"Für UNICEF ist die Aberkennung ziemlich katastrophal"

Moderation: Shelly Kupferberg |
Der Fundraising-Experte Rupert Graf Strachwitz sieht das professionelle Einwerben von Spenden auf Provisionsbasis als unproblematisch an. Wichtig sei aber, dass dabei transparent bleibe, wie hoch die gezahlte Provision war. Im Falle UNICEF fehle diese Transparenz. Diese müsse die Organisation dringend wiederherstellen, um den Vertrauensverlust durch Aberkennung des Spendensiegels wieder wettzumachen.
Shelly Kupferberg: UNICEF-Deutschland steht seit Wochen in der Kritik. Der UN-Kinderhilfsorganisation war öffentlich vorgeworfen worden, mit den anvertrauten Spendengeldern nicht in jedem Fall ordnungsgemäß umgegangen zu sein. Inzwischen wurde der Organisation das Spendensiegel aberkannt. Für die Vergabe dieses Siegels ist das DZI zuständig, das Zentralinstitut für soziale Fragen. Ich bin jetzt mit Rupert Graf Strachwitz verbunden. Er ist Direktor des Maecenata-Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft an der Humboldt-Universität Berlin. Einen schönen guten Tag!

Rupert Graf Strachwitz: Guten Tag!

Kupferberg: Herr von Strachwitz, nun lautet der Vorwurf gegen UNICEF, es habe nicht genug Transparenz in Sachen Provision gegeben. Die Rede ist von Provisionen an solche Menschen, die Spenden an die Organisation vermittelt haben. Wie üblich sind denn Provisionen überhaupt in diesem gemeinnützigen Bereich?

Graf Strachwitz: Leider ist es bei den großen Organisationen, die also in der Größenordnung von UNICEF Spenden sammeln, über die letzten zehn, 15 Jahre üblich geworden.

Kupferberg: Wie kann man sich das erklären?

Graf Strachwitz: Weil das Gesamtspendenaufkommen in Deutschland seit 15 Jahren oder noch länger stagniert. Die Menschen spenden nicht mehr Geld als eben vor 15, 18 Jahren. Damit wird es natürlich ein immer härterer Kampf um den immer gleichen Kuchen. Um diesen Kuchen bewerben sich inzwischen in Deutschland weit über 300.000 Organisationen, viele davon natürlich kleine, örtliche Vereine, aber eben auch diese ganz großen.

Und die können, wenn sie also etwa wie UNICEF 100 Millionen im Jahr einwerben wollen, auf professionelle Unterstützung nicht verzichten. Nur muss das nicht unbedingt auf Provisionsbasis sein. Manche haben selber angestellte Fundraiser, manche beschäftigen beratende Unternehmen, die also nach Gebühren abrechnen, aber immer mehr eben auch solche Agenturen, die auf Provisionsbasis arbeiten.

Man muss auch sagen, auch die Finanzbehörden haben das inzwischen akzeptiert, und man muss auch sagen, das ist kein deutscher Einzelfall, sondern das ist in der ganzen Welt inzwischen so üblich geworden. Wie gesagt, ich bin kein Freund davon, aber es ist nicht etwas, was etwa nur UNICEF machen würde.

Kupferberg: Sie sagen gerade, die Finanzbehörden hätten diese Tatsache der Provision akzeptiert, und auch das DZI sagt, okay, Provision ja, aber es muss auf jeden Fall angegeben werden. Und dazu gibt es jährlich auch eine Befragung. Warum passierte denn dieser Vorfall mit UNICEF erst jetzt? Warum ist dem DZI diese Vertuschung der Provisionsgelder nicht schon früher aufgefallen?

Graf Strachwitz: Also ich bin gar nicht mal so sicher, ob es in den Angaben von UNICEF wirklich vertuscht worden ist, oder ob das DZI das vielleicht aus anderen Gründen nicht analysiert hat. Aber Tatsache ist, dass offenkundig das auch den Spendern nicht immer klar gemacht worden ist. Also Provisionen fallen ja in dem Umfang nicht an bei den kleinen Spenden oder im Falle UNICEF, wenn jemand Grußkarten kauft. Sondern die fallen vor allem in erheblichen Größenordnungen an bei Spenden von großen Unternehmen. Und die werden ja nicht so spontan gegeben, sondern da wird ja darüber verhandelt. Und natürlich muss im Laufe solcher Verhandlungen auch gesagt werden, was dabei an Provisionen hängen bleibt. Der Vorwurf gegen UNICEF ist erhoben worden, ob er stimmt oder nicht, wissen wir noch nicht, dass genau dies nicht geschehen ist.

Kupferberg: Wie steht denn das DZI jetzt da? Verliert möglicherweise das Gütesiegel, das Spendensiegel, das UNICEF aberkannt worden ist, an Glaubwürdigkeit?

Graf Strachwitz: Also das wird man jetzt sehen, ob das Spendensiegel insgesamt an Glaubwürdigkeit verliert. Zunächst einmal muss man festhalten, für UNICEF ist die Aberkennung ziemlich katastrophal, weil im Kontext der bisherigen Vorwürfe und der ganzen öffentlichen Debatte das gewissermaßen so der letzte Schlag ist. Also die Spender werden jetzt sagen, na, also das ist ja nun offenkundig alles ganz furchtbar und wir spenden nie wieder an UNICEF. Also bis dort das Vertrauen zurück gewonnen ist, das wird ganz lange dauern. Die Verunsicherung der Spender ist ganz, ganz groß.

Kupferberg: Gab es denn vergleichbare Überprüfungen anderer Organisationen?

Graf Strachwitz: Also von der Amadeu Antonio Stiftung habe ich gerade heute erfahren, dass bei denen die Spender anrufen. Ich gehe davon aus, dass das auch bei vielen anderen Organisationen in diesen Tagen so ist.

An sich muss man wirklich sagen, diese Überprüfung durch das DZI vor der Erteilung des Spendensiegels ist eine sehr gründliche, die wird auch jedes Jahr wiederholt. Was mir nicht klar ist, was mir im Moment ein Rätsel ist, ist wie die Vorwürfe, die ja letztlich schon im letzten Sommer einigermaßen bekannt geworden sind, wie die bei der letzten Prüfung nicht haben auffallen können. Das wird sich jetzt, wenn sich der Staub so allmählich setzt, dann erst bei genauerem Nachprüfen herausstellen müssen.

Ich denke mal, das DZI wird auch seine Kriterien überprüfen müssen. Das ist auch schon angekündigt worden, dass hier eine Überprüfung stattfindet.

Man muss aber eines auch dazu sagen: Das Spendensiegel ist nicht der ultimative Güterausweis. Das Spendensiegel ist im Prinzip eine höchst seriöse Angelegenheit, aber es ist teuer, das zu bekommen. Das können sich nur große Organisationen leisten. Das heißt, wir haben immer schon das Problem gehabt, dass mittlere Organisationen ihren Spendern erklären mussten, warum sie es nicht haben.

Kupferberg: Dann erklären Sie uns noch mal, die großen Organisationen müssen tatsächlich dafür bezahlen, dass sie ein solches Gütesiegel erhalten?

Graf Strachwitz: Die müssen die Prüfung bezahlen, ja. Und das ist relativ teuer. Das lohnt sich nur für diese ganz großen Organisationen. Das sind etwa 230 Organisationen, die das Spendensiegel haben, von eben, wie vorher schon gesagt, weit über 300.000, die um Spenden bitten. Für eine kleinere, mittlere Organisation würde sich das gar nicht lohnen. Aber die werden natürlich immer mal gefragt, warum habt ihr kein Spendensiegel, sozusagen mit dem Unterton, ist eure Organisation so, dass ihr das nicht bekommen würdet, oder so etwas. Und dann müssen die erklären, nein, das ist deswegen, weil wir uns das nicht leisten können. Also irgendwo gibt es da schon ein Problem bei dem Spendensiegel.

Kupferberg: Spendensiegel also schön und gut, aber nicht jede Organisation, die keines hat, ist deswegen weniger ehrenwert, mit anderen Worten.

Graf Strachwitz: Ja, also das muss man wirklich klar sagen. Die beste Möglichkeit, mehr Transparenz herzustellen und auch mehr Qualität in diesem ganzen Bereich herzustellen, ist der regelmäßige öffentliche Diskurs. Ich trete schon seit langem dafür ein, dass gemeinnützige Organisationen zur Veröffentlichung von Jahresberichten verpflichtet werden. Das sind sie ja bisher nicht. Und wenn das passiert, dann kann man ganz regelmäßig, also nicht nur anhand von Skandalen, sondern ganz normal und kontinuierlich über die Qualität, über die Leistungen, über das Finanzgebaren von Organisationen diskutieren, öffentlich, in den Medien, natürlich auch in der Wissenschaft, und so gewissermaßen den Standard heben. Das halte ich letztlich für wirkungsvoller als solche etwas spektakulären Gütesiegel.

Kupferberg: Herr von Strachwitz, Sie beraten unter anderem auch Stiftungen und sind Mitglied des deutschen Beirats von Transparency International. Wie viel Geschäft steckt eigentlich in einem Betrieb wie UNICEF jenseits der Gemeinnützigkeit?

Graf Strachwitz: Man muss da sehr vorsichtig sein. Es ist ja nicht unbedingt so, dass eine Organisation immer nur von Spenden lebt. Es gibt viele, sehr tüchtige gemeinnützige Organisationen, die Leistungen anbieten, die dann auch honoriert werden. Denken Sie an die Wohlfahrtsverbände, denken Sie an gemeinnützige Kulturorganisationen, die natürlich dann Eintrittsgelder verlangen oder so etwas. Also dass dort auch gewirtschaftet wird, ist an sich etwas völlig Normales. Wichtig ist, dass eine gemeinnützige Organisation keine Gewinne ausschüttet. Sie darf ruhig auch etwas Gewinne machen, aber sie darf sie nicht ausschütten, weder offen an irgendwelche Eigentümer, Aktionäre oder so etwas, noch versteckt etwa dadurch, dass sie zu hohe Gehälter zahlen würde.

Kupferberg: Sie haben eingangs gesagt, UNICEF muss natürlich jetzt unglaublich ackern, um wieder ein Renommee sich zu erarbeiten in Deutschland. Wie lässt sich denn das Vertrauen der Spender wiedergewinnen? Was würden Sie UNICEF raten?

Graf Strachwitz: Also zunächst einmal muss natürlich wieder Friede an der Spitze herrschen. Also UNICEF muss ja jetzt erstmal einen neuen Vorsitzenden und einen neuen Geschäftsführer suchen, oder Vorsitzende und Geschäftsführerin, und das muss sicher schnell geschehen. Also einen Vorsitzenden gibt es, aber der hat ja klar gesagt, er macht das nur übergangsweise. Geschäftsführer gibt es überhaupt keinen, also da muss zunächst einmal neu aufgestellt werden personell und da muss wieder ein friedliches, einvernehmliches, konstruktives Miteinander herrschen. Das war jawohl in der Vergangenheit auch ein Problem, dass man sich da an der Spitze befehdet hat. Das ist das Erste.

Das Zweite ist, man muss die Kommunikation und Transparenz deutlich verbessern, die Berichterstattung an die Öffentlichkeit, den Webauftritt, all diese Dinge, das muss umfangreicher, informativer werden, weniger werblich als es vielleicht in der Vergangenheit war.

Das Dritte ist, man muss sehr viel mehr darauf achten, was passiert eigentlich mit den Geldern. Das UNICEF, über das wir reden, ist ja nicht UNICEF, sondern ist der deutsche Förderverein von UNICEF, das so genannte Deutsche Komitee. Die Projekte werden von UNICEF in New York gemacht. Das ist eine UNO-Organisation, wo die Regierungen natürlich auch mitreden. Das heißt, hier muss sicher auch einiges getan werden, um den Fluss der Spendenmittel zu den Projekten auch sichtbarer, transparenter zu machen. Und letztlich müssen die Personen, die damit zu tun haben, in der Öffentlichkeit auch sich Anerkennung verschaffen als glaubwürdige Repräsentanten.
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