Für ein Leben in Freiheit

Von Brigitte Neumann |
Die Journalistin Sihem Bensedrine war unter dem Regime von Ben Ali eine der bekanntesten Oppositionellen Tunesiens, wurde verfolgt und inhaftiert. Mit dem Online-Portal "Kalima" unterstützte sie den Sturz des Diktators. Nun ist sie Beobachterin der ersten freien Wahlen im Land.
Sihem Bensedrine ist eine 61-jährige Schönheit, schwarze Haare, ein fein geschnittenes Gesicht mit Augen, die klar und entschieden in die Welt blicken. Und obwohl sie kaum mehr als 1,50 Meter messen dürfte, strahlt sie die Tatkraft einer Riesin aus:

"Denn nicht selten merkte ich, dass ich nur reden musste, und schon machte unsere Sache Fortschritte. Worte können sehr mächtig sein."

Mit Worten kämpfte Sihem Bensedrine erst als Verlegerin, dann als Journalistin gegen den tunesischen Dauer-Diktator Ben Ali. Der steckte sie ins Gefängnis, ließ sie schikanieren und schlagen.

"Ben Ali hat mich nicht als Gegnerin akzeptiert, wie die männlichen Oppositionellen, die auch einsaßen. Er hat mich wie eine Frau von zweifelhaftem Ruf behandelt, eine Prostituierte. Ein weiblicher Körper, mehr war ich nicht für ihn."

Die dreifache Mutter war damals eine der wenigen Frauen Tunesiens, die sich öffentlich auflehnten. Ihr Mann, Omar Mestiri, unterstützte sie in allem und hielt ihr den Rücken frei – eine für tunesische Verhältnisse sicher ungewöhnliche Rollenverteilung. Das Regime wandte zwei Zermürbungstaktiken gegen die beiden an: Es sorgte dafür, dass sie kein Geld verdienen konnten. Bensedrines Verlag wurde geschlossen, die Zeitung "Kalima" zu deutsch "Das Wort" verboten. Und die andere Taktik: Geheimdienstbeamte in Zivil folgten Sihem Bensedrine auf Schritt und Tritt. Aber dann kam "Kalima" ins Internet und dort entfaltete die Zeitung eine viel größere Wirkung.

2010 ließ Ben Ali seiner Widersacherin Sihem Bensedrine noch die tunesische Staatsbürgerschaft entziehen. Ein Jahr später musste er sich geschlagen geben.

"Am 14. Januar habe ich mich auf den Weg nach Hause gemacht. Es war der allerschönste Tag meines Lebens."

Nicht Sihem Bensedrine hat den Diktator verjagt, das waren junge, wütende Leute. Aber sie half mit, das Terrain zu bereiten, und in den Gremien der EU und der UNO auf seine Willkürherrschaft aufmerksam zu machen. Dass sie die Kraft zu einem jahrzehntelangen und eigentlich immer aussichtslos wirkenden Kampf hatte, erklärt sie sich so:

"Mein Vater war Richter und kämpfte für die Unabhängigkeit der Justiz. Was die Familie meiner Mutter anging, die war im Widerstand gegen Bourguiba. In unserer Familie herrschte also ein gewisses politisches Klima. Es war klar, dass man für die Freiheit jedes nur denkbare Opfer bringt. Und dass persönliche Interessen erst in zweiter Hinsicht zählen."

Sihem Bensedrine ist das dritte von elf Kindern – ein Junge, zehn Mädchen. Der Vater schickte sie mit 18 nach Marseille zum Philosophiestudium, weil sie es so wollte. Das sei zwar damals gegen die muslimische Tradition gewesen, sagt Bensedrine, aber die Eltern hätten im Islam ohnehin etwas anderes gesehen als die meisten, nämlich eine Religion, die Freiheit und Eigenverantwortung bejaht.

"Ich hatte immer das Beispiel meines Vaters vor Augen, den Bourguiba zwingen wollte, gewisse Urteile gegen gewisse Personen zu sprechen. Er hat sich geweigert: 'Ich spreche Recht und vollstrecke keine Befehle', sagte er. Als Bourguiba ihn daraufhin versetzte, ist mein Vater aus dem Staatsdienst ausgetreten. Er war jemand, der für seine Ideen kämpfte, selbst wenn er dafür teuer bezahlen musste."

Unerschrockenheit und Eigensinn liegen also in der Familie. Und die Geschwister begrüßten, dass Sihem eine Führungsrolle im Kampf gegen den Diktator einnimmt. Während des Regimes von Ben Ali finanzierte die Familie die politische Arbeit Sihems. Und geriet dabei selbst in die Schusslinien des Geheimdienstes.

"Alle, die mit mir zu tun hatten, wurden in Sippenhaft genommen."

Aber am schlimmsten, dessen ist sich Sihem Bensedrine bewusst, traf es die eigenen Kinder.

"Und ich fühle mich auch ein bisschen schuldig, dass ich sie vielleicht nicht immer ausreichend geschützt habe. Dass ich ihre Bedürfnisse hinten angestellt habe, weil ich so leidenschaftlich bei meiner Sache war. Und das nehmen sie mir auch übel. Aber einmal entschieden, Dissident zu sein, da kann man nicht plötzlich sagen: Jetzt hab ich keine Lust mehr. Besonders nicht, wenn man bekannt ist und viele Menschen Hoffnungen in einen setzen. Das konnte ich meinen Kindern aber nicht verständlich machen."

Das sagte Sihem Bensedrine in einem Interview vor bald zehn Jahren. Inzwischen sind aus den Kindern junge Erwachsene geworden. Und ihre Mutter ist glücklich, dass in der Heimat nun bessere Zeiten angebrochen sind:

"Denn dieses neue Tunesien wird den jungen Tunesiern den Platz geben, den sie verdienen. Und ich bin sicher, dass die Zukunft uns eine Menge guter Dinge bringen wird."