Herzlichen Glückwunsch, Margaret Atwood!
Heute wird in Frankfurt der kanadischen Schriftstellerin Margaret Atwood der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels verliehen. Eine hellsichtige Mahnerin für Humanität und Toleranz, die durch dystopische Romane wie "Der Report der Magd" berühmt wurde.
Margaret Atwood, eine zierliche Frau mit wachen Augen, sitzt in einem Café in Toronto und denkt über eine Frage nach: Wäre es ungerecht, wenn sich jemand, der warme Füße hat, weigert, die kalten Zehen des Partners zu wärmen?
"Es könnte nicht gerade auf Begeisterung stoßen. Es ist das gute Recht des Kapitalgebers, das Kapital der Wärme nicht abzugeben. Er kann nein sagen. Oder aber: 'Ich werde deine Zehen wärmen. Aber dafür musst du ...' Und dann kommt die Bedingung."
Was Schulden überhaupt sind, hat die Schriftstellerin in ihrem Sachbuch "Payback" im Jahr 2008, passend zur Finanzkrise, derart anschaulich erklärt. Margaret Atwood ist eben nicht nur eine Autorin von Romanen wie "Der blinde Mörder". Die studierte Literaturwissenschaftlerin ist auch eine brillante Essayistin mit messerscharfem Verstand und, wie es die Jury des Friedenspreises formulierte, mit einem "politische[n] Gespür […] für gefährliche unterschwellige Entwicklungen und Strömungen".
Erschreckend realistische Dystopien
Im Roman "Der Report der Magd" von 1985 entwirft sie ein von Männern dominiertes totalitäres System, in dem Frauen zu Gebärmaschinen degradiert werden. Diese erdachte Zukunftswelt wirkt mit Blick auf Präsident Donald Trump, der seine Berühmtheit und Macht ausgenutzt hat, um fremden Frauen an ihr Geschlechtsteil zu fassen, erschreckend realistisch. In der Science-Fiction-Trilogie "MaddAddam" beschreibt Atwood ein Endzeitszenario. Die Welt ist aufgeteilt in das Land der Privilegierten einerseits, der Großkonzerne, die mit privaten Sicherheitsleuten die Macht übernommen haben, und in ein sogenanntes Plebsland andererseits, wo Arme in Slums dahinvegetieren. Bis eine Pandemie fast alle umbringt. Die letzten überlebenden Menschen treffen aufeinander und auf transgene Schweine.
"Ich beschreibe nur, was wir entweder schon tun oder tun könnten. Das gilt schon für 'Oryx und Crake', den ersten Teil der Trilogie. Da arbeiten Forscher bereits an Dingen, die mittlerweile realisiert sind. Vielleicht denken Sie, ich hätte die Cyber-Insekten frei erfunden, denen ein Nano-Chip, eine Spionagevorrichtung, implantiert wurde. Das habe ich nicht erfunden. Zurzeit wird daran geforscht. Wenn Sie schon bald an der Wand eine Fliege bemerken, könnte die Fliege Sie ansehen und aufzeichnen. Und Sie könnten sie gar nicht von einer richtigen Fliege unterscheiden."
Hoffnung auf eine intaktere und friedlichere Welt
Die Überwachung, die unsere Freiheit beschneidet, die Ungerechtigkeit einer Krankenversicherung, die sich nur Reiche leisten können, die Hybris des Menschen – Margaret Atwood ist eine hellsichtige Mahnerin. Eine Humanistin, der aber auch die Umwelt am Herzen liegt. 1939 wurde Atwood im kanadischen Ottawa geboren, als Tochter eines Biologen:
"Er war ein Forst-Entomologe. Das heißt, er beschäftigte sich mit Insekten, die im Wald zu finden sind. Deshalb lebten wir drei Viertel des Jahres im Wald. Ich bin also praktisch im Wald aufgewachsen."
Um Flugreisen zu minimieren, erfand Margaret Atwood einen Stift, mit dem man aus der Ferne, über das Internet, Bücher und Dokumente signieren kann. Sie selbst nutzt öffentliche Verkehrsmittel. Und sie möchte, dass ihre Leiche einmal tiefgefroren und dann in ihre Einzelteile zersprengt wird, weil bei dieser Bestattungsmethode am wenigsten Kohlendioxid freigesetzt werde. Die Hoffnung auf eine intaktere und friedlichere Welt, wenn auch nach ihrem Tod, hat Margaret Atwood, diese würdige Friedenspreisträgerin, nicht aufgegeben.