"Für mich ist es ein großer Wendepunkt"
Der Schriftsteller Erich Loest glaubt, dass im Wahlkampf die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen Ost und West wieder bewusster zum Vorschein kämen. Loests neuer Roman "Sommergewitter" schildert den Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953 in Halle und Bitterfeld. Der Aufstand sei ein großer Wendepunkt in seinem Leben gewesen, sagte Loest.
Hettinger: Der Schriftsteller Erich Loest hat ein neues Buch geschrieben, "Sommergewitter" ist der Titel. Erich Loest, 1926 im sächsischen Mittweida geboren, ist einer der bedeutendsten deutschen Schriftsteller, bekannt durch Romane wie "Es geht seinen Gang", "Völkerschlachtdenkmal", oder "Nikolaikirche", um nur einige zu nennen.
In den 50er Jahren war Erich Loest Vorsitzender des Schriftstellerverbandes Leipzig. Seine öffentliche Kritik am SED-Regime, und schließlich seine unbequemen Gedanken über die Konsequenzen einer Entstalinisierung für die DDR führten dazu, dass er 1957 eingesperrt wurde. Sieben Jahre lang saß er im Zuchthaus Bautzen II. 1981 ist er in den Westen übergesiedelt. 1989 nach der politischen Wende in der DDR, wurde Erich Loest vom Obersten Gericht voll rehabilitiert.
Er ist Gründer des Linden-Verlages, hat ein neues Buch geschrieben: "Sommergewitter", wie erwähnt, und ist im Studio von Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen, Herr Loest!
Loest: Guten Tag!
Hettinger: Herr Loest, welche Geschichte erzählen Sie in "Sommergewitter"?
Loest: Ich beschreibe den Aufstand des 17. Juni in Halle und in Bitterfeld. Jeder weiß, es ist von der Stalin-Allee in Berlin ausgegangen, aber ganz Sachsen-Anhalt hat gebrannt! Und darüber ist geschrieben worden, ja, wie ich finde nicht genügend, und ich setze an, nun Schicksale aus diesen beiden Städten zu verbinden zu einem Kaleidoskop des 17. Juni in Mitteldeutschland.
Hettinger: 17. Juni 1953, Sie haben es erwähnt Herr Loest. Unsere Wahrnehmung ist in erster Linie fokussiert auf den Arbeiteraufstand, der sich rasch ausgebreitet hat in die Peripherie, ein Aufstand, der aber auch rasch niedergeschlagen wurde. Welche Bedeutung hat der 17. Juni 1953 für Sie persönlich?
Loest: Für mich ist es ein großer Wendepunkt, ähnlich dem Kriegsende, da war ich Soldat gewesen, bin davon gekommen, wollte nun das Gegenteil sein, ein guter Genosse, ein guter Marxist, habe mich bemüht. Und an diesem Tag erlebe ich in Berlin, ich war zufälligerweise hier, wie sich Arbeiter gegen die Partei erheben, die sich Arbeiter- und Bauernpartei nennt, meine Partei, der ich angehöre.
Und von da an bin ich nicht mehr zur Ruhe gekommen zu fragen: was ist denn los gewesen an diesem Tag? Und die SED beschränkte sich sehr bald darauf zu sagen, es war ein faschistischer Putschversuch, aus dem Westen ist dieser Versuch gemacht worden, uns zu stürzen. Wir haben ihn zurückgeschlagen mit der ruhmreichen Sowjet-Armee im Bunde.
Aber das war ja natürlich nicht alles, es war ja auch falsch gepolt. Und in diesen meinen Fragen: Was war nun, was ist daraus zu entnehmen, was ist zu lernen, bin ich mit der Partei dann in Konflikt gekommen, und sie haben mich dann eingesperrt.
Hettinger: Wie hat sich denn Ihre Wahrnehmung des 17. Juni 1953 von der unmittelbaren Zeitzeugenschaft bis heute verändert im Laufe der Jahre?
Loest: Ich habe eine ganze Menge noch im Gespür, was damals gewesen ist. Und diskutieren darüber, vor allen Dingen vor zwei Jahren zum 50. Jahrestag ist ja weidlich nun geredet worden, war es ein Volksaufstand, war es ein Arbeiteraufstand. Ich bin dann auf die Idee gekommen es war der Aufruhr des Geistes der Sozialdemokratie gegen den Kommunismus.
Hettinger: Der Mitbestimmung, der Selbstbestimmung.
Loest: Der Selbstbestimmung der Demokratie, der sozialen Demokratie, also der Sozialdemokratie. Und wenn ich sage: des Geistes, dann will ich gleich vorbeugen, es war nicht etwa das Ostbüro oder SPD, die das organisiert hat, da war gar nichts organisiert. Da war noch ein Gerechtigkeitsgefühl, ein Demokratiegefühl aus Bebels Tagen war noch da, und das hat sich Luft gemacht gegen die KPD. Das ist für mich der Kern dieses Aufruhrs.
Hettinger: Sie zeigen diesen 17. Juni 1953 in "Sommergewitter" in ihrem neuen Buch aus der Perspektive einer "normalen" Familie, und das Besondere einer Familie aus der Peripherie, eben nicht den Berliner Blickwinkel, sondern den von außen...
Loest: Ich habe eine Reihe von Familien. Also, erst einmal die SPD-Familie, wo dann der Held meines Romans daraus hervorgeht, Harald Bröcken, ein Arbeiter, ein schlauer Arbeiter, ein Meister auf seinem Gebiet, der dann auch zu einem ideologischen Führer wird. Natürlich die Staatsicherheit mit einem KP-Mann, der aus Buchenwald kommt. Eine bürgerliche Familie, Bauern auch. Also, ich habe mich gemüht, die Schichten, die damals aufeinandergetroffen sind, die nebeneinander oder gegeneinander gelebt und agiert haben, in einem Roman zu bündeln, wie es sich für einen Roman gehört.
Hettinger: Warum nehmen Sie sich dieses Thema jetzt vor? Mit einem so großen zeitlichen Abstand?
Loest: Ich habe es ja immer mal vor gehabt. Und ich habe immer mal gedacht: Das sollst du mal machen. Und anderes kam dazwischen und dann lockte dieser 50. Jahrestag. Und dann fing ich an, und habe geschrieben, und habe zu spät angefangen. Ich wurde nicht fertig. Das ist im Nachhinein kein Fehler, denn ich habe durch die großen Debatten vor zwei Jahren lernen können. Das ist eingeflossen in das Buch, fünf Jahre habe ich dran gearbeitet, jetzt ist es fertig, jetzt kommt es raus.
Hettinger: Gegenwärtig hat man beim tobenden Bundestagswahlkampf ein bisschen den Eindruck, dass diese Ost-West-Karte besonders stark gefahren wird. Wie bewerten Sie das?
Loest: Die wirtschaftlichen Unterschiede im Osten und im Westen werden jetzt wieder bewusst. Und im Osten gibt es eine Partei, die PDS heißt, die da einen Boden, ein Milieu hat. Und das sind die Leute, denen es damals gut gegangen ist in der DDR, und das sind heute wieder ihre Kinder und Enkel, die von ihrem Opa gehört haben, wie schön es war, als er noch Oberstleutnant an der Grenze war.
Also, es gibt ein Milieu dafür, das ist nun auffällig geworden, da diese Partei zulegt und nun sich westliche Verbündete in ihr altes Bett holt. Lafontaine spielt da mit und andere aus dem Westen springen schon wieder ab. Es ist eine merkwürdige und wirre Gemengelage. Aber dass die Wahlen im Osten anders ausfallen werden als im Westen, das steht schon fest. Und das sollte dann allen zu denken geben hinterher: Wie sind die Unterschiede noch, was ist zu tun?
Und als es mal hieß, blühende Landschaften, dachten alle: Na ja, fünf Jahre. Und als es hieß, jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört, da dachten die Leute: Aha, drei Jahre. Ich bin Optimist und habe gesagt: es sind 25 Jahre notwendig. Und jetzt sagt Stoiber, es wird 30 Jahre dauern, es wird noch länger dauern. Es ist so viel anders geworden in 40 Jahren, wie wir uns das damals nicht vorgestellt haben. Und da muss dann, wenn die Wahlen vorbei sind, wenn der Trubel vorbei ist, muss neu und gründlich nachgedacht werden.
Hettinger: Haben Sie den Eindruck, dass sich Deutschland Ost und Deutschland West eher voneinander weg bewegen als aufeinander zu?
Loest: Es sind Menschen vor 15 Jahren aus der Arbeit herausgeflogen, sagen wir mal, die damals 40 waren. Sie sind durch eine Zeit des Lernens in andere Berufe hinein beschäftigt worden, wo es auch keine Arbeit gab, und dann mal ein bisschen ABM und dann wieder lange Arbeitslosigkeit. Die sind heute, wenn sie damals 40 waren, sind sie 55. Es ist eine Generation, eine verlorene Generation für das Arbeitsleben, für das Selbstwertgefühl, die gehen nun langsam auf die Rente zu.
Und wie man nun ihnen ihre Würde erhält, wie man sie ehrenamtlich einbindet, ist viel zu kurz gekommen. Die Kirchen haben ihre Macht verloren, die SPD gibt es in manchen Orten überhaupt nicht, wenn jemand ihnen geholfen hat, waren es die Eigeninteressen von der PDS, die ihnen dann, evaluierten Professoren, dann gezeigt haben, wie man einen Antrag stellt für die Wohnung oder für irgendwelches Geld. Und in der Betreuung dieser Leute muss aufgeholt werden und muss endlich einmal etwas geschehen.
Hettinger: Bewerten Sie das als Fortschritt, als wichtiges Symbol für das Zusammenwachsen Deutschlands, wenn die nächste Kanzlerin mutmaßlich eine Ostdeutsche ist?
Loest: Ich glaube, dass es keine Rolle spielt. Dass sie eine Frau ist, ja das freut Frauen, ich bin Feminist, natürlich muss ich mich freuen, wenn das nun eine Frau macht. Dass sie aus der Uckermark stammt, dass spielt dabei keine Rolle. Und sie muss wirklich eine Kanzlerin für Deutschland sein, und sie wird von ganz Deutschland gewählt werden, auch aus der Uckermark.
Aber das darf dann auch keine Rolle mehr spielen. Das spielt, glaube ich, auch gar keine Rolle mehr, weder für sie noch für die Leute, die sie wählen. Und vielleicht haben wir einen schwulen Außenminister. Niemand wird sich daran stören, das sind Formen der Emanzipation, die natürlich zu begrüßen sind.
Hettinger: Der Schriftsteller Erich Loest bei Deutschlandradio Kultur. Er hat ein neues Buch geschrieben, das nun vorgestellt wird, "Sommergewitter" ist der Titel. Das Buch ist im Steidl Verlag erschienen, hat 344 Seiten, und kostet 19,90 Euro. Herr Loest, vielen Dank fürs Kommen!
Loest: Bitte schön!
In den 50er Jahren war Erich Loest Vorsitzender des Schriftstellerverbandes Leipzig. Seine öffentliche Kritik am SED-Regime, und schließlich seine unbequemen Gedanken über die Konsequenzen einer Entstalinisierung für die DDR führten dazu, dass er 1957 eingesperrt wurde. Sieben Jahre lang saß er im Zuchthaus Bautzen II. 1981 ist er in den Westen übergesiedelt. 1989 nach der politischen Wende in der DDR, wurde Erich Loest vom Obersten Gericht voll rehabilitiert.
Er ist Gründer des Linden-Verlages, hat ein neues Buch geschrieben: "Sommergewitter", wie erwähnt, und ist im Studio von Deutschlandradio Kultur. Schönen guten Morgen, Herr Loest!
Loest: Guten Tag!
Hettinger: Herr Loest, welche Geschichte erzählen Sie in "Sommergewitter"?
Loest: Ich beschreibe den Aufstand des 17. Juni in Halle und in Bitterfeld. Jeder weiß, es ist von der Stalin-Allee in Berlin ausgegangen, aber ganz Sachsen-Anhalt hat gebrannt! Und darüber ist geschrieben worden, ja, wie ich finde nicht genügend, und ich setze an, nun Schicksale aus diesen beiden Städten zu verbinden zu einem Kaleidoskop des 17. Juni in Mitteldeutschland.
Hettinger: 17. Juni 1953, Sie haben es erwähnt Herr Loest. Unsere Wahrnehmung ist in erster Linie fokussiert auf den Arbeiteraufstand, der sich rasch ausgebreitet hat in die Peripherie, ein Aufstand, der aber auch rasch niedergeschlagen wurde. Welche Bedeutung hat der 17. Juni 1953 für Sie persönlich?
Loest: Für mich ist es ein großer Wendepunkt, ähnlich dem Kriegsende, da war ich Soldat gewesen, bin davon gekommen, wollte nun das Gegenteil sein, ein guter Genosse, ein guter Marxist, habe mich bemüht. Und an diesem Tag erlebe ich in Berlin, ich war zufälligerweise hier, wie sich Arbeiter gegen die Partei erheben, die sich Arbeiter- und Bauernpartei nennt, meine Partei, der ich angehöre.
Und von da an bin ich nicht mehr zur Ruhe gekommen zu fragen: was ist denn los gewesen an diesem Tag? Und die SED beschränkte sich sehr bald darauf zu sagen, es war ein faschistischer Putschversuch, aus dem Westen ist dieser Versuch gemacht worden, uns zu stürzen. Wir haben ihn zurückgeschlagen mit der ruhmreichen Sowjet-Armee im Bunde.
Aber das war ja natürlich nicht alles, es war ja auch falsch gepolt. Und in diesen meinen Fragen: Was war nun, was ist daraus zu entnehmen, was ist zu lernen, bin ich mit der Partei dann in Konflikt gekommen, und sie haben mich dann eingesperrt.
Hettinger: Wie hat sich denn Ihre Wahrnehmung des 17. Juni 1953 von der unmittelbaren Zeitzeugenschaft bis heute verändert im Laufe der Jahre?
Loest: Ich habe eine ganze Menge noch im Gespür, was damals gewesen ist. Und diskutieren darüber, vor allen Dingen vor zwei Jahren zum 50. Jahrestag ist ja weidlich nun geredet worden, war es ein Volksaufstand, war es ein Arbeiteraufstand. Ich bin dann auf die Idee gekommen es war der Aufruhr des Geistes der Sozialdemokratie gegen den Kommunismus.
Hettinger: Der Mitbestimmung, der Selbstbestimmung.
Loest: Der Selbstbestimmung der Demokratie, der sozialen Demokratie, also der Sozialdemokratie. Und wenn ich sage: des Geistes, dann will ich gleich vorbeugen, es war nicht etwa das Ostbüro oder SPD, die das organisiert hat, da war gar nichts organisiert. Da war noch ein Gerechtigkeitsgefühl, ein Demokratiegefühl aus Bebels Tagen war noch da, und das hat sich Luft gemacht gegen die KPD. Das ist für mich der Kern dieses Aufruhrs.
Hettinger: Sie zeigen diesen 17. Juni 1953 in "Sommergewitter" in ihrem neuen Buch aus der Perspektive einer "normalen" Familie, und das Besondere einer Familie aus der Peripherie, eben nicht den Berliner Blickwinkel, sondern den von außen...
Loest: Ich habe eine Reihe von Familien. Also, erst einmal die SPD-Familie, wo dann der Held meines Romans daraus hervorgeht, Harald Bröcken, ein Arbeiter, ein schlauer Arbeiter, ein Meister auf seinem Gebiet, der dann auch zu einem ideologischen Führer wird. Natürlich die Staatsicherheit mit einem KP-Mann, der aus Buchenwald kommt. Eine bürgerliche Familie, Bauern auch. Also, ich habe mich gemüht, die Schichten, die damals aufeinandergetroffen sind, die nebeneinander oder gegeneinander gelebt und agiert haben, in einem Roman zu bündeln, wie es sich für einen Roman gehört.
Hettinger: Warum nehmen Sie sich dieses Thema jetzt vor? Mit einem so großen zeitlichen Abstand?
Loest: Ich habe es ja immer mal vor gehabt. Und ich habe immer mal gedacht: Das sollst du mal machen. Und anderes kam dazwischen und dann lockte dieser 50. Jahrestag. Und dann fing ich an, und habe geschrieben, und habe zu spät angefangen. Ich wurde nicht fertig. Das ist im Nachhinein kein Fehler, denn ich habe durch die großen Debatten vor zwei Jahren lernen können. Das ist eingeflossen in das Buch, fünf Jahre habe ich dran gearbeitet, jetzt ist es fertig, jetzt kommt es raus.
Hettinger: Gegenwärtig hat man beim tobenden Bundestagswahlkampf ein bisschen den Eindruck, dass diese Ost-West-Karte besonders stark gefahren wird. Wie bewerten Sie das?
Loest: Die wirtschaftlichen Unterschiede im Osten und im Westen werden jetzt wieder bewusst. Und im Osten gibt es eine Partei, die PDS heißt, die da einen Boden, ein Milieu hat. Und das sind die Leute, denen es damals gut gegangen ist in der DDR, und das sind heute wieder ihre Kinder und Enkel, die von ihrem Opa gehört haben, wie schön es war, als er noch Oberstleutnant an der Grenze war.
Also, es gibt ein Milieu dafür, das ist nun auffällig geworden, da diese Partei zulegt und nun sich westliche Verbündete in ihr altes Bett holt. Lafontaine spielt da mit und andere aus dem Westen springen schon wieder ab. Es ist eine merkwürdige und wirre Gemengelage. Aber dass die Wahlen im Osten anders ausfallen werden als im Westen, das steht schon fest. Und das sollte dann allen zu denken geben hinterher: Wie sind die Unterschiede noch, was ist zu tun?
Und als es mal hieß, blühende Landschaften, dachten alle: Na ja, fünf Jahre. Und als es hieß, jetzt wächst zusammen, was zusammen gehört, da dachten die Leute: Aha, drei Jahre. Ich bin Optimist und habe gesagt: es sind 25 Jahre notwendig. Und jetzt sagt Stoiber, es wird 30 Jahre dauern, es wird noch länger dauern. Es ist so viel anders geworden in 40 Jahren, wie wir uns das damals nicht vorgestellt haben. Und da muss dann, wenn die Wahlen vorbei sind, wenn der Trubel vorbei ist, muss neu und gründlich nachgedacht werden.
Hettinger: Haben Sie den Eindruck, dass sich Deutschland Ost und Deutschland West eher voneinander weg bewegen als aufeinander zu?
Loest: Es sind Menschen vor 15 Jahren aus der Arbeit herausgeflogen, sagen wir mal, die damals 40 waren. Sie sind durch eine Zeit des Lernens in andere Berufe hinein beschäftigt worden, wo es auch keine Arbeit gab, und dann mal ein bisschen ABM und dann wieder lange Arbeitslosigkeit. Die sind heute, wenn sie damals 40 waren, sind sie 55. Es ist eine Generation, eine verlorene Generation für das Arbeitsleben, für das Selbstwertgefühl, die gehen nun langsam auf die Rente zu.
Und wie man nun ihnen ihre Würde erhält, wie man sie ehrenamtlich einbindet, ist viel zu kurz gekommen. Die Kirchen haben ihre Macht verloren, die SPD gibt es in manchen Orten überhaupt nicht, wenn jemand ihnen geholfen hat, waren es die Eigeninteressen von der PDS, die ihnen dann, evaluierten Professoren, dann gezeigt haben, wie man einen Antrag stellt für die Wohnung oder für irgendwelches Geld. Und in der Betreuung dieser Leute muss aufgeholt werden und muss endlich einmal etwas geschehen.
Hettinger: Bewerten Sie das als Fortschritt, als wichtiges Symbol für das Zusammenwachsen Deutschlands, wenn die nächste Kanzlerin mutmaßlich eine Ostdeutsche ist?
Loest: Ich glaube, dass es keine Rolle spielt. Dass sie eine Frau ist, ja das freut Frauen, ich bin Feminist, natürlich muss ich mich freuen, wenn das nun eine Frau macht. Dass sie aus der Uckermark stammt, dass spielt dabei keine Rolle. Und sie muss wirklich eine Kanzlerin für Deutschland sein, und sie wird von ganz Deutschland gewählt werden, auch aus der Uckermark.
Aber das darf dann auch keine Rolle mehr spielen. Das spielt, glaube ich, auch gar keine Rolle mehr, weder für sie noch für die Leute, die sie wählen. Und vielleicht haben wir einen schwulen Außenminister. Niemand wird sich daran stören, das sind Formen der Emanzipation, die natürlich zu begrüßen sind.
Hettinger: Der Schriftsteller Erich Loest bei Deutschlandradio Kultur. Er hat ein neues Buch geschrieben, das nun vorgestellt wird, "Sommergewitter" ist der Titel. Das Buch ist im Steidl Verlag erschienen, hat 344 Seiten, und kostet 19,90 Euro. Herr Loest, vielen Dank fürs Kommen!
Loest: Bitte schön!