Frust inklusive

Flirten in der Onlinewelt

Illustration: Ein Frau gibt Luftküsse. Pixelherzen steigen in die Luft.
Digital Flirten ist gar nicht so einfach, wie es erscheint, meint die Journalistin Anne Backhaus. Aus Lust wird schnell Frust. © imago / fStop Images / Malte Müller
Gedanken von Anne Backhaus · 11.02.2022
Beim Online-Dating geht es derzeit rau zu: Mangel an Manieren, unerwünschte Penisfotos und plötzlicher Kontaktabbruch sind leider Alltag. Das erhöht den Frust bei der Partnersuche, stellt die Journalistin Anne Backhaus fest.
Mehrere Wochen schickt ein Freund mit einer Frau jeden Tag Nachrichten hin und her. Manchmal chatten sie über Stunden. „Wir haben uns so gut verstanden, uns alles Mögliche geschrieben“, sagt er. Mitte 30, interessiert an einer festen Beziehung, sportlich – so steht es in seinem Profil bei der Dating-App, über die er sie kennenlernt.
Doch als er schließlich ein Treffen vorschlägt, hat sie eine Bedingung: Zuerst soll er ihr ein Foto von sich mit der aktuellen Tageszeitung schicken. Der Freund ist perplex. Ist das ein Witz? Nein. Die Frau erklärt, sie will wirklich den Beweis, dass er so aussieht wie auf seinem Profilbild. Sie schickt dazu einen Zwinker-Smiley.
Er antwortet: „Das bin ich auf dem Bild. Ich möchte keins machen, als wäre ich eine Geisel.“ Dreimal schreibt er ihr noch, erklärt sich. Von ihr kommt keine Antwort mehr.

Beim Online-Flirten gehört ghosten oft dazu

Das Erlebnis des Freundes, der übrigens wirklich so gut aussieht wie auf seinem Profilfoto, steht für vieles, das beim Flirten im Netz schiefläuft und dem Finden der Liebe im Weg steht. Die Frau ist nicht verrückt, sie gehört zum Durchschnitt.
Sie hat vermutlich einige Date-Enttäuschungen erlebt, will ihre Zeit nicht verschwenden und sich selbst nicht mehr veräppeln lassen.
Sie tut außerdem das, was so viele im Netz tun, dass es nahezu normal geworden ist: Sie ghosted den Freund, ist ohne Abschied aus seinem Leben verschwunden, wie ein Geist. Alltag der digitalen Kommunikation. Beim Dating tut der dann weh.

Pandemie hat Online-Dating befeuert

Derzeit boomt das Flirten im Netz und das, obwohl 68 Prozent der Singles datingmüde sind. Das hat die Partnerbörse Parship herausgefunden. Weitere Erkenntnisse der Marktforschung: 25 Prozent aller Singles wurden schon geghostet.
Gleichzeitig hat das sogenannte "Benching" deutlich zugenommen. Das heißt, jeder fünfte Single saß mal auf einer Art digitalen Wartebank, wurde mit vereinzelten Nachrichten hingehalten. Die Manieren beim Online-Dating werden außerdem schlechter, die Aggressionen größer.
Die Pandemie habe das Online-Dating laut Parship erst befeuert und dann zu dieser negativen Entwicklung beigetragen. Und so ruft der Konzern in einer großen Werbekampagne auf: „Lasst uns Dating einen Neustart verpassen.“ Wertschätzender und angenehmer soll es künftig bei der Partnersuche im Netz werden. Ein schöner Gedanke.
Wirklich überzeugende Ideen, wie das gehen soll, hat das Unternehmen allerdings nicht. „Lasst uns“, diese sprachliche Vereinigung mit Millionen von Suchenden ist nicht viel mehr als die Abgabe der eigenen Firmen-Verantwortung.

Flirtet doch mal im echten Leben 

„Es wurde Zeit, dass wir den Mist beenden“, kündigt nun ausgerechnet eine neue Dating-App an. Sie heißt „Thursday“, wird gerade getestet und soll ab Frühling in einigen Ländern an nur einem Tag in der Woche nutzbar sein. Jeden Donnerstag können Singles sich finden und Nachrichten schreiben, nach 24 Stunden wird die App gesperrt und alle Verbindungen, alle Chats werden gelöscht.
Von dem Prinzip der künstlichen Verknappung verspricht sich das britische Unternehmen, dass Menschen sich schnell im echten Leben treffen.  
Das passt gut zum Vorsatz vieler Menschen, in diesem Jahr weniger Zeit mit ihrem Handy zu verbringen – und der Hoffnung, wieder mehr persönliche Kontakte zu haben. Ein technologischer Schubs könnte helfen, diese Vorhaben nach einer gefühlten Ewigkeit der Isolation auch umzusetzen und sich beim Flirten nur einer Person auf einmal zuzuwenden.
Dabei nichts anderes zu tun und niemand anderem zu schreiben, das kann ja durchaus aufregender sein als die digitale Jagd nach vielen Optionen. Es lohnt sich also sicher schon jetzt, öfter mal das Telefon in der Tasche zu lassen und dafür an der Bushaltestelle jemanden anzulächeln.

Anne Backhaus, Jahrgang 1982, hat Französische Literaturwissenschaft, Gender Studies und Psychologie studiert. Seit 2013 reist sie als freie Autorin für Reportagen, Filme und Interviews um die ganze Welt. Sie lebt in Hamburg, wo sie unter anderem auch als Dozentin für Interview und (multimediales) Storytelling an der Akademie für Publizistik arbeitet.

Porträt der Journalistin Anne Backhaus
© privat
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