Frisch auf den Müll

Gäste: Sabine Werth, Vorsitzende der "Berliner Tafel" und Valentin Thurn, Filmemacher |
Weltweit hungern eine Milliarde Menschen - aber allein in Deutschland werden Jahr für Jahr 20 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen. Jeder zweite Kopfsalat, jede zweite Kartoffel, jedes fünfte Brot erreichen gar nicht erst den Esstisch. Allein das Essen, das wir in Europa wegwerfen, würde zweimal reichen, um alle Hungernden auf der Erde zu ernähren.
Wer macht aus Essen Müll?
Welche Folgen hat die globale Nahrungsmittel-Vernichtung für das Klima und für die Ernährung von sieben Milliarden Menschen?

Diesen Fragen widmet sich der Dokumentarfilm "Taste the Waste", der am 8. September in die deutschen Kinos kommt. Regisseur Valentin Thurn hat dafür Informationen aus verschiedenen Kontinenten zusammengetragen:

"Tatsächlich ist es so, dass wir vom Feld bis zum Verbraucher ungefähr die Hälfte der Lebensmittel wegwerfen. Also wir produzieren doppelt so viel wie wir essen. Das hat Folgen, die sind dramatisch fürs Klima, für den Welthunger. Es ist ja nicht so, dass wir unsere restlichen Brötchen nach Afrika schicken könnten. Aber der Weizen, den wir dafür verbrauchen, der wird dem Weltmarkt entzogen, wo ohnehin die Preise schon sehr hoch sind und dadurch noch höher werden. Das ist das eigentliche Drama, was sich da abspielt."

Gemeinsam mit dem Journalisten Stefan Kreutzberger hat Thurn zudem das Buch "Die Essensvernichter" geschrieben, um den alltäglichen Irrwitz der Lebensmittelverschwendung aufzuzeigen:

"Früher hat man deshalb immer die böse EU bezichtigt. Die ist schon auch verantwortlich, hat aber auch ganz viele Normen abgeschafft wie die für gerade Gurken. Der Handel behält die Richtlinien einfach weiter bei und hat sie zum Teil sogar verschärft. Für die landwirtschaftlichen Zulieferer bedeutet das, dass zum Beispiel Kartoffeln, die zu klein, zu groß oder herzförmig sind, gar nicht erst in den Handel kommen. So bleiben von vorneherein 40 bis 50 Prozent auf dem Acker liegen. Der Handel argumentiert, dass der Kunde diese Kartoffeln nicht will."

Sabine Werth erlebt die Folgen dieser gigantischen Lebensmittelvernichtung jeden Tag: Die Sozialpädagogin hat 1993 die "Berliner Tafel" gegründet, die erste karitative Organisation ihrer Art in Deutschland, die Lebensmittelspenden an Bedürftige verteilt – Essen, das sonst vom Handel in den Müll geworfen würde.

"Wir versorgen in Berlin 125 000 Menschen im Monat mit insgesamt 660 Tonnen Lebensmitteln, also 660.000 Kilo. Sammeln tun wir weit mehr – rund eine Million Kilo an Lebensmitteln, das ist der Hammer!"

Die Gründe für die Verschwendung seien vielfältig:

"Das hängt damit zusammen, dass die meisten keinen Bezug mehr zum Anbau, zur Pflege, Hege und Ernte haben, dieses Gefühl ist verloren gegangen. Wenn sie einfach in den Edeka gehen und sich die schönsten Äpfel aussuchen können, dann tun sie das eben."

Die meisten Produkte, die im Müll landen oder bei den Tafeln, seien nicht schlecht, sie seien nur nicht mehr verkaufbar, zum Beispiel, weil sie kurz vor dem Mindesthaltbarkeitsdatum liegen. Sabine Werth wird nicht müde, diesen Mythos aufzuklären:

"Das Mindesthaltbarkeitsdatum ist kein Verfallsdatum! Es ist eine Herstellergarantie, dass der Hersteller so lange garantiert, dass das Produkt einwandfrei ist, danach haftet der Verkäufer."

Ihr Appell:

"Die Eigenverantwortung! Wenn sie in alle Köpfe reingeht, in die der Produzenten, der Firmen, der Politiker und der Verbraucher, dann könnte dies auf den richtigen Weg führen."

"Frisch auf den Müll – Der Wahnwitz der Essensvernichtung"
Darüber diskutiert Gisela Steinhauer heute von 9 Uhr 05 bis 11 Uhr gemeinsam mit Sabine Werth und Valentin Thurn. Hörerinnen und Hörer können sich beteiligen unter der Telefonnummer 00800 / 2254 2254 oder per E-Mail unter gespraech@dradio.de.

Links:
Berliner Tafel
Filmhomepage "Taste the Waste"

Literaturhinweis:
Stefan Kreutzberger, Valentin Thurn: "Die Essensvernichter. Warum die Hälfte aller Lebensmittel auf dem Müll landet und wer dafür verantwortlich ist". Kiepenheuer und Witsch 2011