Führer-Farce

Auf dem Sofa mit dem Hitler-Klon

Adolf Hitler im September 1943
In "Dolfi und Marilyn" erlebt Adolf Hitler ein Comeback als Klon. © dpa / picture alliance / Ullstein
Von Irene Binal |
In "Dolfi und Marilyn" entdeckt der Protagonist einen Klon von Adolf Hitler in seinem Wohnzimmer - und verstrickt sich in allerlei absurde Abenteuer. Eine geistreiche Satire, die nicht nur in Frankreich zum Überraschungserfolg werden dürfte.
Was tut man, wenn man nach Hause kommt und Adolf Hitler im Wohnzimmer sitzt? Diese Erfahrung macht der Historiker Tycho Mercier, der sich in seinem Leben gerade recht behaglich eingerichtet hat. Mit seiner Ex-Frau Phoebé pflegt er ein gutes Verhältnis, sein Sohn Bruno begeistert sich für Computerspiele, die den Zweiten Weltkrieg thematisieren, und hin und wieder erhascht Tycho einen Blick auf den Marilyn-Monroe-Klon seines Nachbarn - denn wir befinden uns in den 60er-Jahren der 21. Jahrhunderts und Klone berühmter Persönlichkeiten sind ein begehrtes Luxusgut.
Der Hitler-Klon, den Phoebé bei einer Supermarkt-Tombola gewonnen und Bruno geschenkt hat, gehört allerdings zu einer mittlerweile verbotenen Serie, und auch wenn dieses Exemplar kein Bärtchen hat und im Zopfpullover daherkommt, ist es dennoch unverkennbar. Tychos Versuche, den unwillkommenen Gast loszuwerden, scheitern, und als er dann noch den Marilyn-Klon seines Nachbarn erbt, der sich zu allem Überfluss als illegale, fernöstliche Raubkopie entpuppt, ist das Chaos perfekt.
Das Dritte Reich ist in Frankreich nach wie vor ein heikles Thema
Es mag überraschen, dass ausgerechnet ein Franzose eine Hitler-Farce geschrieben hat: Das Dritte Reich ist in Frankreich nach wie vor ein heikles Thema, das zwar durchaus literarisch verwertet wird, meist aber mit gebührendem Ernst. Vielleicht hat der Autor deshalb ein Pseudonym gewählt: Hinter dem Namen "François Saintonge" verbirgt sich, so der Verlag, ein "etablierter französischer Schriftsteller" und Frankreichs literarische Szene rätselt, um wen es sich handeln könnte. Der Autor selbst erklärte gegenüber dem politischen Wochenmagazin Le Point, dass er eine Fixierung auf seine Person vermeiden wolle. "Francois Saintonge" ist also selbst so etwas wie ein Klon: der Klon eines Schriftstellers, der es, wie er sagt, "vorzieht, im Schatten zu bleiben".
Sein Roman freilich muss sich nicht verstecken: In einer spritzigen Prosa beschert Saintonge seinem Helden Tycho eine Reihe absurder Abenteuer. Die Polizei kommt ihm auf die Spuren, Dolfi und Marilyn müssen fliehen, und schließlich taucht noch ein 130-jähriger Altnazi auf, der mit Hilfe der Klone das Dritte Reich neu erstehen lassen will - ein etwas allzu bizarres Finale, in dem Saintonge die Leichtigkeit ein wenig abhanden kommt.
Die Frage nach der Seele eines Klons
Wichtiger ist freilich ein anderer Aspekt, den der Autor mit viel Empathie behandelt, nämlich die Frage nach der Seele eines Klons: Dolfi sieht zwar aus wie Adolf Hitler, aber er ist kein Diktator, er wurde künstlich erzeugt, hat keine Erinnerungen, ähnelt einem Kind, das durch seine Umwelt geprägt wird. Saintonge sieht mit Mitleid auf seine Figur, die ohne eigenes Verschulden und nur wegen ihres Äußeren Ablehnung und Misstrauen hervorruft und schließlich gnadenlos instrumentalisiert wird.
So ist Saintonges Roman mehr als nur eine freche Satire, nämlich ein fein gestricktes Werk, das nicht nur mit französischem Esprit und feinem Witz glänzt, sondern hinter der schillernden Fassade eine nachdenkliche Ebene verbirgt: "Dolfi und Marilyn" dürfte nicht nur in Frankreich zum Überraschungserfolg werden.

François Saintonge: "Dolfi und Marilyn"
Erschienen im Verlag carl's books, München 2014
287 Seiten, 14,99 Euro.