Friedenspreis des Deutschen Buchhandels

    Ehepaar Assmann plädiert für globale Solidarität

    Jan und Aleida Assmann mit einem Blumenstrauß. Das Ehepaar erhielt in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
    Jan und Aleida Assmann: Preis für ein "zweistimmiges Werk". © dpa/Arne Dedert
    Das Preisträger-Paar hat Erinnerungskultur erforscht und sich um diese verdient gemacht. In ihrer Dankesrede plädieren sie für "ein Erinnern, das Zurechnungsfähigkeit und Verantwortung ermöglicht und einen Wandel der Werte und des nationalen Selbstbildes stützt“.
    Das Ehepaar Aleida und Jan Assmann hat in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels entgegengenommen. Die beiden 71 und 80 Jahre alten Wissenschaftler werden für ihre Forschungen zur Erinnerungskultur von Gesellschaften ausgezeichnet – vom alten Ägypten bis zur Gegenwart.

    Plädoyer für globale Solidarität

    In ihrer Dankesrede forderten die Preisträger von Europa eine globale Solidarität im Umgang mit ökonomischen und natürlichen Ressourcen - "damit es eine Zukunft nachfolgender Generationen überhaupt noch geben kann".
    Europa müsse sich auch mit den Menschen solidarisieren, die durch Kriege, Not und Gewalt zur Flucht gezwungen seien. "Es kann nicht angehen, dass es eine neoliberale Freiheit für die Bewegung von Kapital, Gütern und Rohstoffen gibt, während Migranten an Grenzen festhängen und wir die Menschen, ihr Leid und ihre Zukunft vergessen", verlangten Aleida und Jan Assmann weiter. Die zentrale Frage sei nicht, "ob wir die Integration schaffen oder nicht, sondern wie wir sie schaffen".
    Die Kulturwissenschaftler hätten ein Werk geschaffen, "das für die zeitgenössischen Debatten und im Besonderen für ein friedliches Zusammenleben auf der Welt von großer Bedeutung ist", begründete der Stiftungsrat den Preis.

    Kulturelles und nationales Gedächtnis

    Die Wissenschaftler betonten, dass es die Aufgabe eines kulturellen wie eines nationalen Gedächtnisses sei, "sich wiedererkennbar zu halten. Man könne aber heute nicht mehr nahtlos "an alte Fantasien von Stolz und Größe der Nation" anknüpfen. Das Gedächtnis sei auch ein Spiegel der Selbsterkenntnis, der Reue und Veränderung.
    Die Wissenschaftler betonten, dass es die Aufgabe eines kulturellen wie eines nationalen Gedächtnisses sei, "sich wiedererkennbar zu halten. Man könne aber heute nicht mehr nahtlos "an alte Fantasien von Stolz und Größe der Nation" anknüpfen. Das Gedächtnis sei auch ein Spiegel der Selbsterkenntnis, der Reue und Veränderung.
    Die Nation sei kein heiliger Gral, der vor Befleckung und Entweihung zu retten sei, "sondern ein Verbund von Menschen, die sich auch an beschämende Episoden ihrer Geschichte erinnern und Verantwortung übernehmen für die ungeheuren Verbrechen, die in ihrem Namen begangen wurden". Identität entstehe nicht durch Leugnen, Ignorieren oder Vergessen. Es brauche "ein Erinnern, das Zurechnungsfähigkeit und Verantwortung ermöglicht und einen Wandel der Werte und des nationalen Selbstbildes stützt".

    Laudatio von Hans-Ulrich Gumbrecht

    Die Laudatio hielt der Literaturwissenschaftler Hans-Ulrich Gumbrecht, ein persönlicher Freund der Assmanns. Bei dem Ehepaar sei die Leidenschaft füreinander nicht zu routinierter Partnerschaft oder Arbeitsteilung verkommen, hob er hervor. "Sie lieben sich, weil sie – auch in ihren intellektuellen Stärken und Gesten – so sehr verschieden sind, und dieses Ganz-Anders-Sein ist für sie auch im Alter ein Feuer geblieben, das dem Denken zweifache Energie gibt."
    Beide Preisträger haben sich mit der Erforschung der Erinnerungskultur über Deutschland hinaus einen Namen gemacht. Da haben die alten Ägypter mit ihrem Totenkult, Jan Assmanns originäres Forschungsgebiet, wertvolle Hinweise geliefert. Die Hochkultur am Nil schuf einst monumentale Denkmäler gegen das Vergessenwerden.
    Das Forscherpaar Aleida und Jan Assmann kommt zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in die Frankfurter Paulskirche.
    Das Forscherpaar Aleida und Jan Assmann kommt zur Verleihung des Friedenspreis des Deutschen Buchhandels in die Frankfurter Paulskirche.© picture alliance / Arne Dedert / dpa
    Aleida Assmanns Arbeiten zum kulturellen Gedächtnis ist es mitzuverdanken, dass Deutschland heute eine Erinnerungskultur hat, die weltweit als beispielhaft gilt. Dies versteht die Literaturwissenschaftlerin auch als Antwort auf den Holocaust. Nach dem "Historikerstreit" von 1986, bei dem es um die Frage der Einzigartigkeit des Genozids an den Juden ging, hat sich das Ehepaar maßgeblich für den Bau des Holocaust-Mahnmals in Berlin eingesetzt.

    Stiftungsrat spricht von "zweistimmigem Werk"

    Die Auszeichnung ist mit 25 000 Euro dotiert und wird seit 1950 traditionell zum Abschluss der Frankfurter Buchmesse vergeben. Die Assmanns sind das zweite Ehepaar, das den renommierten Kulturpreis erhält. Der Stiftungsrat sprach von einem "zweistimmigen Werk". 1970 bekamen die beiden schwedischen Friedensforscher Alva und Gunnar Myrdal die Auszeichnung.
    Bei der Erinnerung an die deutsche Vergangenheit darf es nach Meinung der Wissenschaftler auch für künftige Generationen keinen Schlussstrich geben. Jeder könne über die Geschichte seiner Familie auch heute noch etwa mit Hilfe von Briefen persönlich recherchieren, sagt dazu Aleida Assmann.
    In Sachen Erinnerungskultur nehmen die Assmanns die Deutschen auch bei einem anderen umstrittenen Thema - der Einwanderung - in die Pflicht. Sie setzen sich für ein Migrationsmuseum ein. "Deutschland muss sich als Einwanderungsland neu erfinden», verlangt die 71-jährige Aleida Assmann.
    (dpa/mf)

    Deutschlandfunk-Kultur-Redakteur René Aguigah hat mit dem Forscherpaar Assmann gesprochen, bevor bekannt gegeben wurde, dass sie den Friedenspreis erhalten. Das Gespräch wurde erstmals am 30. März 2018 ausgestrahlt und können Sie hier nachhören. Audio Player

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