Guido Fuchs: Ma(h)l anders – Essen und Trinken in Gottesdienst und Kirchenraum
Verlag F. Pustet, Regensburg 2014
256 Seiten, 24,95 Euro
Gottes Segen mit Marmeladenbrot
Nicht nur rituell und symbolisch wie beim Abendmahl - in einigen Kirchen kann man sich richtig satt essen. Brötchen, Wurst und Müsli erobern den Kirchenraum. In der Lutherkirche ein Berlin-Spandau gehört das gemeinsame Frühstück zum Gottesdienst dazu.
Karsten Dierks: "Es ist kein Champagnerfrühstück mit noch verschiedenen warmen Speisen dazu, sondern es ist ein einfaches, schmackhaftes Frühstück mit frischem Gemüse, aber ohne Köstlichkeiten..."
Karsten Dierks ist Pfarrer der Lutherkirche in Berlin-Spandau. Für die 4800-Seelen-Gemeinde ist dieser Sonntag ein Ereignis – Es wird nicht nur Taufe gefeiert. Es wird auch gemeinsam in der Kirche gefrühstückt.
Tom: "... das sieht mir sehr stark nach Pflaumenkuchen aus, dann gibt es hier Brötchen mit Käse, Paprika, Gurken, Karotten, Weintrauben und dahinten ist noch ein bisschen Wurst, Marmelade, Butter, Tee und Kaffee."
Der zwölfjährige Tom hat sich seinen Frühstückshunger für den Brunch in der Kirche aufgehoben:
Pfarrer Dierks: "Herzlich willkommen zum Frühstücksgottesdienst in der Lutherkirche..."
Tom: "Ich war noch nie in einem solchen Gottesdienst und finds auch schön, dass man sich unterhalten kann, während man frühstückt und nicht einfach nur zuhört und dann wartet man bis es zu Ende ist und dann gehen alle..."
Pfarrer Dierks: "Es ist mehr ein Gemeinschaftsmahl, als ein wirkliches Abendmahl..."
Knüpft an die Tradition der Armenspeisung an
Und das erfordert neue liturgische Schwerpunkte:
Pfarrer Dierks: "Wir feiern unseren Frühstücksgottesdienst so, dass wir beginnen, die Taufen feiern und dann das Gespräch an den Tischen und das Frühstück eröffnen..."
Das Gespräch an den Tischen – heute zum Pauluswort: Ertraget einer den anderen in Liebe – ist so eine Art Predigtersatz.
Pfarrer Dierks: "Was sonst Predigtteil ist, ist durch dieses gemeinsame Essen und Trinken kommunikativer und mehr innerhalb der Gemeinde selbst und nicht durch den Pfarrer von außen zugetragen..."
Dass solche Abweichungen vom üblichen liturgischen Ablauf mehr und mehr die Kirchenräume erobern, hat der katholische Liturgiewissenschaftler der Universität Würzburg, Guido Fuchs, in seinem jüngsten Buch "Mahl anders – Essen und Trinken im Gottesdienst" beschrieben:
"Es geht um gottesdienstliche Formen, die mit einem Essen und Trinken verbunden sind, die gibt es immer häufiger – ob das jetzt ein Frühstücksgottesdienst ist, oder ein Erntedankgottesdienst mit anschließendem Essen in der Kirche oder eine Agapefeier..."
... die an frühchristliche Traditionen der Armenspeisung anknüpft oder Gottesdienste, die an ungewöhnlichen Orten stattfinden, etwa in Wirthäusern – oder:
Fuchs: "Zum Beispiel in einer Bäckerei, um das Element Brot und die Entstehung des Brotes einmal ganz sinnlich zu erfahre und dann die Verkündigung auch ganz anders aufnehmen zu können."
Pfarrer Dierks: "Und so bitte ich an jedem Tisch einen von Ihnen, ein Brötchen zu nehmen und es hoch zu halten – in Erinnerung an das Brot Jesu Christi."
In der über hundert Jahre alten neugotischen Lutherkirche verschiebt sich in unregelmäßigen Abständen der Ort des Abendmahles vom Altar zu den Tischen im Kirchenraum. Dort wird nun das Brot mit einem Segensspruch weitergereicht. Am Seniorentisch sorgt die veränderte Liturgie erst einmal für Verwirrung.
Zwei Damen: "Das eigentliche Abendmahl - für mich kommt hier nicht so raus... das war ja noch nicht, das kommt ja erst..."
"Nee, wir ham ja det Brot doch schon jebrochen..."
Abendmahl ist kein Sättigungsessen
Die Seniorin hat recht. Das Abendmahl ist schon vollzogen, aber eben am Frühstückstisch. Für manche ältere Gemeindemitglieder, wie Winfried Spatzher, gewöhnungsbedürftig, aber trotzdem akzeptabel:
"Ich find das prima, großartig, persönlich kann ich drauf verzichten, ich weiß aber dass es viele unserer Gemeindemitglieder anspricht und auch des Frühstücks wegen."
Normalerweise kommen 30 bis 60 Gläubige sonntags in die Lutherkirche, heute sind es 80 Menschen.
Pfarrer Dierks: "Es erfordert eine stärkere Beteiligung. In der normalen Liturgie haben wir mindestens eine richtige Lesung. Wir haben eine richtige Predigt und nicht nur drei Gedanken zum Predigttext und das eigentliche Abendmahl ist am Altar, um den wir dann stehen. Es ist kein Sättigungsmahl wie heute, sondern nur symbolisch mit einem Stück Brot und einem Schluck Saft."
Fuchs: "Dieser direkte Zugang zu Gott, man verleibt sich Gott ja gewissermaßen ein. Das gibt es auch in anderen Religionen, aber im Christentum ist es ja ganz stark ausgeprägt."
Meint der Liturgiewissenschaftler Fuchs. Im Gegensatz zur evangelischen Kirche gebe es aber bei den katholischen Christen kaum Veränderungen der Liturgie. Zwar habe das Zweite Vatikanische Konzil ab 1962 eine Öffnung zur Ökumene bewirkt, den Ritus aber weitgehend unangetastet gelassen. Auch die Jazzmessen in den 70er-Jahren hätten lediglich eine musikalische Neuorientierung im Gottesdienst bewirkt:
"Das hängt zusammen mit der Einschätzung des liturgischen Raumes in der Katholischen Kirche, der wird sehr stark von der Gegenwart Christi im Tabernakel geprägt. Das setzt ein entsprechendes Verhalten der Ehrfurcht, der Anbetung, des Gebets voraus."
Horst Henning, Gemeindemitglied: "Ich denke, dass wir als evangelische Christen eher denken, was Jesus gesagt hat – angefangen von 'Lasset die Kindlein zu mir kommen' – oder die Armen, alle sind eingeladen, von daher werden wir hier keinen ausgrenzen, ist auch im Abendmahl so, dass wir nicht fragen: Wo kommt jemand her, bist du überhaupt eingesegnet, bist du vielleicht sogar Moslem – da kann sich jeder an Tisch setzen bei uns."
Glaubt Gemeindekirchenratsmitglied Horst Henning. Für Pfarrer Dierks stärkt diese Art des Gottesdienstes das Miteinander:
"Es ist eine Spiritualität, die von unten aus der Gemeinde selbst heraus erwächst und nicht vom Altar und der Kanzel allein geprägt ist."
Mit einer Einschränkung...
"Wenn sich der geistliche Gehalt auf ein: Dankt Gott fürs Essen und haut rein! beschränken würde. Dann kann man sagen: Man trifft sich zum Sonntagsbrunch, dann muss man aber nicht in den Gottesdienst gehen."