Luk Perceval eröffnet Hamburger Lessing-Tage
In Luk Percevals Inszenierung von John Steinbecks "Früchte des Zorns" im Hamburger Thalia-Theater spielt ein internationales Ensemble eine Familie auf der Flucht. Das Stück thematisiert die Folgen des Raubtierkapitalismus, so richtig erschließen sich die Parallelen zur aktuellen Flüchtlingskrise aber nicht.
Es sind große apokalyptische Bilder, mit denen John Steinbeck die Dürrekatastrophe in Oklahoma beschreibt. Menschgemacht ist die, Folge eines Raubtierkapitalismus, der sich selbst die eigene Lebensgrundlage raubt - und die fruchtbaren Böden nach Jahren der Monokultur in gigantische Staublandschaften verwandelt hat, über die die Sonne unerbittlich ihr orangenes Licht wirft.
Ein finsteres orangenes Licht erhellt auch die Bühne in Luk Percevals Theaterfassung von "Früchte des Zorns". Welkes Laub bedeckt die ansonsten bis zu den Brandmauern leere Bühne. In dem Meer toter Blätter stehen Menschen, die ihre Kleidung in Fetzen am Leib tragen. Mit einfachen Mitteln gelingt es so, die wortgewaltige Prosa in ein Bühnen-Setting zu verwandeln.
Ein Wanderprediger mit Megaphon
Der Wanderprediger Jim Casy sieht mit seinem zerfetzten Hut aus wie eine Vogelscheuche und spricht durch ein altmodisches Megaphon in einem verzerrten Flüstern Steinbecks Text:
"Nach und nach verdunkelte sich der Himmel vom Staub, und der Wind strich über die Erde, lockerte den Staub und trug ihn davon. Den ganzen Tag lang rieselte der Staub vom Himmel, und auch am nächsten Tag rieselte er herab".
Als sich die Familie aufmacht Richtung Kalifornien, wo blühende Orangen locken, braucht es dazu nur ein riesiges schmutziges Laken, das letzte Hemd, an dem sich alles festhalten können, im Kreis drehen, auf dem Boden stapfen, während sich der Treck in Bewegung setzt. Später werden die Großeltern in das Stück Stoff eingerollt, sie haben den Verlust der Heimat nicht verwunden.
Die Geschichte der Menschheit will Steinbeck in seiner großen Erzählung zeigen, Perceval reduziert dieses Epos auf sechs Personen und besetzt die Familie auf der Flucht mit einem internationalen Ensemble. Wer im Programmheft liest, erfährt zum Beispiel, dass der hühnenhafte, dunkelhäutige Schauspieler Nick Monu aus Nigeria kommt - und es ihm nach Stationen in Deutschland und England schwer fällt, zu sagen, wo seine Heimat ist. Oder dass der in Polen geborene Rafael Stachowiak Heimat inzwischen als eine Sehnsucht, "eine Art Phantomschmerz" begreift.
Das letzte bisschen Hoffnung wird weggespült
Alleine, auf der Bühne erfahren wir von diesem Hintergrund nichts. Von der ambitionierten Dramaturgie bleiben nur verschiedenfarbige Akzente übrig, wenn sich das Ensemble teilweise an der Grenze der Text-Verständlichkeit bemüht, Steinbecks Text auf deutsch zu sprechen. Von dem Perceval vor allem der erste Teil, die Nach-Inszenierung des langen Wegs aus Oklahoma nach Westen interessiert. Wo die Familie auch nur Entbehrung und Unterbezahlung erwartet, bis ein wunderbar auf die Staubblätter projizierter Regen das letzte bisschen Hoffnung hinwegspült.
So bleibt der Abend jenseits aller dramaturgischen Ambitionen seltsam schön-illustrativ. Die internationalen Schauspieler stehen in den Hosenträger-Kostümen der Großen-Depression des letzten Jahrhunderts auf der Bühne - und dürfen ihre Geschichten nicht erzählen. Der Steinbeck-Text wird in sinnfällige Bilder verwandelt, aber weder durch Fremdtexte, Projektionen, Kostüme oder andere theatrale Mittel an unsere Gegenwart angedockt. Es bleibt die Behauptung, dass das alles irgendetwas mit der Problematik der nach Europa flüchtenden Menschen zu tun hat - und die Hoffnung, dass die Lessing-Tage, deren Auftakt dieser Abend ist, in den kommenden Tagen noch deutlich konkreter werden.