Frühe Schrift in neuem Medium

Von Konrad Lindner |
Die Bibel ist das Buch der Bücher. Seit Jahrhunderten ist kein anderer Text rund um den Globus derart verbreitet wie das Alte und Neue Testament. Es war daher ein Weltereignis, als von der Universitätsbibliothek Leipzig aus der Blick in eine Bibel aus dem vierten Jahrhundert nach Christus freigegeben wurde.
Der Codex Sinaiticus entstand in der Mitte des vierten Jahrhunderts nach Christus. Die Bibelabschrift in altgriechischer Sprache gilt als eines der größten Pergamentbücher der Antike. Die Bibel ist vermutlich eines der Prachtexemplare, die Konstantin der Große in Auftrag gab. Der Leipziger Theologe Konstantin von Tischendorf soll die Handschrift 1844 im Katharinenkloster auf dem Sinai in einem Papierkorb gefunden haben. Vom Manuskript sind 407 Blätter überliefert. Davon befinden sich 43 Blätter in der Universitätsbibliothek Leipzig und 347 in der British Library. Weitere Blätter lagern in St. Petersburg und im Katharinenkloster. Ulrich Johannes Schneider – Direktor der Universitätsbibliothek Leipzig – über die Präsentation der frühen Bibel im Internet.

"Wir machen etwas gut, was im 19. Jahrhundert einerseits entdeckt wurde und andererseits eben auch auseinander gerissen worden ist. Das ist für Bibliotheken ein ganz wichtiger Schritt. Wir können das Internet benutzen, um jetzt mit unseren Kulturschätzen weltweit zu kommunizieren. Davon hatte man früher nur träumen können. Dass jetzt nun gerade die ältesten Kulturgüter mit der modernsten Technik öffentlich gemacht werden, das ist irgendwie ein sehr bewegendes Erlebnis."

Mit Konstantin begann der Siegeszug des Christentums. Der Althistoriker und Papyrusforscher Reinhold Scholl aus Leipzig erblickt in dieser Handschrift den symbolischen Ausdruck der Wende hin zum Christentum.

"Am Beginn des vierten Jahrhunderts war das Christentum noch eine verfolgte Religion durch den Kaiser Diokletian und ist am Ende des Jahrhunderts – sozusagen gerade in dieser Zeit, wo der Codex Sinaiticus dann wirken konnte und die Bibel wirken konnte - am Ende dieses Jahrhunderts dann die alleinige erlaubte Religion. So dass in gewisser Weise das Heidentum verfolgt und verboten wird."

Die prächtige Bibel war kein Heiliges Buch zum Weglegen, sondern sie war zum alltäglichen Gebrauch bestimmt. Nach zweijähriger Arbeit machte Mustafa Dogan – der Koordinator des Projektes – am 24. Juli den entscheidenden Tastendruck.

"Also. Es wird jetzt zehn nach zwölf die Webseite freigeschaltet. Jetzt werde ich einfach eine Datei umbenennen und dann müsste eigentlich die Webseite freigeschaltet sein. So. Kurz ausprobieren. Ja. Das ist jetzt online. Jeder kann jetzt die älteste Bibel der Welt online bewundern und sehr viele Informationen auch drumherum findet man auch."

Der Engländer John Tuck ist der Vorsitzende der Projektarbeitsgruppe Codex Sinaiticus. Der Fachmann von der British Library empfindet es als ein geistiges Abenteuer, wenn der Zugriff auf Bibeltexte möglich wird, die wegen ihres Alters und ihrer Bedeutung in Tresorräumen lagern müssen.

"Erstens müssen wir auch daran denken, dass damit diese einzigartige Bibel allen Menschen in der Welt zugänglich gemacht wird. Jeder, der ein Interesse an der Bibel hat, ob er nun Wissenschaftler ist oder nicht, kann nun viel mehr über die Geschichte der Bibel lernen. Aber was die Wissenschaft betrifft, glaube ich, dass die Werkzeuge, die in der digitalen Welt entwickelt wurden und zur Verfügung stehen, es den Wissenschaftlern möglich machen werden, zusammen zu arbeiten und wirklich neue Wege der Forschung und neue Wege des Verstehens zu entwickeln. Die daraus resultierenden Erkenntnisse werden das Gelehrtenwissen und die Bibelforschung revolutionieren."

Zurück zu den Quellen. Das ist die Revolution. Denn der Codex Sinaiticus gilt als eine der Abschriften, die dem Bibelursprung am nächsten kommt. - Mustafa Dogan geht schnell noch einmal ins Internet und holt ein Blatt der Handschrift auf seinen Lap-Top-Schirm. Der vierspaltige Text ist auf gelblichem Pergament und mit gestochener Handschrift zu sehen. Unterschiedliche Sichten auf die historischen Blätter sind möglich. Auch mit Seitenlicht, um die Struktur des Pergaments zu erkennen. Die Originalseite befindet sich links auf dem Bildschirm. Rechts die Transkription und die Übersetzung in Deutsch und Englisch. Geplant sind auch eine griechische und eine russische Übersetzung. Aber das ist nicht alles.

"Zum Beispiel rechts oben sehen wir einen schwarzen Fleck. Und in der physischen Beschreibung ist beschrieben, wie dieser Fleck zu Stande gekommen ist. Was sich dahinter verbirgt. Ob das irgendwie Tintenfass ist. Oder ob das irgendwie ein Fehler in der Tierhaut gewesen ist in dem Pergament. Diese Informationen sind alle in der physischen Beschreibung versteckt. Es kann auch für ganz normale Benutzer interessant sein. Aber sicherlich ist es auch interessant für viele Wissenschaftler, die auch Pergamentenforschung betreiben."

Die Webseitenentwickler leisteten Qualitätsarbeit. Die Internet-Präsentation ist eine visuelle Freude. Der römische Kaiser Konstantin wäre begeistert, käme er in die Gegenwart und würde beim Surfen im Internet den Codex Sinaiticus entdecken, den er in Auftrag gab.

Der Codex Sinaiticus ist im Netz unter www.codex-sinaiticus.net zu finden.