Friedrichswerdersche Kirche in Berlin

Stadtplanung auf Kosten des Gemeinwohls

Die Friedrichswerdersche Kirche, aufgenommen am 31.10.2012 hinter der Baustelle eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Mitte. Die Friedrichswerdersche Kirche wurde von 1824 bis 1830 nach Plänen Karl Friedrich Schinkels erbaut.
Die Friedrichswerdersche Kirche hinter der Baustelle eines Mehrfamilienhauses in Berlin-Mitte © picture alliance / dpa / Rainer Jensen
Von Annett Gröschner |
In Berlin entsteht die neue Mitte: ein Gemisch aus Schinkel-Bauten, Ministerien – und teuren Wohnungen. Doch letztere bedrohen die Friedrichswerdersche Kirche, einst vom preußischen Architekten Karl Friedrich Schinkel gebaut. Die Autorin Annett Gröschner sieht einen handfesten Skandal.
Verglichen mit anderen deutschen Städten westlich der Elbe ist Berlin blutjung. Als in Köln schon Wasserleitungen verlegt wurden, waren die germanischen Semnonen gerade dabei, das unwirtliche Spree-Havel-Gebiet unter Zurücklassung diverser Scherben zu verlassen.
Die Berliner Architekturgeschichte sähe alt aus, gäbe es nicht Karl Friedrich Schinkel. Der Baumeister, Architekt und Stadtplaner brachte den Klassizismus nach Preußen und verband die Sumpf- und Sandstadt mit älteren Kulturen. Nur wenige seiner Bauwerke überlebten die Zerstörungen des Zweiten Weltkriegs und die Abrisse der unmittelbaren Nachkriegszeit.
Bisher gut durch die Zeit gekommen
Am besten durch die Zeit gekommen war die Friedrichswerdersche Kirche gegenüber dem Auswärtigen Amt und 100 Meter vom neuen Betonschloss entfernt. 1987 war die Ruine wieder aufgebaut und in den 2000er-Jahren noch einmal aufwendig renoviert worden, um die Skulpturensammlung der Staatlichen Museen aufzunehmen, die in jedem Reiseführer zu finden war. Im Schiff der Kirche standen missgünstige Engel in Stein gehauen und preußische Prinzessinnen aus Gips, die mit den Betrachtern flirteten.
Das Schönste aber war das Licht, das an Sommerabenden durch die Bleiglasfenster flutete und das Sakrale des Innenraums um ein Vielfaches verstärkte. Eine lustige Volte der Geschichte, hatten doch die Kommunisten unter Walter Ulbricht dafür gesorgt, dass die Gebäude rundherum abgerissen wurden und so das Licht ungehindert seinen Weg in die Kirche fand.
Die erste neogotische Backsteinkirche Berlins war in der Anfangszeit von Kritikern als "Schinkels gothisches Schmerzenskind" bezeichnet worden. Heute ist sie wieder eines. Die Friedrichswerdersche Kirche ist dabei, als Landmarke aus dem Stadtbild zu verschwinden. Wenn sie nicht sogar zusammenstürzt, wird sie zwischen mehreren Luxuswohnanlagen optisch erdrückt. Die Begründung für die Neubauten, die quasi an der Kirchenwand kleben, ist, dass das früher schließlich auch so war.
Klar benannt: ein handfester Skandal
Aber das ist nur die halbe Wahrheit.
Beim Bau 1824 hatte man die Kirche ein Stück vom Werderschen Markt zurückgesetzt, um die schlechten Gebäude der Falkoniergasse zu verdecken. Jetzt verdecken die Gebäude der Falkoniergasse die Kirche fast vollständig, denn sie sind um vier Etagen höher als die Vorkriegsbebauung.
Von der Westseite sieht man das ganze Ausmaß der Hybris im Premiumsegment. Als vor zwei Jahren die zweistöckige Tiefgarage gebaut wurde, bildeten sich Risse, die Kirche wurde quasi in zwei Hälften zerrissen und muss seitdem mühselig stabilisiert werden. Der Bau ist gesperrt, die Ausstellung geschlossen, und das Kircheninnere mit Hilfe von Gerüsten stabilisiert. Mit dem Bau zweier weiterer Wohnlagen mit Tiefgaragen droht neues Ungemach.
Man muss, was da passiert, als das benennen, was es ist – ein handfester Skandal. Im Namen der Hauptstadt werden die Bedürfnisse einiger weniger auf Kosten des Gemeinwesens und seiner Geschichte befriedigt.
Zu zaghafter Protest
Aber die Proteste der Öffentlichkeit sind viel zu zaghaft. Man hätte ohne Not die Kirche frei stehen lassen können. Aber im Planwerk Innenstadt legte der Berliner Senat 1999 den Stadtumbau als kritische Rekonstruktion der einst dicht bebauten Innenstadt fest. Die Projektentwickler sind nur willige Vollstrecker.
Aus dem Apfelsinenkeller des Friedrichswerder war einst Theodor Fontanes Frau Jenny Treibel mit ihrer "Kleinstelzigkeit" in attraktivere Gegenden aufgebrochen, nun ist sie wieder zurückgekehrt und trägt die Nase hoch. "Ein Logenplatz im Zentrum des Geschehens", heißt das heute im Marketingssprech, für bis zu 17.000 Euro den Quadratmeter, Swimmingpool auf dem Dach inbegriffen.
Die Mücken haben ein besseres Gedächtnis. Sie wissen noch, dass der Friedrichswerder sumpfiges Gelände ist. Im Sommer sitzen sie zu Tausenden an den Außenmauern der neuen Häuser und warten auf ihre Besitzer.
Annett Gröschner lebt als Schriftstellerin, Journalistin und Dozentin in Berlin. Zuletzt erschienen der Roman "Walpurgistag" (2011) und der Reportagenband "Mit der Linie 4 um die Welt" (2012).
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