Friederike Mayröcker: Pathos und Schwalbe
Suhrkamp Verlag, Berlin 2018
265 Seiten. 24 Euro
Eine Vagabundierende, die in der Sprache flaniert
Nach einem Krankenhausaufenthalt 2015 kehrt Friederike Mayröcker zurück in ihre "Schreibhöhle". Aus Erinnerungen, Träumen und Beobachtungen formt sie ihre Texte. Daraus entstanden ist nun ihr Buch "Pathos und Schwalbe" - in dem sie das Leben feiert wie ein Fest.
"Bin rekonvaleszent, bin invalid sage ich zu meinem Schatten behüte mich [...]." So beschreibt Friederike Mayröcker ihr Befinden, nachdem sie die Sommermonate des Jahres 2015 in einem Krankenhaus zubringen musste. Als sie wieder zurück in ihrer Schreibhöhle ist, sie wieder Platz nehmen kann inmitten ihrer Manuskripte, Zettel, Briefe, Bücher und Fotos, beginnt sie tagebuchartige Notizen aufzuschreiben, die zwischen dem Dezember 2015 und dem September 2017 entstanden sind. Mit unglaublicher Energie arbeitet sie in dieser Zeit an "Pathos und Schwalbe", einem regelrechten Wörter- und Metaphernuniversum, in dem auch Bezug auf den Klinikaufenthalt genommen wird. Dieser Text reiht sich in ein faszinierendes Werk ein, das die Autorin in den letzten Jahrzehnten vorgelegt hat. In ihrem wahren Schreibparadies ist Friederike Mayröcker allerdings noch nicht angekommen: "Ich müsste den ganzen Tag für mich haben um unbändig, ich meine schreiend, schreiben zu können."
Friederike Mayröcker ist ein Solitär
Zu schreiben beginnt sie am frühen Morgen. Unmittelbar nach dem Aufwachen macht sie erste Notizen, hält sie Träume fest, die mit Erinnerungen oder unmittelbaren Beobachtungen collagiert werden. Für Einfälle, die sie des Nachts hat, steht gleich neben dem Bett ein Körbchen, in dem die mit Notizen beschriebenen Zettel abgelegt werden. Sollte kein Papier zur Hand sein, kann es durchaus vorkommen, dass das Bettzeug beschrieben wird. Die Prosatexte, die sich diesem Schreibfuror verdanken, sind einzigartig – Friederike Mayröcker ist ein Solitär. Erzählt bekommt man von ihr keine Geschichten, die bei A beginnen, sich auf B zubewegen, um dann bei C zu enden. Sie hält in ihren Texten Augenblickskonstellationen fest. In "Pathos und Schwalbe" trifft eine Traumsequenz auf eine Erinnerung, die in Beziehung mit einer Beobachtung tritt, von der aus dann eine Verbindung zu einem Briefzitat hergestellt wird. Friederike Mayröcker ist eine Vagabundierende, die in der Sprache flaniert. Beim Schreiben findet und erfindet sie, wobei ihre Kompositionen dem Dominoprinzip folgen: Es braucht einen Auslöser, einen Anstoß, und eine ganze Kette von Assoziationen setzt sich in Bewegung.
Eine "Blutsverwandte des Todes"
In diesem Jahr wird die in Wien lebende Autorin 94 Jahre alt. Doch obwohl Friederike Mayröcker von sich sagt, sie sei eine "Blutsverwandte des Todes", zeichnet sich ihre Prosa durch eine eher jugendlich anmutende sprachliche Kühnheit aus. Sie umschreibt in ihren Texten das Leben, indem sie Gelebtes in Poesie übersetzt. Bei dieser poetischen Übertragung wird das Dasein gefeiert wie ein einzigartiges Fest. "Ich bekomme nicht genug von diesem Leben", sagt sie, "es ist so schön." Häufig ist die Dichterin gefragt worden, ob sie die Sätze hört, die sie aufschreibt: "Nein", antwortet sie ihren Leserinnen und Lesern nun in "Pathos und Schwalbe", "ich sehe sie vor mir." Was sie sieht, zeichnet sie mit Worten nach. In den Bildern, die so entstehen, ranken sich die Worte wie die Bäume in den surrealen Gemälden von Max Ernst empor. Nicht was in der Sprache mitgeteilt wird, ist in "Pathos und Schwalbe" von zentraler Bedeutung, sondern zu einem außergewöhnlichen Leseereignis wird dieser Text durch die Sprache selbst.