Frommer Reimeschmied, moderner Satiriker
"Der Mond ist aufgegangen": Das romantische Einschlaflied für Kinder kennt fast jeder. Sein Autor ist der im Jahr 1740 geborene Dichter Matthias Claudius. Die einstige WDR-Redakteurin Annelen Kranefuss hat ihm nun eine Biografie gewidmet.
"Der Mond ist aufgegangen": Das romantische Einschlaflied für Kinder kennt fast jeder. Den Dichter des Liedes aber umgibt jener "weiße Nebel wunderbar", den er durch die Vernichtung vieler seiner Manuskripte und Tagebücher während der napoleonischen Kriege selbst um sich gelegt hat: Matthias Claudius ( 1740–1815). Für Wilhelm von Humboldt "eine völlige Null", für Karl Kraus "einer der allergrößten deutschen Dichter".
Der Pfarrersohn und studierte Jurist war Sekretär in Kopenhagen, dann Redakteur einer nur vier Jahre existierenden Dorf-Zeitung namens "Wandsbecker Bote", kurzzeitig Verwaltungsbeamter in Darmstadt, dann Übersetzer und Bank-Revisor in Hamburg. Oft finanziell klamm, meistens heiter, immer aber ein gefürchteter Rezensent und witziger Parodist der Werke seiner Zeitgenossen. Was ihm Goethe, Schiller, Lessing & Co. auch nie verziehen haben.
Von zwölf Kindern starben drei ("Der Tod und das Mädchen"). Sein Gedicht "Frau Rebecca zur silbernen Hochzeit" rührt bis heute Ehepaare zu Tränen. Ebenfalls bis heute aber wird Claudius entweder als frommer Reimeschmied belächelt oder als erster moderner Satiriker der Mediengeschichte gefeiert. Fast 100 Jahre nach der letzten wissenschaftlichen Biografie über ihn und 30 Jahre nach Hans-Jürgen Schultz' großem "Matthias Claudius-Buch" hat die einstige WDR-Literaturredakteurin Annelen Kranefuss nun eine Biografie verfasst, die "das Geheimnis dieses Menschen nicht im ungesagten Rest sucht, sondern bereits in dem entdeckt, was er der Welt zeigt". Kurz: Sie hält sich streng an die vorhandenen Quellen und Belege, zitiert massenhaft zeitgenössische Kommentare, verfolgt akribisch die Stilentwicklung und literarischen Einflüsse dieses aufgeklärten Kritikers der Aufklärung. ("So gibt es viele Sachen,/ die wir getrost belachen, / weil unsre Augen sie nicht seh`n" ).
Annelen Kranefuss beschreibt das verblüffende Nebeneinander von bissigem Sarkasmus und stiller Gottergebenheit von Claudius' Werk her. Das ist wissenschaftlich ehrenhaft, aber für Laienleser streckenweise etwas arm an Anekdoten. Zumal viele "berühmte" Texte offenbar als bekannt vorausgesetzt werden. Die Autorin hat 1973 über Claudius' Lyrik eine Dissertation verfasst und nicht über Sozial- und Kulturgeschichte seiner Zeit. Spannend dagegen schildert sie Claudius' spirituellen Ausflug zu den Freimaurern und schlesischen religiösen Schwärmern; seinen Wandel vom jungen Nonkonformisten zum alternden Gegner der französischen Revolution; seine teils innigen, teils komplizierten Freundschaften zu Herder und Klopstock. Zusammen mit 19 Abbildungen, gründlicher Zeittafel und ausführlichem wissenschaftlichen Apparat ergibt das ein lesenswertes Buch für alle, die gern wären, was Matthias Claudius war: kritischer Kopf und frommes Herz, nüchterner Realist und kreativer Träumer.
Besprochen von Andreas Malessa
Annelen Kranefuss: Matthias Claudius. Eine Biografie
Verlag Hoffmann & Campe 2011
319 Seiten, 23 Euro
Der Pfarrersohn und studierte Jurist war Sekretär in Kopenhagen, dann Redakteur einer nur vier Jahre existierenden Dorf-Zeitung namens "Wandsbecker Bote", kurzzeitig Verwaltungsbeamter in Darmstadt, dann Übersetzer und Bank-Revisor in Hamburg. Oft finanziell klamm, meistens heiter, immer aber ein gefürchteter Rezensent und witziger Parodist der Werke seiner Zeitgenossen. Was ihm Goethe, Schiller, Lessing & Co. auch nie verziehen haben.
Von zwölf Kindern starben drei ("Der Tod und das Mädchen"). Sein Gedicht "Frau Rebecca zur silbernen Hochzeit" rührt bis heute Ehepaare zu Tränen. Ebenfalls bis heute aber wird Claudius entweder als frommer Reimeschmied belächelt oder als erster moderner Satiriker der Mediengeschichte gefeiert. Fast 100 Jahre nach der letzten wissenschaftlichen Biografie über ihn und 30 Jahre nach Hans-Jürgen Schultz' großem "Matthias Claudius-Buch" hat die einstige WDR-Literaturredakteurin Annelen Kranefuss nun eine Biografie verfasst, die "das Geheimnis dieses Menschen nicht im ungesagten Rest sucht, sondern bereits in dem entdeckt, was er der Welt zeigt". Kurz: Sie hält sich streng an die vorhandenen Quellen und Belege, zitiert massenhaft zeitgenössische Kommentare, verfolgt akribisch die Stilentwicklung und literarischen Einflüsse dieses aufgeklärten Kritikers der Aufklärung. ("So gibt es viele Sachen,/ die wir getrost belachen, / weil unsre Augen sie nicht seh`n" ).
Annelen Kranefuss beschreibt das verblüffende Nebeneinander von bissigem Sarkasmus und stiller Gottergebenheit von Claudius' Werk her. Das ist wissenschaftlich ehrenhaft, aber für Laienleser streckenweise etwas arm an Anekdoten. Zumal viele "berühmte" Texte offenbar als bekannt vorausgesetzt werden. Die Autorin hat 1973 über Claudius' Lyrik eine Dissertation verfasst und nicht über Sozial- und Kulturgeschichte seiner Zeit. Spannend dagegen schildert sie Claudius' spirituellen Ausflug zu den Freimaurern und schlesischen religiösen Schwärmern; seinen Wandel vom jungen Nonkonformisten zum alternden Gegner der französischen Revolution; seine teils innigen, teils komplizierten Freundschaften zu Herder und Klopstock. Zusammen mit 19 Abbildungen, gründlicher Zeittafel und ausführlichem wissenschaftlichen Apparat ergibt das ein lesenswertes Buch für alle, die gern wären, was Matthias Claudius war: kritischer Kopf und frommes Herz, nüchterner Realist und kreativer Träumer.
Besprochen von Andreas Malessa
Annelen Kranefuss: Matthias Claudius. Eine Biografie
Verlag Hoffmann & Campe 2011
319 Seiten, 23 Euro