Friedrich Ani: "Letzte Ehre"

Im Dunkel des Alltags

03:10 Minuten
Friedrich Ani sitzt in brauner Lederjacke mit einem Bein auf einem Geländer und blickt ernst ins Off des Bildes.
Friedrich Ani, einer der größten Kriminalschriftsteller deutscher Sprache. © Imago/Sabine Gudath
Von Tobias Gohlis |
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Kindesmissbrauch, Vergewaltigung, Femizid: In seinem neuen Kriminalroman "Letzte Ehre" gelingt es Friedrich Ani, eine Sprache für das Leiden und das Schweigen der Opfer zu finden. Es ist sein bislang persönlichster Roman.
"Ich verhöre nicht, ich vernehme" – das war die Maxime von Friedrich Anis erstem und bekanntesten Kommissar, Tabor Süden, von den "Vermissungen" in München. Und große Künstler des Zuhörens, Aufnehmende und Analysierende der Stimme sind sie alle, die Ermittler, die Friedrich Ani in den letzten 30 Jahren erfunden hat.
Erfunden hat er sie eigentlich nicht. Seine Ermittlerfiguren, so erklärt Ani, meldeten sich bei ihm von selbst – in der Einsamkeit dunkler Zimmer, dort, wo auch jene Alltagsmenschen mit ihren Dunkelheiten hausten, von deren Leid, Schuld, Verstrickungen er erzählt. Im Grunde erzählen sie ihm. Und Friedrich Ani, einer der größten Kriminalschriftsteller deutscher Sprache, gibt ihren Bekenntnissen, Schwafeleien und Tiraden, in ihrer Sprachlosigkeit unverwechselbar, ergreifend und einzigartig Form.

Details aus der eigenen Biografie

"Letzte Ehre" ist nicht nur Anis jüngster Roman, sondern auch sein persönlichster. Denn der tragischen Heldin, der Kommissarin Fariza Nasri, hat er, der in vielen, vielen Interviews über sich schweigt, ein paar Details seiner Biografie mitgegeben: den aus Syrien stammenden Medizinervater, das Geburtsdatum, das Aufwachsen in einem spießigen Kurort in Oberbayern, die endogene Einsamkeit, die Fähigkeit, Leidende zum Sprechen zu bringen und für ihr Leid Verstehen und Sprache zu finden.
Zu sehen ist das Cover des Buches "Letzte Ehre" von Friedrich Ani.
"Letzte Ehre" ist ein kurzes Buch, das viele Geschichten miteinander verknüpft, eine schwerer auszuhalten als die andere. © Deutschlandradio / Suhrkamp Verlag
Eine dieser Leidenden ist die Kellnerin Ines Kaltwasser in "Letzte Ehre": Die ehemals talentierte Schauspielerin verstummt später buchstäblich, sie erstickt langsam erstickt an ihren Erinnerungen: an den fortwährenden rituellen Missbrauch als Kind durch die mächtigen Männer ihres Dorfes. Nasri versteht es, ihr die Zunge zu lösen – und sie weiß, dass nur eines gegen das Leid hilft: reden.

Wer es vorliest, dem bricht die Stimme

"Letzte Ehre" ist ein kurzes Buch, das viele Geschichten miteinander verknüpft, eine schwerer auszuhalten als die andere. Das Verschwinden eines 17-jährigen Mädchens, serielle Vergewaltigung, fortwährende Kinderschändung, Femizid – beim Lesen tränen einem die Augen. Wer es vorliest, dem bricht die Stimme. So viel Gewalt.
"Toxische Männlichkeit" – dieser Begriff kommt einem nach der Lektüre von "Letzte Ehre" lächerlich und nichtssagend vor. Was das ist, dieses ekelhafte, zerstörerische Virus mit all seinen Auswirkungen, das darf, wer will, in Friedrich Anis jüngstem Buch lesen. Und muss sich seiner Tränen nicht schämen. Zum Trost: "Letzte Ehre" ist ein Gegengift. Ob es hilft? Das hängt vom Leser ab.

Friedrich Ani: "Letzte Ehre"
Suhrkamp, Berlin 2021
270 Seiten, 22 Euro

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