Führungskräfte wechseln Jobs

Wenn der Klimaforscher mit dem Opernintendanten tauscht

10:57 Minuten
Berthold Schneider (links) und Uwe Schneidewind halten symbolische weiße Schlüssel aus Holz in den Händen, auf denen das Symbol der Oper Wuppertal und des Wuppertal Instituts zu sehen sind.
Berthold Schneider (links) und Uwe Schneidewind bei der symbolischen Schlüsselübergabe. © Deutschlandradio/ Simone Schomäcker
Von Simon Schomäcker |
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Drei Wochen - so lange ist Opernintendant Berthold Schneider nicht für sein Haus zuständig. Sondern für das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie. Dessen Leiter Uwe Schneidewind vertritt ihn. Eine Herausforderung, auch für die Mitarbeiter.
Ein Donnerstag, Ende Februar. Uwe Schneidewind, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt und Energie, verlässt sein Büro. Nicht, weil er Feierabend hat. Er möchte Berthold Schneider, den Intendanten des Wuppertaler Opernhauses treffen. Die beiden werden für drei Wochen ihre Jobs tauschen. Uwe Schneidewind ist schon gespannt auf seinen ersten Tag an der Oper:
"Heute Abend wird aufgeführt 'Louisa Miller', eine Verdi-Oper aus dem 19. Jahrhundert, basierend auf dem Stück 'Kabale und Liebe' von Schiller. Kabale, der liebt ja politischen Kampf, die politische Intrige. Man merkt, dass ein Verdi im Hinblick auf die Art, wie gesellschaftliche Veränderung funktioniert, vielleicht mehr verstanden hat als viele von uns in der Ökologie-Bewegung, die dann immer rütteln und sich wundern, dass nichts passiert."

Das kreative, lustvolle, gestaltende Moment

"Wechsel/Wirkung" heißt das gemeinsame Projekt von Wissenschaftsinstitut und Oper. Auslöser war eine Podiumsdiskussion zu Uwe Schneidewinds Buch "Die große Transformation". Darin hinterfragt der Wirtschaftswissenschaftler, wie eine nachhaltige Gesellschaft entstehen kann. Sei es im Bereich Energie, Mobilität oder Ernährung.
"Und in dem Buch spielt ein Begriff eine zentrale Rolle, der der Zukunftskunst. Den haben wir sozusagen neu in diese Debatte eingebracht um deutlich zu machen, dass immer, wenn ich über gesellschaftliche Veränderungen nachdenke, dieses kreative, lustvolle, gestaltende Moment nicht verloren gehen darf. Und das ist eine große Herausforderung in der ökologischen Debatte, dass das oft passiert."
Der Intendant der Oper Wuppertal, Berthold Schneider, guckt zwischen zwei gelben langen Vorhängen in die Kamera.
Der Intendant der Oper Wuppertal, Berthold Schneider, hatte die Idee zu dem Rollentausch.© dpa picture alliance/ Rolf Vennenbernd
Mit auf dem Podium saß auch Opernintendant Berthold Schneider, der die Idee zu dem Rollentausch hatte.
Am Treffpunkt angekommen, haben nun beide Führungskräfte einen großen Schlüssel aus Holz in der Hand, jeweils mit dem Logo ihrer Institution. Daniel Hoernemann, der regelmäßig verschiedene Kunstprojekte in Unternehmen durchführt, begleitet "Wechsel/Wirkung". Er gibt Anweisungen: "Nun würde ich euch bitten, hier an die Linie heranzutreten. Den Schlüssel in der rechten Hand und die linke sich reichend."

Die Chefs werden begleitet von neutralen Beobachtern

Nach dem symbolischen Tausch macht sich der Intendant auf den Weg ins Institut. Und da an diesem Tag Weiberfastnacht ist, gibt es für Berthold Schneider einen Überraschungsempfang.
Daniel Hoernemann: "Kaum bist du da als Opernintendant, triffst du auf kostümierte Menschen!"
Berthold Schneider: "Ich fühle mich hier total zu Hause. Was spielt ihr denn gerade?"
Daniel Hoernemann: "Wir müssen uns neu inszenieren!"
Für Berthold Schneider bleibt aber nicht viel Zeit, um mit seinen neuen Kolleginnen und Kollegen Karneval zu feiern. Schließlich nimmt er seine neue Rolle ernst. Er richtet sein Büro für die nächsten drei Wochen ein - und freut sich auf sein Wirken am Institut:
"Ich wünsche mir halt, dass die Mitarbeiter des Wuppertal-Instituts neugierig sind auf das, was ich einbringen kann. Dass sie meine Anwesenheit hier nutzen, um das eigene Tun zu reflektieren und woanders nochmal hinzukommen mit der Wirkungsmöglichkeit des Institutes."
Daniel Hoernemann und der Philosoph Christian Grüny werden in den kommenden drei Wochen neutrale Begleiter sein - und immer wieder Gespräche mit Berthold Schneider und Uwe Schneidewind führen.
"Wir nennen das auch strukturierte Improvisation. Das heißt, es gibt bestimmte Reflexionsräume und Strukturen. Auf jeden Fall müssen wir reflektieren, ist es jetzt schon wieder Alltag oder ist es zu chaotisch. Aber gleichzeitig ist klar, dass vieles aus dem Moment heraus entstehen wird", sagt Daniel Hoernemann.

Was machen wir hier eigentlich? Und wie tun wir das?

Sieben Tage später. Uwe Schneidewind, "Intendant auf Zeit" an der Wuppertaler Oper, unterhält sich mit zwei Kollegen. Sie reden über moderne Technik im Opernbetrieb - und ob diese wirklich sinnvoll sei.
Solche Fachsimpeleien helfen Uwe Schneidewind dabei, das Opernhaus und dessen Arbeit besser zu verstehen. Trotzdem merkt Schneidewind, dass er bei Entscheidungen mangels Fachkenntnissen an seine Grenzen kommt - und damit die Mitarbeiter stark fordert:
"In so einem Haus mit so einer knapp und eng gestrickten Ressourcenbasis, wie hier an der Oper Wuppertal, ist auch der Intendant jemand, der in ganz viele Entscheidungsprozesse eingebunden ist. Das heißt der Preis, den die Oper Wuppertal für diesen Tausch zahlt, ist letztendlich ein höherer als der des Wuppertal-Instituts. Denn wir haben vier Abteilungen, wo viele der direkten Entscheidungen auch dezentral unmittelbar getroffen werden."
Vor allem kurzfristige Entscheidungen ohne einen kundigen Intendanten fällen zu müssen, stellt die Opernleitung auf die Probe, sagt Chefdramaturg David Greiner:
"Wir sind ja eine sehr kleine Abteilung. Und die funktioniert sehr gut. Aber das hat sich eben jetzt auch nochmal bewiesen, dass wir auf einer persönlichen Ebene sehr gut zusammenarbeiten - und dass man da eben auch durch kritische Situationen sehr gut durchkommt."
Aber auch alltägliche Dienstbesprechungen verlaufen plötzlich anders, fällt Chefdisponent Guido Hackhausen auf:
"Ich fand es ganz interessant, weil wir viele Gespräche gehabt haben, wo wir generell über das System Theater geredet haben. Und wenn man das erklärt, man sich beim Formulieren ja auch immer wieder klar darüber werden muss, was machen wir hier eigentlich und wie tun wir das eigentlich."
Uwe Schneidemann, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie
Uwe Schneidemann, Präsident des Wuppertal Instituts für Klima, Umwelt, Energie, ist Opernfan. Eine Podiumsdiskussion zu seinem Buch "Die große Transformation" war Auslöser des Projektes.© Olaf Rayermann Fotodesign
Berthold Schneider sitzt an seinem neuen Schreibtisch am Wuppertal-Institut. Sein Mitarbeiter Andreas Padowski legt einen Zeitschriftenartikel auf den Tisch. Darin geht es um selbstfahrende Autos und U-Bahnen - und die damit verbundenen Herausforderungen für Straßenverkehr und Arbeitswelt.
Schneider, gelernter Dramaturg, interessiert sich für die neue Technik, hört aufmerksam zu und fragt nach. Aus dem Gespräch heraus entstehen bereits Ideen für neue Opern-Inszenierungen:
"Wir haben ein Projekt, an dem wir arbeiten für die neue Spielzeit. Da geht es um die Zukunft der Arbeit. Und da sind natürlich selbstfahrende Autos ein wichtiger Bestandteil, weil man daran gut festmachen kann - weil das so nah ist - wie sich Arbeit in Zukunft verändern wird."
Die Arbeit am Institut hilft Berthold Schneider dabei, aus seinen Routinen auszubrechen. Denn er muss sich auf ein neues Team einstellen, das aus einer anderen Branche stammt - und wo weniger Kreativität als an der Oper gefragt ist.
"Ich merke, ich kann auf Menschen reagieren, vielleicht in einer Offenheit, wie ich das im Theater nicht kann. Weil wir alle schon so eine Geschichte miteinander haben, weil wir alle so gut Theater kennen. Und hier muss ich immer bei null anfangen. Das ist ungemein spannend und ungemein produktiv, weil es eine offenere Situation ist."

Der Chef kennt nicht alle Fachbegriffe

Davon profitieren auch die Instituts-Mitarbeiter. Zum Beispiel sind Diskussionsrunden lebhafter als sonst - und Fachbegriffe müssen verständlich erklärt werden.
Zwei Institutsmitarbeiter nennen Beispiele:
"Es ging zum Beispiel darum, wie wir jetzt eine Maßnahme hier am Institut umsetzen. Und er hat dann kommentiert, in der Oper würde das anders laufen, weil die halt eine andere Diskussionskultur haben, wo es dann sehr emotional zugeht. Und das ist hier am Wissenschaftsinstitut doch alles sehr, sehr sachlich."
"Man merkt eben in diesen Gesprächsrunden, dass viele Begriffe, Themen, Projekte mit ihren Abkürzungen schon so geläufig sind, dass man gar nicht mehr hinterfragt, was eigentlich dahintersteckt. Wenn er dann fragt 'Was bedeutet das denn eigentlich nochmal?‘, dann hilft das schon zur eigenen Reflexion.
Die stellvertretende Pressesprecherin Luisa Lucas hofft außerdem, mit Berthold Schneiders Ideen den Internetauftritt vom Institut verbessern zu können:
"Wir haben jetzt nächste Woche zum Beispiel Berthold Schneider in unsere Teamsitzung eingeladen. Da werden wir schwerpunktmäßig über das Thema Ausbau der visuellen Kommunikation sprechen. Also mehr Film, mehr Podcast eventuell auch. Und da erwarten wir uns ganz wertvolle Hinweise von ihm. Weil wir glauben, er hat einen ganz anderen Blick darauf, wie man ein Team nach außen tragen kann."

Positives erstes Fazit nach einer Woche

"Wechsel/Wirkung" ist das bislang erste Projekt seiner Art. Daniel Hoernemann scheint zufrieden. Er glaubt, dass die Erkenntnisse aus den drei Wochen helfen könnten, Hemmschwellen abzubauen:
"Was Menschen und Organisationen ja immer wieder scheuen, ist der Schritt ins Unbequeme, um es dann hinterher doch besser einfügen zu können. Von diesen Beispielen kann unsere Arbeitswelt noch mehr gebrauchen."
Das Wuppertaler Opernhaus von außen, über den gläsernen Eingangstüren steht in Großbuchstaben "Opernhaus".
Der Austausch zwischen der Oper Wuppertal und dem Wuppertal Institut ist wohl der erste seiner Art in Deutschland.© dpa picture alliance/ imagebroker/ Stefan Ziese
Uwe Schneidewind schließt sein neues Büro ab, geht hinunter in den Saal des Opernhauses. Nach einem langen Arbeitstag als "Intendant auf Zeit" macht er es sich in der ersten Reihe vor der Bühne bequem. Der Opernfan sieht dem Ensemble begeistert bei der Probe zur "Hochzeit des Figaro" zu:
"Die Energie, die im Raum ist, ist einfach faszinierend. Das gelöste miteinander umgehen, so freudige Erwartungen. Dass man weiß, man schafft da jetzt etwas ganz Großes. Das ist einfach ein sehr gutes Klima. Das überträgt sich, die gute Energie!
Viel gute Energie hat das Projekt "Wechsel/Wirkung" schon nach einer Woche freigesetzt. Denn Uwe Schneidewind, Berthold Schneider und ihre neuen Teams gehen offen miteinander um. So gelingt es allen, von der fremden Branche zu lernen, langjährige Routinen zu überdenken - und nach Projektende mit hoffentlich neuen Ideen in den Alltag zurückzukehren.
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