aber er hat eben die Aussöhnung zwischen dem Westen und den Muslimen versucht, voranzubringen. Er hat das sozusagen nur verbal gemacht, seinen Worten keine Taten folgen lassen, aber das war damals der Ansatz, ihn dafür zu belohnen. Und das Dritte sind Organisationen. Und das kommt ja auch oft vor, dass Organisationen, die sich für den Frieden einsetzen – und das war letztes Jahr das Beispiel, und auch das Beispiel mit der EU. Das ist ja eine Institution, die strukturell den Frieden so, wie ich ihn vorhin auch definiert habe, ermöglicht hat in Westeuropa und zu einer beispiellosen Periode der Friedenszeit geführt hat. Und ich denke, in eine dieser drei Kategorien lassen sich die meisten Preisträger einordnen.
Brink: Derzeit sind ja in Schweden mehrere Klagen anhängig. Der Vorwurf, das Nobelpreiskomitee entscheide nicht im Sinne des Testaments von Nobel, also dem zufolge den Preis erhalten soll, und jetzt zitiere ich, "wer am meisten oder am besten auf die Verbrüderung der Völker und die Abschaffung oder Verminderung stehender Heere sowie das Abhalten oder die Förderung von Friedenskongressen hingewirkt habe". Das klingt jetzt ein bisschen verklausuliert, ist ja auch eine Sprache, die schon ein bisschen alt ist, aber auf keinen der Nobelpreisträger der letzten Jahre – also finde ich, siehe US-Präsident Obama oder auch die EU 2012 – trifft ja diese Definition wirklich zu. Wie sehen Sie das?
Brück: Das würde ich anders sehen. Ich denke, es passt eigentlich ganz gut, auch wenn die Sprache vielleicht etwas altmodisch ist. Um bei diesen beiden Beispielen zu bleiben: Obama hat sich für die Verbrüderung der Völker eingesetzt. Wie gesagt, überwiegend verbal, weniger durch seine Taten, aber das ist damals anerkannt worden, dieser Geist der Rede nach der Zeit von Bush, wo es eher auf Konfrontation hinauslief. Das war ein Beispiel für die Verbrüderung.
Brink: Aber es war doch erst mal nur ein Versuch?
Nobelpreis-Entscheidung im kleinen Kreis
Brück: Ja gut, es war ein Versuch. Ich meine, das sind einige, ich glaube, überwiegend Herren, die sich zusammensetzen in Oslo, das sind Abgeordnete des Parlaments oder vom Parlament benannte Vertreter, und die entscheiden dann in einem ganz kleinen Kreis, wie mit dem Vermächtnis des Herrn Nobel umzugehen ist. Das ist ja jetzt nicht ein – das sind ja nicht Steuermittel, die da vom Parlament eingesetzt werden, sondern das ist eine private Veranstaltung in gewisser Weise. Da kann man anderer Meinung sein, aber ich weiß nicht, ob es uns zusteht, jetzt das Komitee mit Klagen zu überziehen.
Ich denke, die können ja auch kontroverse Entscheidungen treffen, das ist ja nicht ausgeschlossen durch das Testament. Die EU hat es ja geschafft, im Inneren Europas einen wirklich sehr nachhaltigen und dauerhaften Frieden zu schaffen. Unsere Armee zeigt jetzt nicht mehr Richtung Paris und die französische nicht Richtung Berlin – das hat auch dazu geführt, dass die Armeen innerhalb Europas reduziert werden konnten, dass wir nicht mehr Angst voreinander haben müssen. Also ich denke, da ist eine andere Bedingung des Testaments durchaus erfüllt worden.
Brink: Zum Abschluss unseres Gesprächs: Was würden Sie sich wünschen für dieses Jahr? Es gibt ja viele, die auf der Liste stehen: Papst Franziskus, die 17-jährige Malala aus Pakistan, Helmut Kohl, Ban Ki-moon, UN-Generalsekretär.
Brück: Ja. Also ich, das ist wahnsinnig schwer vorherzusehen, wer es bekommt. Ich finde eigentlich immer die Friedensnobelpreisträger, die vorher nicht bekannt waren, die beeindrucken mich immer am meisten. Menschen, die wirklich aus einer inneren Überzeugung heraus vor Ort und oft im Kleinen sozusagen für Frieden arbeiten. Da kann man jetzt gar nicht sagen, wer es sein könnte, weil es so viele Menschen auf der Welt gibt, die sich ganz persönlich für Frieden einsetzen und für Frieden zwischen Individuen und zwischen Gruppen. Und das sind die Menschen und die Preisträger, die mich immer am meisten beeindrucken und die ich am meisten bewundere. Ich würde mir wünschen, nach dieser großen Organisation letztes Jahr und sogar der EU davor, dass es wieder eine Einzelperson ist, die sich ganz mutig und individuell für den Frieden einsetzt.
Brink: Der Friedensforscher Tilmann Brück. Danke schön für Ihre Zeit, dass Sie mit uns gesprochen haben hier im Deutschlandradio Kultur.
Brück: Sehr gerne!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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