"Ein politisches Signal"
Jaron Laniers Leistung sei die Erkenntnis, dass der Mensch die Technologie definiere und sie so in den Griff kriegen könne, meint Frank Schirrmacher. Das sei eine der positiven Botschaften des Informatiker Lanier, der mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels geehrt wird.
Britta Bürger: Die virtuelle Realität, diesen Begriff haben wir dem amerikanischen Informatiker und Schriftsteller Jaron Lanier zu verdanken. Heute wurde bekannt, dass der 54-Jährige in diesem Jahr mit dem Friedenspreis des Deutschen Buchhandels ausgezeichnet wird. Lanier habe erkannt, so die Jury in ihrer Begründung, welche Risiken die digitale Welt für die freie Lebensgestaltung eines jeden Menschen habe. Dabei war er ursprünglich einer der Geburtshelfer des Internets. Doch sein umfassendes Wissen über die Mechanismen des Netzes ließen ihn sehr früh auch die Gefahren wahrnehmen.
Der Journalist und Buchautor Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", verfolgt die Arbeit des New Yorker Theoretikers seit Langem. Er kennt ihn seit bald 15 Jahren persönlich. Jetzt ist er für uns in Frankfurt am Telefon. Ich grüße Sie, Herr Schirrmacher!
Frank Schirrmacher: Hallo, Frau Bürger!
Bürger: Hatten Sie Jaron Lanier als potenziellen Friedenspreisträger im Hinterkopf oder ist das jetzt eine wirklich sensationelle Überraschung?
Schirrmacher: Das ist schon eine Überraschung. Normalerweise geht der Friedenspreis an sehr gestandene, sehr anerkannte, kanonisierte Autoren. Dass jetzt jemand wie Lanier, der ja in seinem ganzen Habitus – wenn man ihn so sieht mit seinen Locken und mit seinem Auftreten und mit seiner Musik und allem – das ist schon eine große Überraschung. Es ist aber vor allen Dingen ein politisches Signal.
"Ein bisschen so ein Guru"
Bürger: Sie kennen Lanier persönlich, haben ihn vor 14 Jahren das erste Mal getroffen. Welche Erinnerungen haben Sie an diese Begegnung?
Schirrmacher: Na ja, das war so ein bisschen so ein Guru, den man natürlich – man wusste schon, was er alles gemacht hat, man wusste, das ist übrigens in dieser Welt, in dieser Industrie, dieser Informatik ja öfter ein Universalgenie, haben Sie gesagt, man kann auch sagen, ein Wunderkind, ein Mann, der mit 13 Jahren an der Universität sich immatrikulierte.
Übrigens, er ist das Kind verfolgter Juden, von Emigranten. Die Mutter war in einem Konzentrationslager in der Nähe von Wien. Also auch mit dieser europäischen Geschichte im Hintergrund. Und es war jemand, der damals schon, wenn ich mir das heute vorstelle, 2000, ganz präzise voraussagte, was die nächsten Veränderungen sein werden. Er hat natürlich nicht die Überwachung vorausgesagt, aber er hat vorausgesagt, dass das Internet, das damals ja noch so ein Spielzeug war, ein so beherrschendes Instrument wird.
Bürger: Aber gehen wir noch mal einen Schritt zurück. Zum ersten Mal überhaupt bekommt mit ihm ein Vordenker des Internets den Friedenspreis. In der "FAZ" wurde er mal als einer der entscheidenden Wegbereiter digitaler Entwicklung bezeichnet. Worin bestand denn zunächst sein Beitrag zum Durchbruch des Internets?
Laniers Erkenntnis: Vernetzung führt zu virtual reality
Schirrmacher: Er hat in den 90er-Jahren mit einer – natürlich, da waren auch viele andere beteiligt – erkannt das unglaubliche Potenzial von vernetzten, durch Technologie von vernetzten Gesellschaften. Er war derjenige, der aber auch erkannte, dass das zunächst mal zu einer Verdoppelung unserer Wirklichkeit führt, also virtual reality, und dass das einen Doppelgänger von Menschen auch produziert. Darum der Avatar, den er ja als einer der ersten entwickelt hat. Ein Avatar, eigentlich eine Spielfigur, so begann das in den 90er-Jahren und all das, was damals fast ein Spiel war – es war eigentlich ein Spiel – wurde dann – und darum ist er eben auch so wichtig in seinen Prognosen –, wurde dann Ernst. Also das, was damals eine Spielfigur war, so würde er heute sagen, ist heute der digitale Doppelgänger oder, wie der Bundespräsident sagt, der digitale Zwilling, der von uns allen existiert und das Spiel ist unsere Wirklichkeit. Das ist sozusagen der Zusammenhang, in den man ihn stellen muss.
Bürger: Gab es dafür Schlüsselmomente, also um das Jahr 2000 herum muss das gewesen sein, dass er diese Kehrtwende gemacht hat, zum Mahner wurde, zum großen Skeptiker. Wie kam es zu diesem radikalen Umschwung?
Schirrmacher: Das ist ja durch Nine-Eleven etwas in den Hintergrund getreten. Nine-Eleven spielte eine große Rolle, aber davor war erst mal die Internet-Blase. Das heißt, was die Internet-Blase – wir sehen die immer nur als eine Vernichtung von unfassbar viel Geld, weil damals ja viele Firmen pleite gingen. Was sie aber eigentlich war, dass sie die Kommerzialisierung des Internets bedeutete. Damit begann das. Vorher war das – da gab es zwar schon Provider wie AOL und Compuserve, ich glaube, Google war noch in den Anfängen. Das war der Moment, wo das Internet, das immer gedacht war als eine völlig kommerzfreie Zone, zu einem kommerzialisierten Projekt wurde, das war der erste Schritt.
Und der zweite, das ist gar keine Frage, war all das, was Nine-Eleven auslöste, dass das Netz, das war dann ein Jahr später natürlich und auch erst in der Folge richtig sichtbar, dass Digitalisierung, die ja nicht nur Internet und nicht nur Computer heißt, sondern die eigentlich alles mittlerweile umfasst und umfassen wird, ein Instrument ist, um Gesellschaften zu kontrollieren und zu überwachen.
Vision von der machtfreien Gesellschaft
Bürger: Was für einen Freiheitsbegriff hat er?
Schirrmacher: Das ist ein Mensch, der – und das ist in dieser Urgeneration dieser, man kann ja sagen, Nerds, aber auch dieser ganzen – das kommt ja zum großen Teil auch aus der Hippie-Kultur. Ich meine, Steve Jobs, wie wir alle wissen, war ja auch, begann ja sozusagen auch als Hippie. So kann man sich das vorstellen, das ist der Freiheitsbegriff. Ein Ausgleich von Interessen und eine Kommunikation, die ohne Macht auskommt, also in der jeder gleichberechtigt ist, auch ganz egal, welchen sozialen Status er hat, und in dem er sich frei und ohne Gefahr von Sanktionen sozusagen bewegen kann.
Eine solche Gesellschaft, würde ich mal sagen, das ist meine Deutung, schwebt ihm vor, und das Internet war gedacht als eine Technologie, die dabei hilft. Wenn der Friedenspreis jetzt sagt, dass er auf die Risiken hinweist, muss man immer dazu sagen, dass er gleichzeitig auch immer auf die Chancen hinweist, die das alles immer noch hat. Das ist ja genau die Debatte, die wir gerade alle jetzt führen.
Bürger: Universalgenie und Internetvisionär – der US-Amerikaner Jaron Lanier erhält den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Über ihn sind wir hier im Deutschlandradio Kultur im Gespräch mit dem Publizisten Frank Schirrmacher, Mitherausgeber der "FAZ".
Sie sprechen die Chancen an, die er noch immer im Internet sieht, der prominente oder vielleicht prominenteste Kritiker Jaron Lanier. Vom Typ ist er aber ja und von der Haltung her wohl auch alles andere als ein Kulturpessimist. Welche Lösungsansätze sieht er denn, welche Chancen?
"Es sind wir, die die Programme schreiben"
Schirrmacher: Ja, sehen Sie, da ist er wirklich ein ganz guter Zeuge. Ich denke, er ist so ein Beispiel dafür, dass man sieht, dass die Debatte darüber, welchen Risiken wir uns aussetzen werden, die immer größer werden, daran kann kein Zweifel bestehen, ja doch keine kulturpessimistische Frage ist. Sondern im Gegenteil, was er sagt, wofür er steht, ist eine ganz andere, optimistische Botschaft. Es ist nicht die Technologie, die uns definiert, sondern es sind immer noch wir. Es sind wir, die die Programme schreiben, er ist ja selber Programmierer und hat das immer wieder gesagt. Es ist eine Frage, was schreiben die Informatiker für Programme – es sind wir, die die Maschinen einsetzen zu irgendwelchen Zwecken; es sind wir, die sagen, hier soll Effizienz gesteigert werden oder hier soll sie nicht gesteigert werden.
Das heißt, das Optimistische ist doch zu sagen – und das war eigentlich in allen technologischen Debatten immer der Fall, Menschen können das in den Griff bringen und müssen das auch. Also eine politische Frage. Und da reiht er sich im Friedenspreis übrigens in eine – ich finde das eine wirklich gute Entscheidung auch – in eine Kette ein. Der hat immer, der Friedenspreis, solche Koryphäen des technologischen Wandels ausgezeichnet. Bei der Atomenergiedebatte war es Karl Friedrich von Weizsäcker. Dann war es der Club of Rome in Fragen Grenzen des Wachstums, Ausbeutung der Natur. Und jetzt, im 21. Jahrhundert, ist es die digitale Revolution. Und das sehe ich als ziemlich logischen Zusammenhang.
Bürger: Der Begriff Universalgenie fiel vorhin schon. Jaron Lanier ist noch viel mehr als ein Theoretiker und Computerfachmann. Er ist Musiker, er ist Komponist. Womit beschäftigt er sich zurzeit, wissen Sie das? Er müsste ja unserer Zeit schon längst wieder weit voraus sein.
Laniers Thema: Wie werden Menschen in Zukunft gesehen?
Schirrmacher: Also er ist schon, jetzt im Augenblick, also was er jetzt für Musik komponiert – er komponiert ja sogar klassische Musik –, das weiß ich nicht. Aber er ist schon, ich denke schon, und das sollte man auch noch mal sagen ein Jahr nach Snowden, diese Beobachtung, dass wir alle noch in einem Zustand sind, wo wir es irgendwie noch nicht auf uns beziehen, wo wir alle immer noch denken, es sind Vorgänge, die irgendwo mit einem selber nichts zu tun haben. Das beschäftigt ihn sehr, da hat er jetzt wiederholt – er hat bei uns ja gerade letzte Wochen noch mal darüber geschrieben, auch über das Recht auf Vergessen – also die Frage, wie wir es schaffen, zu erkennen, dass wir hier gerade eine ganz große sozusagen fast Verhandlung führen darüber, wie Menschen gelesen und gesehen werden in der Zukunft, das ist sein Thema.
Die Frage, ist es – das ist ja ein Titel eines seiner Bücher, wo er sagt, du bist kein Produkt. Ist es wirklich der gangbare Weg, dass wir viele Dinge kostenlos bekommen und dafür mit unseren Daten bezahlen, aber dann zum Produkt werden. Ich denke, dass er sich damit sehr beschäftigt, und ich glaube, dass er auch beim Friedenspreis darüber reden wird. Weil, das ist eine Demokratiedebatte, es ist eine Debatte darüber, ob es Dinge gibt, die jenseits der Kontrolle nach wie vor möglich sind. Und das geht auf eine ganz private Ebene. Das fängt an bei Krediten, die man nicht bekommt, bei Karrieresprüngen, die man nicht machen kann, bis hin natürlich zu den ganz großen Fragen.
Bürger: Das heißt, Sie gehen davon aus, dass er am 12. Oktober nach Frankfurt kommt?
Schirrmacher: Ich bin ganz sicher, dass er das tut. Ich habe nicht mit ihm geredet, aber ich freue mich schon auf seine Rede.
Bürger: Frank Schirrmacher über den neuen Friedenspreisträger Jaron Lanier. Herr Schirrmacher, ich danke sehr fürs Gespräch!
Schirrmacher: Ich danke Ihnen, Frau Bürger!
Bürger: Und wer etwas lesen möchte von Jaron Lanier, dem seien seine zwei Bücher empfohlen, die es bereits auf Deutsch gibt: "Gadget. Warum die Zukunft uns noch braucht" und "Wem gehört die Zukunft?"
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.