Friedhof für Stillgeborene

Von Daniela Siebert · 12.07.2008
Viele Kinder, die tot zur Welt kommen oder bereits im Mutterleib sterben, werden oft gar nicht oder in anonymen Sammelgräbern beigesetzt. Damit diese Kinder auch eine letzte Ruhestätte finden, wurde in Berlin der Friedhof "Garten der Sternenkinder" gegründet.
Pfarrer: "Gütiger Gott! Wir preisen Dich und sagen Dir Dank! Du hast alles geschaffen, was ist: Himmel und Erde. Du gibst uns das Leben und nimmst es wieder zu Dir. In diesem Garten der Sternenkinder gedenken wir derer, deren Leben nicht zum Zug kommen konnte."

Pfarrer Andreas Fuhr segnet ein ganz besonderes Gräberfeld: den Garten der Sternenkinder auf dem Alten St. Matthäus-Kirchhof in Berlin-Schöneberg. Auf dem künstlerisch liebevoll gestalteten Feld können Menschen beerdigt werden, für die per Gesetz eigentlich keine Bestattungspflicht besteht, weil sie tot zur Welt kamen und unter 1000 Gramm wogen. "Garten der Sternenkinder" heißt dieses Friedhofsareal. Die Idee dazu hatte Gabriele Gérard, deren eigener Sohn ein paar Meter weiter auf demselben Friedhof ruht. Der war 23, als er verstarb. In ihrer Trauer hat seine Mutter viele Eltern von sogenannten Stillgeborenen kennengelernt und findet: sie werden besonders diskriminiert:

Gérard: "Ich glaube, dass gesellschaftlich son Gedanke herrscht: so n Kind hat nicht gelebt, warum soll man da so n Theater drum machen, das hören diese Eltern ganz oft: ihr könnt doch noch Kinder kriegen und das hat doch gar nicht gelebt, was ist das denn schon? Ich denke, die Trauer wird noch weniger ernst genommen als Trauer ohnehin ernst genommen wird ... und ich denke, dass darüber ein Bewusstsein geschürt werden muss. Da ist wirklich noch ganz viel zu tun, dass diese Trauer ne große Trauer ist, dass der Verlust von nem stillgeborenen Kind ein Desaster ist für die Familien, weil Hoffnung, Sehnsüchten, Wünsche, alles wird zerschlagen."

Gedacht ist der Garten der Sternenkinder für Frühgeburten, Totgeburten und Kinder, die maximal ein Jahr alt wurden. Gabriele Gérard unterstützt mit ihrer Idee eine Entwicklung, die noch nicht sehr alt ist. Stillgeborene, also Kinder, die nie außerhalb des Mutterleibes gelebt haben, wurden lange Zeit eher sang- und klanglos beseitigt. So berichtet beispielsweise diese Mutter, die zwei Fehlgeburten im dritten und vierten Schwangerschaftsmonat hinter sich hat:

"Meine erste Fehlgeburt, da mag ich kaum dran denken, weil es sehr unschön abgelaufen ist, weil das zu DDR-Zeiten noch war und das war ein sehr unwürdiger Umgang damit, ich hatte damals schon zwei Kinder, drei und ich wurde im Krankenhaus so nach dem Motto behandelt: seien sie doch froh, dass nicht noch ein Kind gekommen ist und von daher war das ein sehr schmerzhafter Prozess."

Hier wie auch bei der zweiten Fehlgeburt Jahre später in Hamburg wurde sie nicht gefragt, was mit ihren Fehlgeburten passieren soll. Deshalb vermutet sie, dass die "für medizinische Zwecke" verwendet wurden. Sie ist zur Einweihung des Gartens der Sternenkinder gekommen, weil sie sich damals eine solche Bestattungsmöglichkeit gewünscht hätte und auch heute noch dankbar ist für eine solche Gedenkstätte.

Dass es für solche Kindergräber einen Bedarf gibt zeigt auch der Umstand, dass sogar schon zwei Kinder im Garten der Sternenkinder bestattet wurden, noch bevor dieser offiziell eröffnet wurde. Gabriele Gérard:

"Das eine, das türkische Baby ist ein Zwilling, da hat der Zwilling überlebt, das ist ein ausgetragenes Baby, der eine Bruder hat überlebt, der andere ist gestorben bei der Geburt ... und das zweite Baby das war glaub ich 25. oder 26. Woche."

Das türkische Baby konnte hier sogar nach muslimischem Brauch ohne Sarg nur in einem Leinentuch beigesetzt werden. Denn unter 1000 Gramm greifen für die Totgeborenen auch nicht die sonstigen Vorschriften aus dem Berliner Bestattungsgesetz, also zum Beispiel die Sargpflicht. Gabriele Gérard sieht darin eine große Chance und ermuntert die Eltern, die ihre "Sternenkinder" hier künftig bestatten wollen entsprechend kreativ zu sein. Sowohl die Särge als auch Grabbeigaben und die Gräber selbst könnten sehr individuell gestaltet werden sagt sie. Zwar muss man für eine Bestattung im Garten der Sternenkinder keinen Bestatter engagieren, trotzdem entstehen Kosten: Friedhofsverwalter Lutz Mertens:

"Im Durchschnitt sind's 250 bis 300 Euro, das ist die Nutzungsgebühr für die Ruhezeit, das ist der Aushub der Grabstelle und die Abschiednahme am Grab. Und die Pflege ist durch die Friedhofsverwaltung gewährleistet."

Eine normale Bestattung sei nach der Gebührenordnung der evangelischen Kirche ähnlich teuer, räumt der Friedhofsverwalter ein, aber die wäre nicht in solch einer "exklusiven Grabanlage".
Lutz Mertens rechnet damit, dass die 74 Gräber im Garten der Sternenkinder schon in zwei bis drei Jahren belegt sein werden.

Für die Eltern der kleinen Henriette wäre dieses Angebot keine Alternative gewesen. Nachdem ihre Tochter im November 2006 nach nur neun Tagen an Trisomie 13 verstarb, schufen die Eltern ihr ein liebevoll gestaltetes Einzelgrab: Sterne und Fische verzieren den hellen Grabstein und auf dessen Rückseite steht Henriettes Taufspruch.

Vater: "Auf alle Fälle sollte Henriette natürlich einen würdigen Platz finden. Also für uns ist es wichtig, dass sie einen eigenen Ort hat, der für sie da ist und wo wir auch für sie da sein können, insofern hätten wir wahrscheinlich Henriette so bestattet, wie wir es jetzt auch getan haben, nämlich in einem Einzelgrab."

Mutter: "Also für mich vor allem aber, ich glaube auch für meinen Mann Johannes, war es eine wichtige Arbeit in der Trauer, diesen Stein zu gestalten, es hat sehr lange gedauert, wir haben sehr lange überlegt, was wir für einen Stein machen wollen, aber ich wusste immer: sie braucht n Stein der ihr gerecht wird, nicht irgendwas .... Sie hatte ne eigene Aura und wir haben was viel davon in diesem Stein eingefangen."

Für viele Eltern kommt solch ein Einzelgrab aber schon aus Kostengründen nicht in Frage. Deshalb bieten viele Kliniken inzwischen kostenlose Sammelbestattungen von Früh- und Totgeborenen an. Gabriele Weiß, evangelische Seelsorgerin im Berliner Caritas-Klinikum Maria-Heimsuchung führt solche Sammelbestattungen durch und zwar ab der neunten Schwangerschaftswoche.

Weiß: "Bei uns ist es so, dass es eine Vereinbarung gibt, die geht vom Haus aus: ... diese Kinder kommen nicht in den Abfall, sondern diese Kinder werden bestattet. Es wird jetzt nicht freigestellt den Eltern, sondern das hat das Haus aus seinem ethischen Anspruch so beschlossen. Die Eltern werden darüber informiert, dass das die Regelung ist des Hauses. Sie können darauf reagieren und sagen, nein das möchte ich nicht, was sie immer können: sie können immer eine Individualbestattung machen.""

Sammelbestattungen gibt es sowohl in Urnen als auch in Särgen. Egal wie: Sammelbestattung bedeutet auch, dass die toten Kindern in den Kliniken über Wochen und Monate in der Pathologie kühl gelagert werden, bis die nächste Sammelbestattung ansteht. Zur Beisetzung kommen keineswegs alle betroffenen Eltern, erzählt Gabriele Weiß. Trotzdem ist sie sich sicher: Alle Eltern, die ein Kind verlieren, trauern. Egal in welcher Schwangerschaftswoche das passiert. Aber jeder geht mit dieser Trauer anders um.

Viele Eltern fänden auch darin Trost, wenn sie bei der Beerdigung feststellen, dass sie mit ihrem Unglück nicht allein sind, berichtet die Seelsorgerin. Es störe sie nicht mal, dass ihr Kind zusammen mit anderen in einem Sarg liegt:

Weiß: "Da entstehen richtige Freundschaften zum Teil. Wir haben nach jeder Bestattung sofort ein Nachgespräch, wo die Eltern sich kennenlernen, die sich ja vorher nicht kannten und das mündet dann oft darin, dass sie Adressen austauschen. ... und die Eltern sagen immer: Es ist eine gute Vorstellung für mich, zu wissen, das mein Kind mit anderen Kindern zusammen ist und nicht allein."

Das alles ist Lichtjahre von dem entfernt, wie die Juristen mit dem Thema umgehen. Denn im Berliner Bestattungsgesetz heißt es zu dem Thema nur technokratisch, Totgeborene seien "hygienisch einwandfrei und dem sittlichen Empfinden entsprechend zu beseitigen". Auch Gesetzgeber in anderen Bundesländern formulieren da selten feinfühliger. Oft ist auch bloß von Leibesfrucht die Rede. Immerhin empfahl die Deutsche Krankenhausgesellschaft 1999 Föten von Tot- und Fehlgeburten nicht den ethischen Abfällen wie Körperteilen und Organen zuzuführen. Wörtlich: "Sie sollten ein würdiges Begräbnis erhalten, unabhängig davon, ob die Eltern diesen Wunsch ausdrücklich äußern". Wohlgemerkt: das ist nur eine Empfehlung. Damit haben im Prinzip die Pathologen und Klinikmanager das letzte Wort.
Maren Eißmann, Hebamme im Berliner Virchowklinikum, hält jedoch ein Grab für die toten Kinder für unentbehrlich. Gerade auch im Interesse der Eltern:
Eißmann: "Es ist ganz wichtig, dass die Eltern einen Ort haben an den sie gehen können, wo sie trauern können. Ob der Ort für sie immer wichtig sein wird, das weiß man nicht, das ist ne individuelle Sache, aber das man einfach die Möglichkeit hat, dass man weiß wo das Kind geblieben ist, das ist ganz wichtig."