Friedenspreis des Deutschen Buchhandels für Margaret Atwood

Die erschrockenen Kaninchen der Zivilgesellschaft

Die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood hält am 15.10.2017 bei der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels in der Paulskirche in Frankfurt am Main ihre Dankesrede.
Margaret Atwood bei ihrer Dankesrede für den Friedenspreis © dpa / Arne Dedert
Von Ludger Fittkau |
Die diesjährige Preisträgerin des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels ist laut Jury eine "der bedeutendsten Erzählerinnen unserer Zeit". Bei ihrer Dankesrede in der Paulskirche zeigte sich Margaret Atwood aber auch als politische Mahnerin, die vor den Gefahren des Populismus für die Zivilgesellschaft warnte.
"Es gibt wenig Hoffnung für eine Nordamerikanerin, die in den 1950er-Jahren Deutsch im Gymnasium, in Toronto, Kanada, gelernt hat."
Obwohl ihre Lern-Erfahrungen mit der deutschen Sprache schon ein paar Jahrzehnte zurückliegen, begrüßte Margaret Atwood das Publikum in der Frankfurter Paulskirche in der Landessprache.

Hören Sie hier Auszüge aus Eva Menasses Laudatio und aus Margaret Atwoods Dankesrede:
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Für die Fabel von den rechtspopulistischen Wölfen, die in der USA, aber auch in Europa die Kaninchen der Zivilgesellschaft erschrecken und zum Beispiel ein Frauenbild aus dem 19. Jahrhundert propagieren, wechselte Atwood dann wieder in ihre Muttersprache:
"Es ist so ein Moment, wo die Kaninchen auf dem Feld die Ohren aufstellen, weil ein Jäger die Bühne betreten hat. Da kommt er also des Weges, ein Wolf im Schafspelz, oder gar ein Wolf im Wolfspelz. Und dieser Wolf wird sagen: Kaninchen, ihr braucht einen starken Anführer, ich bin genau der Richtige dafür. Ich werde wie von Zauberhand die perfekte Welt der Zukunft erscheinen lassen und Eiscreme wird auf Bäumen wachsen. Aber zunächst einmal müssen wir die Zivilgesellschaft abschaffen."

Die Opfer variieren

Mit ihren Reißzähnen fallen die rassistischen und sexistischen Wölfe wieder über die Teile der Gesellschaft her, die am wenigsten zu ihrem eigenen, kriegerischen Rudel passen. Ihre Opfer variieren von Ort zu Ort und von Epoche zu Epoche, so Atwood:
"Mal sind es Hexen, mal sind es Leprakranke. Beiden gab man ja die Schuld vor dem schwarzen Tod. Mal sind es die Hugenotten, im 18. Jahrhundert in Frankreich. Mal sind es die Mennoniten. Wieso Mennoniten, fragte ich mal einen mennonitischen Freund. Ihr wirkt doch völlig harmlos. Wir sind Pazifisten, erwiderte er. Auf einem Kontinent, der Krieg führt, geben wir ein schlechtes Beispiel ab. Jedenfalls sagte der Wolf: Macht, was ich sage, und alles wird gut. Wiedersetzt ihr euch, werde ich knurren und die Zähne fletschen und euch in Stück reißen."

Der Wolf hat einen Namen

In Nordamerika hat der Wolf einen Namen, so Margaret Atwood: Donald Trump. Aber ihr Blick geht auch nach Westeuropa:
"Großbritannien macht ebenfalls gerade schwierige Zeiten durch, mit viel Heulen und Zähneklappern. Und dasselbe gilt, auf weniger drastische Weise, aber doch in Anbetracht der jüngsten Wahlergebnisse auch für Deutschland. Diese Gruft hielt man bislang für verschlossen, aber irgendjemand hatte den Schlüssel und hat die verbotene Kammer geöffnet. Was für ein Ungeheuer wird jetzt daraus geboren? Verzeihen Sie mir diese schauerlichen Szenarien, doch an vielen Fronten besteht Anlass zur Sorge."
Die mitreißende Laudatio zum Friedenspreis für Margaret Atwood hielt die österreichische Schriftstellerin Eva Menasse. Sie lobte den "Röntgenblick", den Attwood entwickelt habe, um gesellschaftliche Tendenzen zu erfassen und ein spezielles Talent "zum Hochrechnen" sozialer Entwicklungen.

"Erst kommt lang keiner und dann zwei auf einmal"

Margarete Atwood, die ja in diesem Jahr auch als Kandidatin für den Literaturnobelpreis genannt wurde, sei eine ungemein produktive Autorin, die in ihren Texten immer wieder kreativen Frauen Raum gebe, so Eva Menasse:
"Ich bin nicht sicher, ob sie es selbst weiß, wie viele Bücher sie geschrieben hat. Jedenfalls ist ihr etwas gelungen, was nach wie vor die Ausnahme ist: auf dem Gebiet der Literatur als Frau ein Weltstar zu werden. Sie kennen wahrscheinlich das verzwickte Spiel: Einer sagt ein Land und ein anderer versucht, eine zeitgenössische Autorin von internationalem Rang und Bekanntheit zu nennen. Für ein paar gesegnete Länder und die gängigen Weltsprachen wird das schnell gelingen. Für Kanada, Margaret Attwoods Heimat, fällt einem nach der Londoner Busformel sogar noch eine zweite ein. Sie kennen die Londoner Busformel: Erst kommt lang keiner und dann zwei auf einmal."
Alice Munro, Literaturnobelpreisträgerin von 2013 sowie Margaret Atwood, aktuelle Friedenspreisträgerin des Deutschen Buchhandels. Glückliches Kanada, das den Wölfen so überzeugende weibliche Sprachkunst entgegenstellen kann.
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