"L'homme qui marche - Verkörperung des Sperrigen"
Kunsthalle Bielefeld, Bielefeld
9. November 2019 - 8. März 2020
"Ich kann nicht populär sein"
08:29 Minuten
Mit seinen Ausstellungen eckte Friedrich Meschede immer wieder an: Sie seien zu intellektuell, zu elitär, zu wenig populär. "Es ist nicht zwingend, dass jeder Kunst versteht", sagt der scheidende Direktor der Kunsthalle Bielefeld.
Mit der Ausstellung "L'homme qui marche – Verkörperung des Sperrigen" verabschiedet sich der 62-jährige Museumsdirektor Friedrich Meschede von der Kunsthalle Bielefeld. Sein Vertrag läuft zum Jahresende aus. Seine Nachfolgerin steht bereits fest: Die Schweizerin Christina Végh soll das Haus neu ausrichten.
Der scheidende Direktor eckte mit seinen Ausstellungen immer wieder an. Es hieß, sie seien zu intellektuell, zu elitär, zu wenig populär. Dazu erklärt Meschede lapidar: "Ich kann nicht populär sein, ich kann keine populären Ausstellungen in diesem Sinne machen. Ich war immer auf der Suche nach Neuem, nach Unbekanntem. Ich möchte nichts Bekanntes bestätigen."
Nun also eine letzte Schau in seiner Verantwortung. Dabei setzt der Kunsthistoriker auf Plastiken und Skulpturen – von Auguste Rodin bis in die unmittelbare Gegenwart hinein. Viele der Objekte stammen aus der Sammlung des Hauses und spiegeln das hohe Niveau der seit Jahren unterfinanzierten Kunsthalle wider.
Das Unvollendete als künstlerische Form
Ausgangspunkt bildet dabei eine Plastik von Auguste Rodin, die der Ausstellung auch den Titel gibt: "L'homme qui marche" ("Der Schreitende") – ein Männertorso in großer Schrittstellung. Diese Skulptur definiere erstmals das Unvollendete als künstlerische Form, erklärt der Museumsdirektor.
"Der Torso ist jetzt nicht mehr Relikt aus einer alten Zeit, also nicht mehr Objekt einer Zerstörung, sondern wird vorsätzlich und sehr bewusst eingesetzt zu einer Neudefinition als autonome Skulptur." Gezeigt werden Versionen eines solchen "L'homme qui marche" von Alberto Giacometti, Germaine Richier oder Fritz Wotruba. Aber das Motiv des Schreitens findet sich auch jenseits figurativer Skulpturen wieder:
"Ich möchte dieses Avantgarde-Motiv dann bis Joseph Beuys weiterführen in den politischen Raum. Wenn Sie bedenken, dass Emmanuel Macron seine politische Bewegung als 'La République en Marche' bezeichnete, dann ist das eine wunderbare Fortsetzung in den gesellschaftspolitischen Raum hinein", sagt Meschede.
Es gehe bei Rodin und den weiteren ausgestellten Werken um ein Spannungsverhältnis zwischen potenzieller Bewegung und doch in sich ruhender Skulptur. Dieses Motiv ziehe sich durch die Ausstellung bis zur jüngsten Produktion der jungen Bildhauerin Lena Henke mit dem Titel "Ayşe Erkmen's Endless Knee".
Ob er die Besucher seines Museums überfordert hat? "Auf jeden Fall. Aber Überforderung gehört ja zu interessanter Kunst, Komplexität." Meschede möchte jedenfalls nicht das Einfache verständlich machen, wie er sagt.
"Es gibt Vieldeutigkeiten, Vielschichtigkeiten, eben Komplexität. Es war mein Anliegen, das auch immer wieder zu vermitteln. Ich habe das einmal so formuliert: Kunst ist für jeden, auf jeden Fall, aber es ist nicht zwingend, dass jeder Kunst versteht, und insofern sind da individuelle Herangehensweisen, Blickwinkel und auch Identifikationen mit Bildern eine Voraussetzung, um Kunst zu verstehen."
Ausstellungen abgestimmt auf die Architektur
In Bielefeld hat die Politik letztlich entschieden, dass Meschede das Haus zum Jahresende verlassen muss. Der Förderkreis und viele Kulturschaffende hatten sich explizit hinter ihn gestellt, doch ohne Erfolg. Meschede ist jedenfalls mit seiner Arbeit zufrieden und sagt: "Die Ausstellung ist wirklich wunderbar geworden."
Dabei habe er die speziellen Blickachsen dieses Hauses – entworfen von Philip Johnson, auf einem fließenden Grundriss nach Mies van der Rohe basierend – immer wieder genutzt.
"Ich habe in all den Jahren jede Ausstellung speziell für dieses Haus gemacht. Das hat sehr viel Spaß gemacht. Das hat, glaube ich, sehr viele Seherlebnisse bei vielen Bürgern ausgelöst."