Friedenspreis für Aleida und Jan Assmann

"Raus aus den Ideologien!"

Die Kulturwissenschaftler Aleida Assmann und Ehemann Jan Assmann. Das Ehepaar erhält gemeinsam den diesjährigen Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.
"Wir denken sehr stark miteinander" - Das Ehepaar Aleida und Jan Assmann. © dpa/Corinna Assmann
Aleida und Jan Assmann im Gespräch mit René Aguigah |
In diesem Jahr geht der Friedenspreis des Deutschen Buchhandels an das Ehepaar Aleida und Jan Assmann: Im Deutschlandfunk-Kultur-Gespräch plädieren sie für eine Erinnerungskultur, die auch Verbrechen der eigenen Nation nicht ausblendet.
In einem Europa der vielen Nationen können man keine monologische Erinnerungskultur mehr pflegen. Davon sind Aleida und Jan Assmann überzeugt – und möchten, davon ausgehend, eine neue Art des Erinnerns prägen: jenseits nationaler Vergangenheitspolitik.
Aleida und Jan Assmann, die Kulturwissenschaftlerin und der Ägyptologe, haben einen reflektierten Umgang mit der Vergangenheit in Deutschland maßgeblich geprägt. Am Sonntag (14. Oktober 2018) erhalten sie den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels.

Die Leistung der Flakhelfer-Generation

"Ich bin kriegsschadenfrei aufgewachsen", sagt Aleida Assmann, die 1947 geboren wurde. Ihr neun Jahre älterer Mann hat dagegen noch den Sirenenlärm der Kriegsjahre im Kopf, erlebte das bedrohliche Nachkriegschaos: marodierende Scharen, die zu Mord und Totschlag bereit waren. "Ich gehöre zu einer Generation, die aus 1945 aufgetaucht ist mit dem Willen: raus aus den Ideologien", bekennt Jan Assmann.
Geprägt wurden das seit 50 Jahren verheiratete Paar durch das Aufbruchsklima der frühen 60er-Jahre. In diesen Jahren hätten die Jahrgänge ab 1926, die sogenannte Flakhelfer-Generation, begonnen, die Republik neu zu prägen: "Immer wenn ich einen interessanten Lehrer fand, hab ich gefragt, wann ist denn der geboren? Das war dann 1926 oder 27", erzählt Aleida Assmann. "Und dann hab ich angefangen, diese Jahrgänge zu sammeln, wie andere Weine sammeln, und dachte: Die muss man sich mal merken. Das Interessante an dieser Gruppe war, dass sie nie gemeinsam über ihre Vergangenheit gesprochen haben. Aber sie haben die Zukunft gestaltet."

Die 68er und die neue Erinnerungskultur

Die 68er Studentenrevolte haben beide miterlebt, sich aber am ideologischen Klima gestört. Die wichtigste Leistung habe diese Generation erst später, in den 80er-Jahren, vollbracht, bilanzieren die beiden: Als viele 68er die Erinnerungskultur der Bundesrepublik aufbauten. "Es ist merkwürdig, dass man Generationen immer festlegt auf ihre Jugendphase", beklagt Aleida Assmann. "Aber diese Generation hat Entscheidendes 20 Jahre nach 1968 geleistet."
Erinnerungskultur steht für sie im Kontrast zu nationaler Vergangenheitspolitik: "Die Nation braucht eine Geschichte, um sich eine Identität zuzulegen, und diese Geschichte wird so selektiv strukturiert, dass sie zu einem Sockel wird, auf dem das eigene Ich größer wird."
Erinnerungskultur überwindet diesen selektiven Blick, "indem es zum ersten Mal in der Geschichte eine Form gibt, sich als Kollektiv zu erinnern und sich dabei auch auf die Verfehlungen und die Verbrechen der eigenen Geschichte zu beziehen." Europa erfordert nach Ansicht der Assmanns diesen offenen Umgang mit der eigenen Geschichte.

Deutschland – ein Immunsystem, das Fremdkörper abstößt?

Beide Friedenspreisträger des Deutschen Buchhandels wenden sich vehement gegen eine Rückkehr zu traditioneller Vergangenheitspolitik und benennen die Herausforderungen der Gegenwart. So berühren die Debatten um die Frage, ob der Islam zu Deutschland gehöre, für Jan Assmann Grundfragen unseres Selbstverständnisses, was zu Deutschland gehöre: "Ist das ein Immunsystem, das Fremdkörper abstößt? Für mich wäre ein Schreckensbild die Vorstellung, in einem christlichen Staat zu wohnen, wo Nichtchristen Bürger zweiter Klasse sind. Das wollen wir hier nicht!"

Das Gespräch wurde erstmals am 30. März 2018 ausgestrahlt.

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