Warum die Lage in der Türkei nicht hoffnungslos ist
Im Jahr 2013 wurden die Proteste für die Rettung des Istanbuler Gezi Parks brutal niedergeschlagen. Seit dem Putschversuch drei Jahre später herrscht in der Türkei Ausnahmezustand. Welche Folgen das für die Kulturszene hat, erläutert Ingo Arend.
Heute belagerten ein massives Sicherheitsaufgebot sowie Panzerfahrzeuge den abgesperrten Taksim-Platz, berichtet der Kulturjournalist Ingo Arend aus Istanbul. Dennoch sei die Stimmung nicht so angespannt, wie man vermuten möchte. Vielmehr sei eine sukzessive symbolische Umcodierung des Platzes zu erkennen: Gegenüber des am Taksim-Platz befindlichen Denkmals der Republik sei eine Moschee gebaut und das gegenüberliegende Atatürk-Kultur-Zentrum abgerissen worden.
Zivilgesellschaft weiter unter Druck
Die Zivilgesellschaft stehe weiter unter Druck. Seit Verhängung des Ausnahmezustandes seien 1300 NGOs verboten, nach der türkischen Offensive im syrischen Afrin zudem 845 Personen wegen regierungskritischer Posts in den sozialen Medien festgenommen worden. Auch befindet sich der türkische Rapper Ezhel aktuell in Haft, angeblich weil er in einem Song Drogenkonsum propagiert habe. Seine Videoclips wurden auf YouTube von über 32 Millionen Menschen gesehen.
Trotz dieser Entwicklungen wüssten sich die Leute aber zu wehren. Unter dem Hashtag #FreeEzhel gebe es beispielsweise momentan eine Kampagne auf Instagram und Twitter gegen diese Entwicklung, so Arend weiter. Obwohl es immer wieder spektakuläre Fälle gebe, in denen Kunstausstellungen verboten oder berühmte Künstler verhaftet werden, sei die Lage nicht ganz so schlecht.
Was man daran sehen könne, dass ein Kunsthaus in Beyoglu, das vermutlich auf politischen Druck hin schließen musste, wieder eröffnet wurde und eine Ausstellung zweier explizit politischer Künstler gezeigt habe. Außerdem habe man Hoffnung auf eine baldige Veränderung im Zuge der anstehenden Wahlen, erklärt Ingo Arend die Stimmung in der Stadt.
Neue offizielle Kulturpolitik
Die Kunstszene sei zudem immer ein Buch mit sieben Siegeln für die AKP gewesen. Außerdem sei sie in den Augen der Regierung nicht so wichtig gewesen, weil sie nur eine begrenzte Öffentlichkeit erreiche. Erdogan habe neulich sogar zugegeben, dass die Kultur das einzige Gebiet sei, wo die AKP sich noch nicht durchgesetzt habe.
Aus diesem Grund sei die neu ins Leben gerufene Yeditepe-Biennale, die vor allem die traditionellen Künste ausstellt, besonders interessant in Bezug auf eine Neuausrichtung der offiziellen Kulturpolitik: Zu deren Eröffnung habe Erdogan beispielsweise Koranverse in der ehemaligen Kirche und später von Atatürk zu einem Museum umdeklarierten Hagia Sophia zitiert.
Zudem hätten die Gründer dieser neuen Biennale verlauten lassen, dass sie in Zukunft in der Kunst ein wichtiges Wörtchen mitreden wollten, beispielsweise wenn es um den türkischen Pavillon auf der Kunstbiennale in Venedig geht, der bisher von den moderaten und modernen Kräften bestimmt werde, sagt Ingo Arend.