Friedenspolitik

Das Ende der Grünen, wie wir sie kennen?

Robert Habeck kniet, er trägt einen Helm und schusssichere Weste. Vor ihm auf dem Boden liegen Patronenhülsen.
Robert Habeck im Mai 2021 bei einem Besuch nahe der ostukrainischen Stadt Mariupol: Die Grünen sind schon lange keine militärskeptische Partei mehr, findet Stefan Reinecke. © picture alliance / dpa / Klaus Remme
Ein Standpunkt von Stefan Reinecke · 26.04.2022
Grüne gehören zu denen, die nun am lautesten schwere Waffen für die Ukraine fordern. Haben sich die Friedensbewegten der 1980er um 180 Grad gewendet? Der Journalist Stefan Reinecke erklärt, warum er bei der Ökopartei keine Zeitenwende erkennen kann.
„Die auf Jahrzehnte geplante Hochrüstung beendet das Sterben in der Ukraine nicht und macht unsere Welt nicht friedlicher und nicht sicherer.“ So heißt es in einem Aufruf, den im März Intellektuelle, SPD-Mitglieder, Gewerkschafter, Künstler und eine Bischöfin unterschrieben haben. Aber kaum Grüne. Nur Hans-Christian Ströbele, aber der begehrte schon immer gegen den grünen Mainstream auf.
Das ist erst mal erstaunlich. Waren die Grünen nicht mal die Ökopax-Partei, tief verwurzelt in der Friedensbewegung der 80er-Jahre? Haben die Grünen ihre Ideale verraten? Sind sie Opfer der Zwänge geworden, die die Macht eben mit sich bringt?

Ja zum Krieg – vor über 20 Jahren

Nun - die Grünen sind schon lange keine militärskeptische Partei mehr. 1999 regierten sie in Berlin zum ersten Mal – und sahen sich damals mit dem Sachzwang konfrontiert, Ja zum Kosovokrieg zu sagen oder die gerade errungene Macht abrupt wieder zu verlieren. Doch schon damals war ihr Ja zum Kosovokrieg nicht nur pragmatisch motiviert. Viele Grüne hielten Bundeswehrjets über Belgrad für nötig.
Und heute? Das Bild, dass die Basis grollend schweigt, während Annalena Baerbock für noch mehr Waffen für die Ukraine trommelt – es stimmt nicht. Glaubt man grünen Abgeordneten, ist die Stimmung in den meisten Kreisverbänden ganz anders. Die Basis ist einverstanden mit Waffenlieferungen an Kiew und der 100-Milliarden-Euro Aufrüstung der Bundeswehr - und will einen harten Kurs gegen Putin.
Doch weil Klischees nun einmal hartnäckig sind und, einmal ins kollektive Bewusstsein eingefräst, jede Menge Gegenbeweise überleben, wollen viele nicht sehen, dass die Grünen längst keine pazifistische Partei mehr sind.

Treibende Kraft bei Waffenlieferungen

Die Grünen sind bei Waffenlieferungen an die Ukraine eine treibende Kraft. Die SPD hingegen agiert vorsichtiger - mit Blick auf die mögliche atomare Eskalation, die Putin angedroht hat.
Im Vergleich zum Kalten Krieg der 80er-Jahre wirkt dieses Bild fast kurios. Damals hatte die Helmut-Schmidt-SPD Nachrüstung und Pershing-Raketen durchgesetzt, während die Grünen vor Hochrüstung und einem atomaren Untergang warnten.
Also doch eine verkehrte Welt? Nur auf den ersten Blick.
In den 80er-Jahren, in denen das Bild des grünen Pazifismus aushärtete, gab es auch andere Strömungen – weniger sichtbar, aber wirkmächtig. Die SPD setzte auf Entspannungspolitik mit Honecker und den Mächtigen im Realsozialismus, die Grüne Petra Kelly redete lieber mit der Bürgerbewegung in der DDR. Der SPD setzte auf Realpolitik, den Grünen ging es vor allem um Moral und Menschenrechte.

Moral und Menschenrechte haben Priorität

Kurzum: Zur DNA der grünen Partei gehört viel mehr als der Pazifismus der Wille, auf der Seite von Moral und Menschenrechten zu stehen. Von dort war es zur "responsibiliy to protect", also der Pflicht, mit Waffen einzugreifen, wo elementare Rechte blutig verletzt werden, oder zum humanitären Interventionismus des Westens für manche nur noch ein kleiner Schritt.
Der Krieg des Westens in Afghanistan ist spektakulär gescheitert. Einzelne Grüne haben danach grundsätzlich nachgedacht und problematisiert, ob und wann Krieg für die gute Sache vertretbar ist und Erfolg haben kann. Die Partei als Ganzes hat das nicht getan.
Die Grünen sind 2022 eine professionelle liberale Partei. Sie hat ein paar harte Überzeugungskerne. Ein Nein zum Krieg gehört nicht dazu. Skepsis gegen Militär auch nicht.
In die Wiege gelegt war das der grünen Partei nicht. Vielleicht klingen einige Grüne heute deshalb schneidiger als manche Generäle.

Stefan Reinecke, geboren 1959, ist als Redakteur und Publizist in Berlin tätig. Seit 2002 arbeitet er für die Parlamentsredaktion der "taz". Er ist Autor und Herausgeber mehrerer Bücher, darunter eine Biografie von Christian Ströbele (2016).

Der Publizist Stefan Reinecke
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