Friedländer: Die Schoah ist mir immer noch ein Rätsel
Der jüdische Historiker Saul Friedländer erhält den renommierten Pulitzer-Preis für sein Sachbuch "Das Dritte Reich und die Juden. Die Jahre der Vernichtung 1939 - 1945". Er könne auch heute nicht durch deutsche Städte gehen, ohne an die damalige Zeit zu denken, sagte der Forscher, der abwechselnd in Los Angeles und Tel Aviv lebt.
Anlässlich der deutschen Veröffentlichung des Buches "Das Dritte Reich und die Juden" hat Dieter Kassel im Radiofeuilleton im Herbst 2006 mit Saul Friedländer gesprochen und zunächst nach seiner Einstellung zur katholischen Kirche gefragt, die im Buch kritisch gesehen und dargestellt wird. Lesen Sie hier einen Auszug aus dem Gespräch:
Saul Friedländer: Wahrscheinlich ist dies das Schwierigste für mich, im Sinne eines historischen Urteils, weil ich war in der Tat gerettet von dieser, weil ich da versteckt war in diesem Internat. Aber ich war getauft, mein Vater musste unterschreiben, dass ich dann als Katholik weiter erzogen würde, was, als er ganz assimiliert war, ich nehme an, dass es für ihn nicht schwierig war. Aber stellen Sie sich vor, er wäre ein orthodoxer Jude gewesen. Jedenfalls, ich habe den Krieg so überlebt. Und als ich dann in den 60er Jahren in Bonn forschte für meine Doktorarbeit, sah ich zufällig ein Dokument über den Vatikan, der falsch, irgendwie in einer falschen Akte war, und ließ mir dann die Akten vom Vatikan, eigentlich die Dokumente über die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl usw. bringen und verstand das vielmehr als vorher, dass die Vatikanische Politik aus meiner Sicht sehr problematisch war. Und als das damalige Buch "Pius XII. und das Dritte Reich" rauskam, hat man mir schon diese Frage, die Sie mir jetzt stellen, also vor 40 Jahren gestellt und gesagt, also wie kann jemand, der von der Kirche eigentlich gerettet war, sich eigentlich so kritisch über den Vatikan äußern. Und es war immer ein Dilemma und ist es auch, war es auch so jetzt in diesem letzten Buch, von welchem wir jetzt sprechen. Aber ich versuche, wie in dieser ganzen Geschichte, und ich glaube nicht, dass Leute diese Geschichte, wer es nur ist, objektiv schreiben können. Es ist eine Zeit, und es ist uns ja noch sehr nah, die so prägnant ist mit moralischen Dilemmas, mit Sachen, wo man ganz aufgeregt liest, die Dokumente liest usw. Es geht nicht nur um die Frage der Kirche, aber selbstverständlich für mich war es besonders schwierig. Und ich versuche dann, damals, also vor 40 Jahren, habe ich das Manuskript einem katholischen Verlag gegeben, "Le Seuil" in Paris, und die haben es wirklich sehr mit mir diskutiert. Und ich hatte mich gegen mich selbst gewehrt. Heute bin ich etwas älter und habe es so gut wie möglich gemacht. Aber das Problem, das Sie da erwähnten, bleibt ein Problem.
Dieter Kassel: Diese beiden Bücher zusammen, über das Dritte Reich und die Juden insgesamt, die Jahre '33 bis '45 zusammen, ohne Anhang und Zusätzliches allein an Text ungefähr 1500 Seiten, das ist sicherlich so etwas wie Ihr Lebenswerk und ist noch mal etwas anderes als die vielen anderen Werke zu diesem Thema. Sie haben, glaube ich, Ihr Leben lang vor allen Dingen eins gewollt, nämlich verstehen. Es ging Ihnen ja gar nicht um Verzeihen, das ist in Ihrem Fall, glaube ich, in vielen Bereichen gar nicht nötig. Nach dieser Arbeit verstehen Sie, was passiert ist von '33 bis '45?
Friedländer: Also ich antworte da mit Schwierigkeiten, weil ich frage mich die ganze Zeit, ob ich es jetzt besser verstehe als früher. Gerade diese Gesamtdarstellung nahm 16 Jahre. Ich habe 1990 angefangen, dies zu schreiben, den ersten Teil selbstverständlich, und jetzt es zu Ende gebracht. Und es gibt viele Teilprobleme, die mir klar sind heute, weil ich einfach mehr gelesen habe und mehr Zeugnisse gelesen habe, mehr Dokumente. Aber das Ganze, also was wir die Schoah nennen, den Holocaust, den Namen habe ich nicht sehr gern, das an sich, das Gesamtphänomen, ist mir immer noch teilweise ein Rätsel.
Kassel: Sie haben sich, Sie haben es am Anfang erklärt, sogar entschieden, nicht in Frankreich leben zu wollen damals und schon gar nicht in Deutschland. Inzwischen hat sich vieles normalisiert, scheinbar zumindest. Deutsche Soldaten sollen den Konflikt schlichten zwischen dem Libanon und Israel. Ich habe einen interessanten Artikel dazu von Moshe Zimmermann, einem Kollegen von Ihnen, jüdischer Historiker in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, der interessant berichtete, wie wenig Schwierigkeiten große Teile der israelischen Gesellschaft damit haben. Es gibt angeblich seit der Fußball-WM einen gesunden, harmlosen Patriotismus in Deutschland, Flaggen hier. Wie geht es denn Ihnen, wenn Sie durch Berlin laufen und sehen eine deutsche Flagge, die aus dem Fenster hängt? Denken Sie an Fußball oder doch noch an ganz andere Dinge?
Friedländer: Ich denke an andere Dinge, aber ich mache den Unterschied. Also wenn ich jetzt in Berlin bin oder in München oder morgen in Hamburg, ist es kein grundsätzliches Problem für mich, überhaupt nicht. Aber ich denke an die anderen Dinge, weil ich die Assoziationen habe, das andere Leute vielleicht nicht haben. Vergessen Sie nicht, es ist meine Generation, die bald nicht mehr da [sein] wird, aber man kann nicht ohne irgendwie diese andere, also diese andere Geschichte irgendwie zu spüren, man kann es einfach nicht. Aber wenn ich diese oder diese Straße plötzlich oder das "Adlon" oder was noch, dann ist es für mich eine ganze, ja, das sind Kapitel, die ich gut kenne. Aber da bin ich schon imstande, ganz zu unterscheiden.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 8.9.08 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.
Saul Friedländer: Wahrscheinlich ist dies das Schwierigste für mich, im Sinne eines historischen Urteils, weil ich war in der Tat gerettet von dieser, weil ich da versteckt war in diesem Internat. Aber ich war getauft, mein Vater musste unterschreiben, dass ich dann als Katholik weiter erzogen würde, was, als er ganz assimiliert war, ich nehme an, dass es für ihn nicht schwierig war. Aber stellen Sie sich vor, er wäre ein orthodoxer Jude gewesen. Jedenfalls, ich habe den Krieg so überlebt. Und als ich dann in den 60er Jahren in Bonn forschte für meine Doktorarbeit, sah ich zufällig ein Dokument über den Vatikan, der falsch, irgendwie in einer falschen Akte war, und ließ mir dann die Akten vom Vatikan, eigentlich die Dokumente über die deutsche Botschaft beim Heiligen Stuhl usw. bringen und verstand das vielmehr als vorher, dass die Vatikanische Politik aus meiner Sicht sehr problematisch war. Und als das damalige Buch "Pius XII. und das Dritte Reich" rauskam, hat man mir schon diese Frage, die Sie mir jetzt stellen, also vor 40 Jahren gestellt und gesagt, also wie kann jemand, der von der Kirche eigentlich gerettet war, sich eigentlich so kritisch über den Vatikan äußern. Und es war immer ein Dilemma und ist es auch, war es auch so jetzt in diesem letzten Buch, von welchem wir jetzt sprechen. Aber ich versuche, wie in dieser ganzen Geschichte, und ich glaube nicht, dass Leute diese Geschichte, wer es nur ist, objektiv schreiben können. Es ist eine Zeit, und es ist uns ja noch sehr nah, die so prägnant ist mit moralischen Dilemmas, mit Sachen, wo man ganz aufgeregt liest, die Dokumente liest usw. Es geht nicht nur um die Frage der Kirche, aber selbstverständlich für mich war es besonders schwierig. Und ich versuche dann, damals, also vor 40 Jahren, habe ich das Manuskript einem katholischen Verlag gegeben, "Le Seuil" in Paris, und die haben es wirklich sehr mit mir diskutiert. Und ich hatte mich gegen mich selbst gewehrt. Heute bin ich etwas älter und habe es so gut wie möglich gemacht. Aber das Problem, das Sie da erwähnten, bleibt ein Problem.
Dieter Kassel: Diese beiden Bücher zusammen, über das Dritte Reich und die Juden insgesamt, die Jahre '33 bis '45 zusammen, ohne Anhang und Zusätzliches allein an Text ungefähr 1500 Seiten, das ist sicherlich so etwas wie Ihr Lebenswerk und ist noch mal etwas anderes als die vielen anderen Werke zu diesem Thema. Sie haben, glaube ich, Ihr Leben lang vor allen Dingen eins gewollt, nämlich verstehen. Es ging Ihnen ja gar nicht um Verzeihen, das ist in Ihrem Fall, glaube ich, in vielen Bereichen gar nicht nötig. Nach dieser Arbeit verstehen Sie, was passiert ist von '33 bis '45?
Friedländer: Also ich antworte da mit Schwierigkeiten, weil ich frage mich die ganze Zeit, ob ich es jetzt besser verstehe als früher. Gerade diese Gesamtdarstellung nahm 16 Jahre. Ich habe 1990 angefangen, dies zu schreiben, den ersten Teil selbstverständlich, und jetzt es zu Ende gebracht. Und es gibt viele Teilprobleme, die mir klar sind heute, weil ich einfach mehr gelesen habe und mehr Zeugnisse gelesen habe, mehr Dokumente. Aber das Ganze, also was wir die Schoah nennen, den Holocaust, den Namen habe ich nicht sehr gern, das an sich, das Gesamtphänomen, ist mir immer noch teilweise ein Rätsel.
Kassel: Sie haben sich, Sie haben es am Anfang erklärt, sogar entschieden, nicht in Frankreich leben zu wollen damals und schon gar nicht in Deutschland. Inzwischen hat sich vieles normalisiert, scheinbar zumindest. Deutsche Soldaten sollen den Konflikt schlichten zwischen dem Libanon und Israel. Ich habe einen interessanten Artikel dazu von Moshe Zimmermann, einem Kollegen von Ihnen, jüdischer Historiker in der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, der interessant berichtete, wie wenig Schwierigkeiten große Teile der israelischen Gesellschaft damit haben. Es gibt angeblich seit der Fußball-WM einen gesunden, harmlosen Patriotismus in Deutschland, Flaggen hier. Wie geht es denn Ihnen, wenn Sie durch Berlin laufen und sehen eine deutsche Flagge, die aus dem Fenster hängt? Denken Sie an Fußball oder doch noch an ganz andere Dinge?
Friedländer: Ich denke an andere Dinge, aber ich mache den Unterschied. Also wenn ich jetzt in Berlin bin oder in München oder morgen in Hamburg, ist es kein grundsätzliches Problem für mich, überhaupt nicht. Aber ich denke an die anderen Dinge, weil ich die Assoziationen habe, das andere Leute vielleicht nicht haben. Vergessen Sie nicht, es ist meine Generation, die bald nicht mehr da [sein] wird, aber man kann nicht ohne irgendwie diese andere, also diese andere Geschichte irgendwie zu spüren, man kann es einfach nicht. Aber wenn ich diese oder diese Straße plötzlich oder das "Adlon" oder was noch, dann ist es für mich eine ganze, ja, das sind Kapitel, die ich gut kenne. Aber da bin ich schon imstande, ganz zu unterscheiden.
Sie können das vollständige Gespräch mindestens bis zum 8.9.08 als MP3-Audio in unserem Audio-on-Demand-Player nachhören.